Hydra, 10.8.84
in Ihren Traumbüchern steht ein Traum des Tschuang-Tse und die Frage, die er anschließend aufwirft. Die tiefe Einfachheit dieser Frage, aber auch die Stellen, wo sie in Ihren Büchern vorkommt, haben mich wiederholt auf sie aufmerksam gemacht: als Motto, dann als Einleitung in die Diskussion über das Wesen des Traumes. Beide Male blieb sie in ihrer konkreten Form unbeantwortet.
Die Frage des Tschuang-Tse gehört vielleicht doch zu jenen Fragen, die selber auch ihre eigene Antwort sind. Und ich schreibe Ihnen gerade über die Art und Weise, wie ich meine, dass diese Frage gehört werden kann.
Wenn ich sage, die Frage des Tschuang-Tse berge ihre Antwort in sich, dann meine ich, dass wir vermutlich bei ihr bleiben und auf diese hören können, anstatt uns von ihr, auf der Suche nach einer Antwort, zu entfernen.
Denn es scheint mir klar, die Frage kann nicht mit einem Entweder-oder erledigt werden. Es kann nämlich keine zwingende Entscheidung fallen, weder für den Menschen, der träumte, er sei ein Schmetterling, noch für den Schmetterling, der träumt, er sei ein Mensch. Tsuang-Tse, und wir alle mit ihm, sind, der Möglichkeit nach, beides! Jegliche andere Antwort müsste unweigerlich entweder dem Wachen oder dem Traum Gewalt antun.
Und nun komme ich zu dem entscheidenden Punkt. Aber wenn wir vollständig und gleichgewichtig Wach-Menschen und Traum-Schmetterlinge, und auch Wach-Schmetterlinge und Traum-Menschen sind, dann stellt die Frage des Tschuang-Tsu eigentlich das vorangehende "ich selbst" in Frage. Denn die Annahme einer eigenen "Identität" muss eine Entweder-oder-Antwort auf die Frage Mensch oder Schmetterling erzwingen.
Aber auf diese Identität des jeweiligen Menschen mit sich selbst begründen Sie das Gemeinsame des Wachens und des Träumens. Sie schreiben "...immer ist es ein und derselbe Mensch, der sowohl träumen als auch wachen kann" ("es träumte mir...", S. 215)
Ist es aber tatsächlich so, dass das "eins und dasselbe" ein Wesenszug des Menschen sei? Ist also die Jemeinigkeit als der im Wachen und im Traum und im Schlaf jeweilige ein und derselbe Mensch zu verstehen? Würde uns dann der Traum des Tschuang-Tse nicht in eine Aporie führen?
Aber wenn wir doch den Traum ernst und beim Wort nehmen, dann müssten wir die Grundlage der sich überall hindurchziehenden Identität des Menschen mit sich selbst aufgeben.
Dadurch aber stünde der Weg zu einer anderen Identität offen. Dann wäre das "eins und dasselbe" ein Zug des Seins selbst, το αυτο nämlich des Parmenides als Zeichen des εον. In dessen Sphäre stünden dann etwa Mensch und Schmetterling in einer freien Beziehung, in einer "gemeinsamen Anwesenheit" zueinander.
In deren Lichte gehören Wachen und Τräumen zusammen. Wenn die Selbigkeit des εον, das sowohl den Menschen, wie auch den Schmetterling sein lässt, erscheinen würde. Diese Selbigkeit ist aber so, dass es eine innige Verweisung waltet, vom Wach-Menschen auf den Traum-Schmetterling und vom Wach-Schmetterling auf den Traum-Menschen.
Hier wäre ein Zug der Ek-sistenz wieder zu erkennen: das "Ek-" als die Spiegelung und Erscheinung des eigenen Wesens am anderen. Der Mensch: Schmetterling. Der Schmetterling: Mensch. Wiederum ein "Spiegel-Spiel der Welt"!
Und das νοειν, das Vernehmen, wäre nicht das Eigene "des" Menschen, so wie ψυχη bei Heraklit nicht "menschlich" ist. "Mensch" heißt sowieso etwas ganz anderes als das, was die Griechen "die Sterblichen" nannten.
