Brausepulver und Labore

Synkretismus aus Gewohnheit

Über ein aktuelles Vademecum zur Regression

Zu den perfideren Begleitumständen der Komplizenschaft mit dem Unheil zählt die Beflissenheit, mit der sie ins Werk gesetzt wird.

Im „Verlag an der Ruhr“, der sich der Produktion schulpädagogischen Ratgeberschrifttums verschrieben hat, ist jüngst der von Ulrike Hinrichs, Nizar Romdhane und Markus Tiedemann verfasst Band „Unsere Tochter nimmt nicht am Schwimmunterricht teil! 50 religiös-kulturelle Konfliktfälle in der Schule und wie man ihnen begegnet“ erschienen.

In „Bildung und Erziehung“, „Organisation von Schule“, „Körper und Kleidung“ sowie „Mann und Frau“ gliedert sich das Buch und handelt in seinen entsprechenden Abschnitten exemplarische Interessenkonflikte ab. An keiner Stelle lassen die Autoren dabei prinzipielle Zweifel an ihrem methodischen oder argumentativen Vorgehen erkennen, sondern konfrontieren in naiver Pragmatik fünfzig apodiktische Elternvorschriften nach dem Muster des Buchtitels mit der bundesrepublikanischen Rechtslage. Daneben erläutern sie den jeweils sogenannten „religiös-kulturellen Hintergrund“ und geben schließlich „Anmerkungen und Empfehlungen“.

Um von Anfang an dem Eindruck entgegenzutreten, es handele sich beim vorliegenden Ratgeber für in multikulturellen Kontexten agierendes Personal etwa nur darum, Verständnis für islamische Unsitten zu erheischen, kommen die Autoren schon unter Musterkonflikt 3 auf die folgende ethnomethodologische Schnapsidee: „Unser Kind wird am Montag nach seiner Konfirmation der Schule fernbleiben, um sich (seinen Rausch) auszuschlafen“.

Selten wohl waren Klammern hämischer in Gebrauch als diese beiden hier um „seinen Rausch“. Aus diesem Befund ließe sich zwanglos eine ganze Kulturgeschichte deutschen Ressentiments entwickeln. -

Dass Thora, Bibel und Koran nur drei Fieberkurven einer Krankheit sind, muss von den Autoren nicht eigens expliziert werden, ist es doch ideologisches fundamentum inconcussum, raison d’etre ihrer wie aller anderer Humanisten solchen Schlages.

Sie sind die Freunde der „offenen Gesellschaft“ und möchten deren Feinde, die sie nie als solche titulieren würden, mit, falls nötig, sanftem Nachdruck in ihr herrschaftsfreies Kommunikationswellnesshotel, für das sie die Welt halten, einladen.

Die Methode der Konfrontation von Ist- mit Soll-Zuständen, derer sich die Autoren bedienen, entstammt der Buchhaltungssphäre. Ihr eignet das Vertrauen ins legitimatorische Verfahren, in die Gesetzgebung überhaupt.

Solchem Geist ist die denunziatorische Kritik, die Form bestimmter Negation, ein widerliches Unding. Einer bündigen Schmähkritik etwa des europäischen Alltagsislams, wie sie Thomas Maul vorgelegt hat, sieht sie sich fassungslos gegenüber.

Dass Religionsfreiheit Freiheit von, nicht Freiheit zu religiösen Konzepten in der europäischen Moderne bedeutet, kommt ihm nicht in die Wundertüte.

Und wodurch ein beliebiger Aberglaube einen Anspruch auf Respekt Dritter begründen will, stellt sich ihm erst gar nicht.

Denn alles, außer der Lehre von den Weltanschauungen, ist ihnen Weltanschauung. Diese wissenssoziologische Klippschuldoktrin sickert mit dem vorliegenden Ratgeber einmal mehr in die kollabierten Schulen. Dort, wo vielfach Unterricht in offene Feldschlacht übergegangen ist, werden sie um so weniger als Palliativa taugen, je praktikabler sie scheinen.

Nach dem Krieg stand in Deutschland Lessings Nathan der Weise auf vielen Theaterspielplänen. So pädagogisch verstand man hier einmal zu trauern; und so wundert es denn auch kaum einen mehr, wie man sich heute darauf versteht, den Terror zu pädagogisieren.

Ralf Frodermann VII 2012 (Anlage/Lehrerhandreichungen)