Βιβλιοκρισια: Medard Boss, Von der Spannweite der Seele
Περι της εκτατοτητας της ψυχης
Περιοδικο "Daseinsanalyse", 1.1.1984, S. 73-74.
Περιοδικο "Daseinsanalyse", 1.1.1984, S. 73-74.
Das neue Buch von M. Boss enthält "Ausgewählte Vorträge und Aufsätze aus den Anwendungsbereichen des daseinsanalytischen Menschenverständnisses". "Von der Spannweite der Seele": der seltsame Titel will in das Denken des Autors einführen. Auf der hinteren Umschlagseite des Buches, sozusagen beim Schlusswort, stößt der Leser auf einige ebenso seltsame Worte: "Bei seelisch-geistig Kranken... sind Wände aufgerissen, die die Augen der <Gesunden>... mildtätig vor den zu grellen Blitzen aus den himmlisch höllischen Abgründen des uns zugleich umfassenden und unzugänglichen Abgrundes zu schützen pflegen".
Den durch die aufgerissenen Wände sich öffnenden Bereich erblickt Boss als die"Spannweite der Seele". Die Seele: darin spricht die griechische Psyche, anfänglich Hauch und Atem bedeutend - wo allerdings die Luft nicht auf ein Gasgemisch und dessen Aus- und Einholen, nicht auf die Atmungsfunktion reduziert ist. In der "Luft" liegt das "Zwischen", das Offene. Was uns überhaupt angeht und anspricht, liegt "in der Luft". Vor allem diese Luft atmet das menschliche Lebe-Wesen, schon immer in ihrer abgründigen Weite ausgespannt, schon immer in ihrer abgründigen Versammlungskraft eingespannt (vgl. p. 8, ferner M. Heidegger, Gesamtausgabe, vol. 55, p. 281).
Bei der so erfahrenen Seele kündet sich eine Spann-weite. "Spannweite" wiederum, als Grundzug der menschlichen Existenz erfahren, nennt die Seele. "Seele"und "Spannweite" sagen dasselbe, sie bewegen sich im Kreis aufeinander zu. Im Titel des Buches liegt eine Tautologie - und doch kein logischer Fehler. Denn mit dieser Tautologie trifft Boss in knapper, fast dichterischer Form den Kern des phänomenologischen Denkens, das Heidegger zunächst den (hermeneutischen) "Zirkel" und zuletzt das "tautologische Denken"nannte. Dieses Denken bleibt am Ort, "bei der Sache selbst". Solch eine Tautologie spricht in der "Spannweite der Seele" nicht leer und überflüssig, sondern "überreich und überfließend". Ob der Seele-Spannweite-Kreis gerade in den Bereich übergeht, der sich hinter den aufgerissenen Wänden auftut?
Ja. Wie auch in Boss' früheren Schriften geht es vor allem um diejenigen Wände, die mit der von "Gesunden" entworfenen Oberflächen- und Tiefenpsychologie hochgeschossen sind. Zum Beispiel der Anspruch an die Psychotherapie, "rational" zu sein (p. 9ff.). Oder der Anspruch, Phänomene wie die Schuld und das Gewissen (p. 69ff.), das Unbewusste (p. I32ff.) zu erklären. Oder das naturwissenschaftliche Selbstmissverständnis der Psychoanalyse bei der Erläuterung des Phänomens des Widerstandes (p. 111ff., in Zusammenarbeit mit Alice Holzhey-Kunz). Oder die Psychologie im Ganzen als die Wand, die den Menschen einzugrenzen, zu be-greifen und also in den Griff zu bekommen versucht (besonders: "Triebwelt und Personalisation", p. 151ff.).
Sind die vielfältigen Wände aufgerissen, findet sich der Psychotherapeut in kein Spezialfach einer Psycho-Wissenschaft eigentlich gehörend, sondern - in seine Weltzeit. So geschieht bei Boss eine Grundlegende Auseinandersetzung mit der Wand aller Wände, als welche der Geist der modernen Technik den Menschen unserer Epoche in Anspruch nimmt: "Der korrespondierende Wandel von Gesellschaftsqualität und Neurosenformen im 20. Jahrhundert" (p. 28fT.), "Angst und christliches Vertrauen" (p. 46fT.),"Sprache und Angst im technifizierten Zeitalter) (p. 61ff.), "Abriss der Psychotherapieentwicklung im 20. Jahrhundert" (p. 182ff.).
Durchgehend wird dem in immer umfassenderen Vernetzungen sich ausbreitenden naturwissenschaftlichen Denken das in sich kreisende tautologische Denken der Sache selbst entgegengestellt. Was dieses zu den obenerwähnten Themen zu sagen hat, möge der Leser beim Studium des Buches selber erfahren. Hier nur noch eine Bemerkung: die phänomenologische Haltung, beim Ort ihrer Sache bleibend, bedingt ein <zunächst als überflüssige Wiederholungen des Gleichen" (p. 8) erscheinendes Vorgehen. Gerade dort aber wird der Leser eine der Phänomenologie innewohnende Stille mit der Zeit erkennen - dies auch im Unterschied zum gehetzten, auf Fortschritt gebannten Denken der naturwissenschaftlichen Logik.
Die Stimmung dieser Stille, die alles andere als ein Stillstand ist, tönt auch im letzten Beitrag, wo einiges aus dem Leben und aus dem Denken Heideggers von seiner mit Boss gemeinsam verbrachten Zeit zur Sprache kommt ("Dank an M. Heidegger), p. 211).
Konstantin Gemenetzis, Zürich