Und "träumen" wäre dann nicht ein anderer Modus der Anwesenheit und des Vernehmens, sondern der Traum wäre beheimatet in jener Beziehung, d.h. in jener Mitte des Spiegel-Spiels, die das Selbige sowohl als Mensch wie auch als Schmetterling sein ließe - als eine Möglichkeit dieser Beziehung selbst. Der Traum: eine Beziehung, die die eine und dieselbe Wirklichkeit in ihrem Zusammengehören, z.B. Mensch und Schmetterling, zum Vorschein brächte.
Mit einem herzlichen Gruß,
K. Gemenetzis
DER TRAUM
Konstantin Gemenetzis
Selbstverlag, Athen 1987
In seiner Schrift "Der Traum" versucht Konstantin Gemenetzis auf dem Wege einer Kritik der "Traumdeutung" von Sigmund Freud, die Träume selbst zum Vorschein kommen zu lassen. Der Blick für die" Träume selbst würde durch die verschiedenen Voreingenommenheiten verdeckt. Eine dieser Voreingenommenheiten bestehe in der These Freuds, dass die Träume gedeutet, d.h. erklärt werden können und müssen. Dabei würde nach dem Grund, dem "Warum" der Träume gefragt.
Außerdem seien die Träume bei Freud nützlich, denn sie dienten der Wunscherfüllung und der Selbsterhaltung des Menschen. Selbsterhaltung aber meine nichts anderes als Erhaltung des "Selbst", d.h. der Identität des Menschen mit sich selbst. Dies aber sei die oberste Voreingenommenheit, die sich der Träume bemächtige.
So ginge es nicht mehr um die Träume selbst,< sondern "wie die Träume auf ihren zugewiesenen Grund hin, nämlich die abzusichernde Identität des Menschen mit sich selbst, ergründet und begründet werden."(p.20). Dies leiste die "Traumdeutung".
In der "Traumdeutung" erschienen die Träume nur als ein Traumgeschehen und entzögen sich selbst in ihrem Eigenen, in dem "Dass", dass es die Träume gibt. Dieses Eigene, dieses "Dass", nennt Gemenetzis "den Traum". Es gäbe einen Unterschied zwischen einem Traum und dem Traum. Dies zeige sich schon darin, dass der Träumer nie wisse, dass er träumt. Das "Dass" der Träume käme in den Träumen nicht vor, der Traum sei selber nicht traumhaft. Einen Traum als Traum gäbe es erst, wenn sein Name, d.h. wenn der Traum genannt würde. "Der Traum ist es, der einen Traum als Traum er-gibt."(p.36). Dies geschieht im Wachen. "Das Wachen, als Ankunft ihres Namens, d.h. als Ankunft des Traumes, ist das Geschehen der Träume. Das Eigene der Träume liegt im Wachen und das Eigene des Wachens liegt(im Schlaf und) in den Träumen."(p.34).
Anhand des Schmetterling-Traumes von Dschuang Dschou, in dem dieser träumte, er sei ein Schmetterling und nach dem Erwachen nicht weiß, ob er da ein Mensch war, der träumte, er sei ein Schmetterling gewesen, oder ob er jetzt ein Schmetterling sei, der träumt, er sei ein Mensch, zeigt nun Gemenetzis, dass der Traum "aus dem Geschehen der 'Wandlung der Dinge' heraus erfahren wird als dieses Geschehen selbst."(p.42). Diese Wandlung" sei aber nur möglich, weil z.B. Dschuang Dschou immer schon den Schmetterling in seinem Eigenen birgt und umgekehrt (p.46).
"Die Wandlung, die etwa zwischen Dschuang Dschou und dem Schmetterling waltet, hat längst einen Namen: Traum. Der Traum nennt eine Wandlung der Dinge, welche die Dinge, z.B. Dschuang Dschou und den Schmetterling in ihrem Verhältnis zueinander erst er-gibt."(p.46).
