Wildbader Badeblatt 2013

„Andere Kranke, wenn die Herren Ärzte nichts mehr wissen, werden in die Bäder geschickt, wo sie dann sterben mögen.“

Ludwig Tieck, Der Gelehrte

Wildbader Badeblatt Sommer 2013 für Gustl Mollath

Für die Kurruine Bad Wildbad im Nordschwarzwald mag auch in dieser Saison kein Bäderfreund mehr die Hand ins Wasser legen. Weiträumig umfährt er die trostlose Wellnesswüstenei am Flüsschen Enz, denn außer Schwermut, Langeweile und Lustverzicht hat die demolierte Karikatur eines schwäbischen Kurorts weiß Gott nichts zu bieten. Wer hier allein ist, wird es lange bleiben. Ein galliger Humor ist da und dort zwar noch vernehmlich, aber seine Bitterkeit bleibt einem im Hals stecken. Liebe ist auch abgeschafft oder führt ein Schattendasein. Käufliche ist seit langem im Wildbad Lust von gestern. Die Damen haben schon vor Jahren das Weite gesucht oder praktizieren und beraten heute im unweit gelegenen Baden Baden. Die letzte Geschäftsführerin des letzten Wildbader Freudenhauses ließ an dessen für immer geschlossene Himmelstür eine Gedenktafel mit folgender Aufschrift anbringen:

„Der Umsturz des Mutterrechts war die weltgeschichtliche Niederlage des weiblichen Geschlechts. Der Mann ergriff das Steuer auch im Hause, die Frau wurde entwürdigt, geknechtet, Sklavin Lust und bloßes Werkzeug der Kindererzeugung. Diese erniedrigte Stellung der Frau, wie sie namentlich bei den Griechen der heroischen und klassischen Zeit offen hervortritt, ist allmählich beschönigt und verheuchelt, auch stellenweise in mildere Form gekleidet worden; beseitigt ist sie keineswegs.“

F. Engels, Der Ursprung der Familie (1884)

Noch heute hängt sie an der Pforte des ehemaligen Bordells Mutterrecht und erinnert an die großen Zeiten Wildbads, an welche sonst dort nichts mehr erinnert. Denn auch die Erinnerung ist hier, wie alles andere, dem Erdboden gleich gemacht worden. Auf ihm tummeln sich die überall gleichen Charaktermasken und Schäker. Ihr Dialekt, allem Hohn und Höhnischem besonders bekömmlich, weist sie oft als Narren schon aus, noch bevor sie mehr gesagt haben als ihr leutseliges grüß Gott!

Die Stadt ist pleite und lebt die Pleite. Ihr Mikrokosmos ist das kleine Abbild der großen Misere; ihre Lügen sind so konventionell und verschroben wie alles innerhalb ihrer Stadtmauern. Um miese Prädikate braucht hier keiner verlegen zu sein. Der Ort erklärt sich von selbst und ganz allein zum Unort. Und wer noch auf Geld setzt, verpokert sich, denn selbst Geld macht hier nicht glücklich. Weshalb Glücksritter, Reiche und andere Emulgatoren den Abort Wildbad meiden.

Ralf Frodermann VIII 2013