Prüfung 1979 / Muster

Ich habe zuerst die vielerlei Ziele Derjenigen anzugeben, welche nur des Kampfes und Wetteifers wegen disputieren. Dieser Ziele sind fünf, nämlich die Widerlegung, das Falsche, das Unglaubwürdige, der Sprachfehler und fünftens die Verleitung des Gegners zu leerem Geschwätz. (Dies besteht darin, dass der Antwortende genötigt wird, vielmal dasselbe zu sagen.)

Entweder wollen die Sophisten diese Ziele wirklich erreichen, oder doch wenigstens scheinbar. Am meisten trachten sie danach, den Gegner scheinbar widerlegt zu haben; an zweiter Stelle suchen sie darzutun, dass der Gegner Falsches behauptet habe; drittens suchen sie ihn zu unglaubwürdigen Behauptungen zu verleiten; viertens suchen sie ihn zu Sprachfehlern zu veranlassen (dies geschieht dadurch, dass der Antwortende in Folge der Erörterung zur Begehung grober Sprachfehler gebracht wird); endlich suchen sie ihn zu nötigen, dass er viele mal dasselbe sagt.

Aristoteles, Sophistische Widerlegungen (3)

Philosophicum: Egon Ehrlicher, cand. phil.

Protokoll der mündlichen Prüfung

Biergarten der Universität Bockwurst 4. Mai 1979 22 Uhr – 23 Uhr 15

    1. Prüfer: Prof. Bobby Holunder

    2. Prüfer: Ernst Wimmer (Hausmeister und Protokoll)

Prof. Holunder: Ja, dann wollen wir mal die Lesefrüchte keltern.

Ehrlicher: Wie bitte?

Prof. Holunder: Schnäpschen?

Ehrlicher: Ja gern, und ein Schwarzbier, bitte.

Prof. Holunder: Später essen wir noch was, aber jetzt prüfen wir dich, obwohl ich persönlich solche

Prüfungen, insbesondere im Fach Philosophie, immer für unangemessen hielt. Wer

die Dinge ernst nimmt, – und das tun doch wohl alle, die ein solches Fach studieren!-

kennt nicht allein die Texte, sondern auch den Forschungsstand und die Kritik.

Jedenfalls vom Hörensagen oder Googeln. Gottesbeweise zum Beispiel abzufragen,

scheint mir blödsinnig zu sein. – Bist du Deist?

Ehrlicher: Nein.

Prof. Holunder: Daraus schließe ich dass du eine Wahrheitstheorie hast oder?

Ehrlicher: Nicht direkt.

Prof. Holunder: Gut; worauf gründet wohl die Einheit des Mannigfaltigen? Die modernen

Naturwissenschaften haben sie ja unter Kuratel allgemeiner Gesetze zu stellen

versucht. Danach ist an eine Kritik diesbezüglicher Gesetze nicht zu denken.

Ehrlicher: Keinesfalls.

Prof. Holunder: Moralische Normen besitzen die Dignität solcher Gesetze nicht.

Ehrlicher: Nein.

Prof. Holunder: Ist etwa die Denkform das Zugrundeliegende, das hypokeimenon?

Ehrlicher: Glaub‘ ich nicht.

Prof. Holunder: Ich auch nicht, Junge; gesetzt den Fall, die Vernunft befasse sich prinzipiell nur

mit ihr lösbaren Problemen, mit ihr zumutbaren sozusagen, was ist dann diese Welt?

Ehrlicher: Ein unvernünftiges Problem?

Prof. Holunder: Bedenke ich Ort und Zeit unserer Prüfung jetzt, habe ich nicht diesen Eindruck.

Ehrlicher: Sie machen es einem nicht leicht.

Prof. Holunder: Wir wollen zur Interpretation übergehen. Was hast du ausgesucht?

Ehrlicher: Den Schluss aus Bacons NOVUM ORGANON.

Prof. Holunder: Lies vor!

Ehrlicher:

„ Denn der Mensch hat durch den Sündenfall seinen Stand der Unschuld und seine Herrschaft über die Geschöpfe verloren; aber Beides lässt sich schon in diesem Leben einigermaßen wiederherstellen; das Eine durch die Religion und den Glauben, das Andere durch die Künste und Wissenschaften. Denn die erschaffene Welt ist durch den Fluch nicht durchaus und bis auf das Äußerste widerspenstig gemacht worden, sondern sie kann in Folge jenes Ausspruchs: »Im Schweiße Deines Angesichts sollst Du Dein Brod essen«, durch mancherlei Arbeit, aber freilich nicht durch Disputationen und nutzlose Zauberformeln, zuletzt wenigstens teilweise so weit unterworfen werden, dass sie dem Menschen sein Brot gewährt, d.h. den Zwecken seines Lebens dient.“

Prof. Holunder: Dann können wir ja jetzt essen.

Ralf Frodermann VIII 2013