Aus dieser Wandlung der Dinge folgert Gemenetzis, dass unsere Identität mit uns selbst im Wachen und im Träumen nicht dieselbe sei. Der Begriff der Identität des Menschen mit sich selbst sei ein Irrtum. Der Mensch habe daher "nicht einmal ein eigenes Selbst zu verlieren. Der Tod (und das heißt auch: das leben) wird leicht."(p.42). Aber nicht nur der Mensch, sondern auch die Dinge sind für Gemenetzis nicht mit sich selbst identisch (p.46).
Anschließend erläutert Gemenetzis anhand der 8. Pythischen Ode Pindars den Menschen als eines Schattens Traum und geht zum Schluss auf "die Träume und die psychoanalytische Stunde" ein.
Nicht nur der naturwissenschaftlich geschulte, sondern auch der daseinsanalytisch ausgerichtete Leser wird vermutlich mit einigem Befremden den recht eigenartigen Gedankengängen Gemenetzis' über den Traum folgen. Gemenetzis war Schüler am Daseinsanalytischen Jnstitut für Psychotherapie und Psychosomatik in Zürich, das von Medard Boss und Gion Condrau gegründet wurde. Gemenetzis hatte hier die ausgezeichnete Möglichkeit, Traum-Seminare bei Medard Boss zu hören und dessen Schriften eingehend zu studieren. Die Einfachheit und Klarheit, in der Medard Boss in seinen beiden Traumbüchern das Wesen des Traumes darlegt,. vermisst man jedoch bei Gemenetzis. Da diese Klarheit den Ausführungen von Gemenetzis nur gefährlich werden kann, erstaunt es nicht, dass dieser in der Mitte seiner Schrift eine 5 Seiten lange Auseinandersetzung mit Medard Boss einschiebt. Darin verkennt er das Denken von Medard Boss von Grund auf und stellt buchstäblich alles auf den Kopf. Dies sei im Folgenden anhand einiger Beispiele gezeigt.
Wenn Boss z.B. von einem durch alles Wachen und Träumen sich durchhaltenden Selben spricht, nennt er damit nicht den cartesianischen Entwurf des Menschen als Subjekt, auch wenn Gemenetzis dies durch einen Satz Heideggers zu beweisen sucht (p.38). Heidegger erläutert an der genannten Stelle (GA 5, p.108) das "ego cogito sum" Descartes', in dem der Mensch als Subjekt das unbezweifelbar Zugrundeliegende und Maßgebende für alles ist. Boss hat wie Heidegger diese subjektivistische Vorstellung überwunden und sieht den Menschen gemäß den Einsichten Heideggers als Da-sein, als Offen-sein für das An-wesen des ihm Begegnenden. Daher bezieht sich Boss beim "Ich-sagen" nicht auf ein Subjekt-Ding, sondern auf das im Wachen und Träumen Sichdurchhaltende, das vom Sein für das Anwesen eines jeglichen gebraucht wird. Der zitierte Satz von Heidegger steht daher in einem ganz anderen Zusammenhang als das Gesagte von Boss, auch wenn das Wort "mitgegeben" von beiden genannt wird.
Während Gemenetzis lange über das "Ich" im Traum und im Wachen verhandelt, dabei aber dieses "Ich-Ding" seinem Wesen nach völlig im Vagen schweben lässt, kommt "ein Ich" bei Boss überhaupt nicht vor. Vielmehr nimmt Boss stets in daseinsanalytischer Weise Bezug auf das Da-sein oder auf das Ek-sistieren des Menschen im Sinne eines ungegenständlichen Bereiches von Vernehmen-können und von Weltoffenständigkeit. Darum bleibt es unerfindlich, wieso einer Boss ein Steckenbleiben in einem cartesianischen Subjektivismus vorwerfen kann.
Ebenso finden wir bei Boss keine platonistische Unterscheidung in eine sinnliche und übersinnliche Welt, wie Gemenetzis meint (p.39), wenn Boss von den Traumdingen als vorwiegend "sinnenhaft-wahrnehmbar Gegenwärtiges" und den ungegenständlichen Charakterzügen des Menschen spricht. Wohl dagegen nennt Boss mit jenem den vorherrschenden Anwesenheitsmodus der Traumdinge. Der Träumende aber ist wie der Wachende je nach seiner Gestimmtheit für das sich ihm Zeigende mehr oder weniger offen oder verschlossen. Es kommen daher im Traum fast nur die Dinge und Verhaltensweisen des Träumenden zum Vorschein, die dieser sinnenhaft zu vernehmen vermag. Ober die ungegenständliche Verfassung seines Charakters dagegen kann er wohl im Wachen nachdenken.
