Bruno Liebrucks: Philosophie von der Sprache her. Ein Lesebuch zur Einführung in
Sprache und Bewusstsein.
(Herausgegeben von Ulrike und Fritz Zimbrich) Peter Lang Verlag, 2011
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„Was teilt die Sprache mit? Sie teilt das ihr entsprechende geistige Wesen mit. Es ist fundamental zu wissen, dass dieses geistige Wesen sich in der Sprache mitteilt und nicht durch die Sprache.“ W.Benjamin, Über Sprache überhaupt und über die Sprache des Menschen
„Immerhin ist die Haltung des Herrn Liebrucks derart, dass man auf allerhand von ihm gefasst sein muss.“ Adorno an Horkheimer 24. Januar 1969
Vom Einfrieren Kritischer Theorie zum Triumph der Mystagogen
An Schopenhauers maßlosen Invektiven gegen Universitätsphilosophie und Berufsdenken kühlt heute noch manch einer sein Mütchen. Doch selbst die innerakademische und immanente Kritik der Philosophie erreicht in Zeiten ihrer totalen Parzellierung nicht mehr ihr Ziel, d.h. ihre Selbstaufhebung, und gedeiht demnach bestenfalls als unerbetene Legitimationsinstanz im Schatten funktionaler Wissenschaften oder esoterischer Bewegungen ebenso kränklich wie unbekümmert weiter.
Nach materialistischer Kritik a la Geschichte und Klassenbewusstsein kräht sowieso kein akademischer Hahn mehr; sie fristet ein Dasein als Aftermieterin des Zeitgeists, jederzeit von Kündigung und Räumung bedroht. (Vergl. etwa aktuell zu Georg Lukacs: Markus Bitterolf, Denis Maier /Hrsg.: Verdinglichung, Marxismus, Geschichte. Von der Niederlage der Novemberrevolution zur kritischen Theorie. Freiburg, 2012)
Die Koketterie mit Kritik, der post-kritische Gestus überhaupt, ist an ihre Stelle getreten.
Daneben gingen, ungeachtet ihrer objektiven Erledigtheit, dickleibige Systemphilosophien weiterhin in Produktion. Hermann Schmitz’ System der Philosophie, das Elaborat einer nach-husserlschen, sogenannten „Neuen Phänomenologie“ wäre hier zu nennen. (Vgl.: J. Vahland: Philosophieren mit Hitler. Hermann Schmitz bekennt Farbe. in: ZENO Heft 21 1999 S. 88ff.)
Bruno Liebrucks, seit 1959 Ordinarius für Philosophie in Frankfurt am Main, legte zwischen 1964 und 1979 sein siebenbändiges Hauptwerk Sprache und Bewusstsein vor, das die Herausgeber der anzuzeigenden Textsammlung mit dem heute selten verwendeten Epitheton „epochal“ versehen. Tatsächlich handelt es sich um einen eklektischen Beitrag zur existential-ontologischen Heideggerei jener Jahre: „Damit aber ist Sprache nicht nur ‚Mittel’ und Werkzeug zu Erkenntnis und praktischem Umgang mit der Welt, sondern ist in allen Vollzügen menschlicher Weltbewegung Eröffnung des Seins.“ (S.27)
Neben Auszügen aus Liebrucks’ opus magnum enthält der Reader Beiträge zu Festschriften, Aufzeichnungen aus dem Nachlass sowie, unter dem Titel „Das nicht automatisierte Denken“, seinen manierierten Beitrag zum 1975 bei Meiner erschienenen Band II der Reihe Philosophie in Selbstdarstellungen.
Sprache im technischen Zeitalter
„Da wir heute in einem Zeitalter der Verwissenschaftlichung aller unserer Lebensbezüge leben, ist die Auseinandersetzung mit der Signatur des wissenschaftlichen Denkens immer zugleich die Auseinandersetzung mit unserer gesellschaftlichen Situation.“ (S.44)
Kommunikation
„Denn die Sprachen verbinden die Menschen durch ihre Verschiedenheit.“ (S.107)
Reaktionäre Kulturkritik und Leidkitsch nach Nietzsche
„Amoralische Neutralität trat längst an die Stelle des Menschen. Übertiere machen sich breit und stellen den Bewusstseinsbahnen die Weichen. ... Legitimes Verbrechen ist da. Propagierung des Regelhaften, des Logischen also, steht auf der Spitze des Unheils, intelligent, lächelnd und stumm.“ (166)
Rhetorik der Reaktion
„Ein Rückfall in die vordialektische Stufe des Denkens, die kritische, kann heute nur noch totalitären Tendenzen dienen.“ (S.222)
In Feld und Tornister/Dezisionismus und das Grollen der Stahlgewitter
„Überall ist das Glück, wo man das seiner Lage Entsprechende tut.“ (S.242)
Herausgeberglück als Wille zur Hagiographie/Revision in Parenthese
Ihrem Vorwort schicken die Herausgeber einen Aphorismus des einschlägig salonfähigen Nicolas Gomez Davilas voraus: „Die Philosophie löst keine Probleme. Sie lebt sie auf einem bestimmten Niveau.“
Nachfolgend heißt es: „Bruno Liebrucks wollte begreifen, was in den 12 Jahren faschistischer Herrschaft – oder besser (sic!) – in den Jahren der Weltkriege mit ihm, mit seinem Volk, mit dem Weltendchen (sic!) Europa, dem europäischen Geist geschehen ist.“
Der in Psychiater- und Ideologenkreisen beliebte, formelhaft- pejorative Gebrauch des Begriffs „Weltanschauung“ in kompromittierender Absicht findet auf Liebrucks’ Schriften keine Anwendung. Seine Sachen sind Füllselmaterial, Füllmasse affirmativen Denkens und insofern jederzeit da gefragt, wo geistige Watte und diskursive Holzwolle grassieren sollen.
Diese nimmermüde Nachfrage dürfte der Grund ihrer neuerlichen Exhumierung sein, auf deren Rezeption man gefasst gespannt sein darf.
Ralf Frodermann 2012