Pornologie

"I can't define pornography," one judge once famously said, "but I know it when I see it." Justice Stewart in Jacobellis v. Ohio 378 US 184 (1964)

Pejorative Pornophonie / Alltagsprachbilder im Pansexismus (zuerst gekürzt erschienen in jungle world 27.10.2011)

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Aus der Kunst der Beleidigung ist ein obszönes Denunziationshandwerk geworden, das Götz von Berlichingen wenigstens noch beherrschte. Heute ist es mit dem „gesittet ‘Pfui!‘ sagen“ gründlich vorbei; Sottisen, Affronts und Invektiven sind tote Waisenkinder gegen die vernichtungswilligen Grobschlächtereien, die an ihre Stelle traten und deren Heimstatt die Fäkalsprache- härenes Sprachkleid der Pornographie- bildet.

„Das, der, die ist doch total Porno!“, so erbricht sich der Aufgebrachte, und man meint neben diesem, den Sprechakt entzündenden Affekt einerseits, zugleich sein Unbehagen darüber mit zu vernehmen, nicht augenblicklich zuschlagen zu dürfen, andererseits seine Wut auf die hinderliche Sprache, die nur als schlechter, dazu noch unsterblicher Stellvertreter des Totschlags, der leider nicht a fonds perdu zu haben ist, fungieren kann. Im Modus des Ordinären erweist sich Sprache als Ersatzhandlung par excellence.

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„Fick dich!“, „Leck mich!“ oder „Schwanzlutscher!“ sind Missbilligungsbekundungen in Fluchgestalt und zählen zum sprachlichen Routinearsenal derer, die in Standardsituationen unwillkürlich reagieren müssen, sei es im inneren Dialog, beim Chef, auf der Straße oder im Stoßgebet, wo Hass und Lust und Angst nicht mehr voneinander zu trennen sind. Wie die Dinge liegen, können Flüche zugleich, und nicht eben selten, Ehrerbietungsbezeugungen in bizarrer Koseform sein. Der Sexus stimmt immer noch milde oder obszön; aus der Sprache ist diese Differenz getilgt.

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Ans Genus Humile grenzt abschüssig die Vulgärsprache. Ihr Ozean ist die Gosse, ihre Abgründe tun sich vor Pfützen auf. Sie spricht nicht, sie exekutiert zotenhaft . Ihre Domäne ist dabei nicht die komplexe Tirade, sondern der lakonische Sprengsatz. In der Orgie des Überdrusses entlädt sich die zuschlagende Wortohrfeige als Orgasmus ohne Erlösung, Epigrammatik des Kurze- fuffzig- Machens.

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„Liebt er dich noch oder leckt er dich schon?“ – Kaum einer ist noch genant. Immer geht es gleich zur Sache, auf die Schamteile der Dinge, Informationen und Anderen zu. Ein Gespräch dominiert, wer befugt, willens oder in der Lage ist, es abrupt zu beenden oder neu zu akzentuieren. Manche verstehen sich darauf, noch den vermeintlich sachlichsten Gesprächsinhalten eine pornografische Note zu geben. Eines dürftigen Kalauers wegen erfährt das Gespräch eine Wendung zum Geschlechtlichen, um im Abtritt verblüfften Grinsens zu versinken; ein rhetorischer Kniff, den heute jeder beherrscht: die Kunst des gröbsten Übergangs.

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Clelands FANNY HILL oder die Sachen des Marquis de Sade locken heute keinen Abgefeimten mehr hinterm Paravant hervor; Libertinage ist Zinnober und Erotomanie Humbug. Die Erzeugung schmerzlindernder Geilheit ist schon längst keine Domäne der Literatur mehr, sondern Teil des ikonografischen Betriebs. Hier geht es nicht mehr um narrative Figuration, sondern um den möglichst umstandslosen Einbruch des unverklärten Bildes ins zentrale Nervensystem.

Für die entfesselte Fadheit pornografischer Claims scheint sich die Sprache rächen zu wollen, indem sie die Höhenzüge des Sinnlichen mit den Attributen der Kloake, der Niedertracht und Verzweiflung versieht und nur befeuernd wirksam ist, der Sprechende akklamiert sich selbst. Ein lässlicher Narzissmus.

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Angesichts zunehmend obszöner sich darbietender sozialer Umstände, verschlägt es nicht nur den unmittelbar und zunächst Betroffenen die Sprache. In dem französischen Film THEMROC aus dem Jahr 1973 ist die Einsilbigkeit der gar nicht so komplexen spätkapitalistischen Gesellschaften, ihr ureigenes Gesetz des Äquivalententauschs, ihr Anachronistisches, mörderisch Akzidentelles und Kontingentes, auf den filmischen Begriff gebracht. Dieser Tonfilm kommt, wie sein sozialpornographischer plot, mit zwei Silben aus: ROCTHEM/THEMROC. Die onomatopoetische Absage an den ubiquitären Schweinestall hat keinen Adressaten mehr, keine Semantik. Die gesellschaftlich verordnete Lust am gesellschaftlichen Spektakel macht nicht selten irre und schweigsam. Jugend hat hierfür ein Organ, sie nennt diesen Vorgang pathischer Rationalisierung „einen Film schieben“. Dass alle diese Filme Pornofilme sind und „Porno“, muss unter den gegebenen Umständen nur noch stilschweigend vorausgesetzt werden. Der exoterische Rest der esoterischen Rede ist Gerede, Reprise des Geredes, schon oft gehört, wie jeden Pornofilm schon oft gesehen. Dass und das „Ich ficke“, muss alle meine Vorstellungen begleiten können.

Aber noch als Tier hat der Mensch Sprache.