Auch Parallelen zwischen Boss und Freud in der Traumdarlegung, die Gemenetzis aufzeigt (p.40), kann es nicht geben, denn Freud deutet immer anderes in den Traum hinein und versteht die Träume als Folge von etwas Dahinterliegendem, während Boss die Träume ,so sieht, wie sie sich von sich selbst her zeigen und in ihrer Wesensfülle entbergen.
Heidegger hat die Ausarbeitungen von Boss über das Wesen des Traumes genau mit verfolgt und in Briefen und Zwiegesprächen mit Boss besprochen. Heidegger hätte daher Boss auf Fehler, wie Gemenetzis sie diesem unterstellt, aufmerksam gemacht, und Boss hätte sie auch selber gesehen. Denn Boss hat wie Heidegger die metaphysische Sicht überwunden, so dass es den Menschen als Subjekt, die Trennung in eine sinnliche und übersinnliche Welt und Parallelen zu Freuds Theorie über. den Traum in ihrem Denken nicht gibt.
Wie sehr Heidegger Anteil nahm an der Auslegung des Traumes durch Boss und mit ihm übereinstimmte/zeigen z.B. drei Stellen aus seinen Briefen an Boss: Brief vom 26. Januar 1952 aus Freiburg i.Br.: "... Hoffentlich waren Sie in den Ferien in einer fruchtbaren Wachheit für die "Träumen. Ich meine immer, die Arbeit könnte grosse grundsätzliche Bedeutung bekommen und alle Therapie aus der "Psychologie" herausdrehen. Ich bin gespannt, vom Fortgang Ihrer Ausarbeitung zu erfahren."
Brief vom 2. August 1952 aus Todtnauberg: "Der Umzug hieher hat meine Antwort auf Ihren freundschaftlichen Brief verzögert. Der beigefügte Abschnitt [Einleitung zu dem Buch von Medard Boss: "Der Traum und seine Auslegung", 1953] ist klar und richtig. Am Schlussabsatz wäre ein Zusatz günstig, der nur etwas verschärft, was Sie schon sagen und die ganze Arbeit durchzieht: nicht eine kausale Erklärung und Herleitung der Träume, sondern die Träume selber in dem, was sie sagen und in ihrer Welthaltigkeit bekunden, erst einmal zum Sprechen bringen; Träume nicht als Anzeichen und Folgen von etwas Dahinterliegendem, sondern sie selber in ihrem Zeigen und nur in diesem. Damit beginnt erst die Fragwürdigkeit ihres Wesens. ..."
Brief vom 9. September 1969 aus Freiburg i.B.: "... Während der Heimfahrthabe ich Ihre Bemerkungen zu Freud gelesen. Ich finde sie ausgezeichnet. ..."1
Die Aussagen Gemenetzis über den Traum entsprechen dagegen nicht den Einsichten Heideggers. Dies zeigt sich z.B. schon darin, wie verschieden beide das "Dass" erfahren. Bei Gemenetzis ist das "Dass", dass es die Träume gibt, "Der Traum" (p.21). Heidegger dagegen erfährt im "Dass': ,. dass etwas ist, das "Sein als solches", das alles, auch die Träume, aus sich entlässt. Darauf verweist auch Boss im Schlusswort seines Traumbuches "Es träumte mir vergangene Nacht ..." (p.247): "Zugleich ist das Sein als solches, ist dieses 'Es' das 'Woher', aus dessen Verborgenheit heraus alles Anwesende, auch alles Menschliche mitsamt seinen Traumphänomenen ins Unverborgene seiner Anwesenheit zum Vorschein kommt." Es ist "ganz und gar Vorräumliches, Vorzeitliches, Vormenschliches und Vordingliches."
Literatur
1 Heidegger, M.: Zollikoner Seminare, Protokolle - Zwiegespräche - Briefe, herausgegeben von Medard Boss (Klostermann, Frankfurt 1987).
Karin Schoeller-von Haslingen, Ruchenacher 17, CH-8126 Zumikon (Schweiz).
DR. MED. K GEMENETZIS
PSYCHOANALYTIKER
OMlROU 2 - GR 145 62 - KIFISSIA
TEL. 0030 -1 - 8080624
Athen, den 31. Mai I987
Ich danke Ihnen für die Besprechung meines Buches "Der Traum", die wohl in einigen Punkten eine Stellungnahme meinerseits erfordert.
Die Buchbesprechung gliedert sich in zwei Teilen, die sich inhaltlich und stilistisch auffallend voneinander unterscheiden.
Zum I. Teil:
Meine Kritik der verschiedenen Traumauffassungen kann vielleicht in Hinblick darauf gesehen werden, dass es üblicherweise versucht wird, einen Zusammenhang zwischen dem Wachen und den Träumen herzustellen. Diesen Zusammenhang zwischen Wachen und Träumen gibt es von sich aus nicht - er wird von den Menschen gefordert.
Bei nachträglichen Lesungen ist es mir noch deutlicher geworden, dass das Buch nicht um ein Thema aufgebaut ist, sondern eher einen Gang durch verschiedene Wörter darstellt: Identität (des Menschen mit sich selbst); Traum; Wandlung der Dinge; Nicht. Das jeweilige sofort verschwindet ins nächste: "Auf der Suche nachdem Traum wurde zunächst von der Setzung der Identität des Menschen mit sich selbst als Grund der Träume Abschied genommen. Sodann wurde der Traum selbst, -in einer ganz anderen Weise freilich, verlassen, insofern er in das aufging, was "Wandlung der Dinge" genannt wurde."(S..44)
Die Tragweite dieser Sache war mir damals nicht bewusst, und ich weiß immer noch nicht, wohin sie führe kann. Aber es ist nun mal so, nicht der Inhalt, sondern der Gang und seine Über-Gänge ist entscheidend. Deswegen lässt sich ein Überblick des Inhalts schwer, wenn überhaupt, erarbeiten. Dies wird auch an Ihrer Buchbesprechung (I. Teil) deutlich. Das entstandene Resümee bietet an einigen Stellen Anlass zu Missverständnissen. Vielleicht wäre das Buch eher so zu lesen, dass nicht hauptsächlich auf das "Was" seines Inhalts, sondern auf die Bewegung der erwähnten Wörter geachtet wird.
Zum 2. Teil (ab "Nicht nur der naturwissenschaftlich geschulte…")
Hier kommt nun ein anderer Stil. Anstelle des vorsichtigen, sich in kurzen Sätzen fassenden Referierens, wird die weitere Besprechung von einem schulmeisterlichen Ton bestimmt, meine Kritik an Boss' Traumauffassung und darüber hinaus die im Buch versuchte Annäherung zum Traum samt meinem Heidegger-Verständnis werden in großen Bögen durchlaufen und kurzerhand verworfen und abgekanzelt. Auf diesen Zug des 2. Teils der Buchbesprechung werde ich nicht eingehen. Ich werde aber die aufgeworfenen Sachfragen hier kurz behandeln.
I. "Boss hat wie Heidegger diese subjektivistische Vorstellung überwunden...", "daher", könne er das Ich nicht im subjektivistischen Sinne meinen. Hier liegt ein Fehler: Dieses "überwunden" hat erst an der Sache geprüft und aufgezeigt, nicht als Gegebenheit einfach hingestellt zu werden. Dieser Fehler, das Vorwegnehmen des eigentlich Aufzuzeigenden, unterläuft Boss oft, z.B. durch stereotype Wiederholungen der Art "...das Ek-sistieren des Menschen im Sinne eines ungegenständlichen Bereiches von Vernehmen-können und von Weltoffenständigkeit." Ich meine, gerade das lässt bei seinen Schriften eine gewisse Griffigkeit vermissen, die sie eigentlich verdient hätten.
2. Ich schreibe nicht, wir fänden bei Boss eine "platonistische Unterscheidung in eine sinnliche und in eine übersinnliche Welt", sondern, Boss' Unterscheidung von "sinnenhaft wahrnehmbar Gegenwärtigem" vs. "ungegenständliche Charakterzüge" werde nach der ersten "nachgebildet" (S. 39). Sicher, das "sinnenhaft wahrnehmbar Gegenwärtige" meint bei Boss einen "Anwesenheitsmodus". Aber auf diesen Anwesenheitsmodus und auf denjenigen des "Ungegenständlichen" kann Boss nur kommen, weil diese im abendländischen Denken von Platon als solche gesetzt worden sind. In der Sache selbst liegt diese Unterscheidung nicht. Selbst bei Heidegger ist sie nirgendwo zu finden. Die Träume können hier keine Ausnahme bilden.
3. "...so dass es den Menschen als Subjekt...nicht gibt." Die "Überwindung der Metaphysik" meint nicht, die Metaphysik gebe es nicht. Derjenige aber, der es so versteht, läuft Gefahr, sich als einen aufgeklärten Meister zu halten, der sich im Besitz des "wahren Denkens" wähnt.
"Überwindung der Metaphysik", so wie ich Heidegger verstehe, heißt aber nicht Vernichtung der Metaphysik und Abkehr von ihrem Denkweg, sondern das Wissen um das mit der Metaphysik zusammengehende und sie erst in ihrem Wesen erschließende "andere Denken". Der Ort des Denkens liegt auf der Kreuzung dieser Wege, die ständig mit dem Denken mitgeht (vrgl. EiM, S.84ff). Schon bei Parmenides "braucht es", χρη, beide Wege, den Weg der Aletheia und den Weg der Doxa (vrgl. "Dogma"). Eine Doxa ist der neuzeitliche Subjektivismus auch.
4. Die zitierten Briefauszüge Heideggers sind allgemein verfasst und hier irrelevant. Was Heidegger im Br1ef vom 2.8.52 ( 23 Jahre vor erscheinen des von mir behandelten Traumbuches Boss'...) programmatisch vorschlägt, "...nicht eine kausale Erklärung..." usw., entspricht meinem Anliegen vollständig. Es bleibt die Frage der Ausführung...
- Und sowieso, was kann der Segen eines "Grossen" alles beweisen?
5. Ist das Dass des Traumes mit Heideggers' Dass (etwas ist) wirklich unvereinbar? Das Dass des Traumes zeigt sich in meinem Buch als sein Name. Was heißt aber "Name"? Wird nicht mit einem Namen gerade das "ist" des Genannten mitgegeben? Das "Unterwegs zur. Sprache" kreist ständig um diese Frage.
6. "Zugleich... ist dieses 'Es' … Vordingliches ." Dazu, stichwortartig:
a. Das Es "ist" nicht. "Sein verschwindet im Ereignis"(zSdD, 22 b. Das Es meint kein "Woher", auch nicht in Anführungszeichen, denn alles Wo und alles Her bestimmt sich vom Es, nicht umgekehrt.
c. Das zum-Vorschein-Kommen alles Anwesenden ist nicht als ein Weg von der Verborgenheit ins Unverborgene vorzustellen. Das ist, wieder mal, platonistisch, dem Höhlengleichnis entsprechende Vorstellung des Bezugs zur Aletheia. Verborgenheit erscheint, als Verborgenheit, in der Unverborgenheit, so dass Verborgenheit und Unverborgenheit in einem "tautologischen" Verhältnis zueinander stehen. Dies meint das "Geheimnis".
d. Das Es "ist" keineswegs Vor-räumliches, -zeitliches usw. Ein "Vor" dem Räumlichen, Zeitlichen usw. ist undenkbar.
Mit freundlichen Grüssen,
P.S. Diesen Brief kann die Redaktion der von Ihnen nicht genannten Zeitschrift veröffentlichen, wenn sie es für angemessen hält. Ich würde es begrüßen. Kopien des Briefes gehen an einige Kollegen.