Tagebuch St. Peter Ording

4. Januar

Und sie leitet ihn leicht durch die weite Landschaft der Klagen

Rilke, Duineser Elegien (X)

Vom kleinen Flugplatz in St.Peter Ording geht es heute Richtung Triest.

Fortsetzung hier

3. Januar

Ein philosophischer Hoffnungsschimmer unter Transcendentallogikern:

"..., solches Allein-Sein änder noch nichts an dem natürlichen Weltsinn des Für-jedermann-Erfahrbar, der auch dem natürlich verstandenen Ich anhaftet und nicht verloren ist, wenn eine universale Pest mich allein übriggelassen hätte."

Edmund Husserl, Cartesianische Meditationen (V §44)

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Stand des Vergessens

Water closet, closet water...

Ists in Wahrheit doch,

Mater alma, alma mater -

Nur ein Jaucheloch.

Afanassi Fet (1820-1892)

Den guten Fet hat die Jubiläumsjubelei des vergangenen Jahres glatt vergessen.

Alexander Blok schrieb schon 1920 an seinen Cousin über ihn:

"Ja, er ist mir sehr teuer, obwohl man sich seiner nicht oft erinnert in diesem Staub."

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Abreise nach Triest erwogen. Meine Frau noch skeptisch. Doch kann man die Einladung ins Schloss Duino ablehnen?

(Bisher vergebliches Suche nach Beethoven im Himmel von Boltzmann unter meinen Papieren. Für Vortrag dringend benötigt!)

2. Januar 2021

Im Heim

Geschunden sitzt der alte Furz

unter seinem Fenstersturz;

und sinnt den vielen Weibern nach,

die er dereinst besessen.

Schon ruft man ihn beim Namen, ach,

zum Vögeln nicht - zum Abendessen.

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Das neue Jahr hebt an wie das alte schloss: mit "eigenwilliger akrobatischer

Wortkunst".

So lautsprechert der wackere Lyrikprofessor Segebrecht in seiner heutigen, honigreich-windelweichen Besprechung eines neuen Gedichtbandes von Kathrin Schmidt in der FAZ.

für meine begriffe war es zu spät

dichtet die Dichterin Schmidt ihrerseits in ihrem Gedicht phrasenstrukturgrammatik aus dem neuen Band.

Für meine war es zu blöd.

31. Dezember

Während alle Welt von "neuer Verletzlichkeit" schwafelt, erklären mir gestern zwei wolgadeutsche Frömmlerinnen auf dem Deich ihr Warten auf die "alte Bußfertigkeit".

Senecas ducunt fata volentem, nolentem trahunt mag nicht nur Spenglers Hauptwerk abschließen, sondern auch dieses Jahr 2020.

30. Dezember

Höchst amüsant die Lektüre der kleinen Schrift Aufhören des Marburger Kollegen Geus (Basilisken-Presse 2014). Es gibt offenbar ein Leben nach der Emeritierung, in aller Regel ist es ein bessere.

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Ich habe nichts gegen Fremdwörter, ausgenommen veraltete.

So sage ich nicht lukulent, wenn ich luzide meine.

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Francis Bacons opusculum Weisheit der Alten (dt. 1990) gibt einen Begriff von der Arbeit am Mythos.

Hans Blumenbergs gleichnamiges opus magnum (1,2 oder 3) bildet dazu die enzyklopädische Fußnote.

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Gewisse Lyrik ist ungenießbar geworden, wie saure Milch (Wolfgang Weyrauch, s. sein Ezra-Pound-Gedicht).

Literaturgeschichte der Eckensteher (poeta supplex).

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Champagner kühl, ausschlafen!

29. Dezember

"Warum trinken Schwämme, aber werden nicht betrunken."

Athenaios, Das Gelehrtenmahl (I)

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Jahresrückblick mit Oswald Spengler aus Blankenburg, Harz:

"Einst durfte man nicht wagen, frei zu denken; jetzt darf man es, aber man kann es nicht mehr. Man will nur noch denken, was man wollen soll, und eben das empfindet man als seine Freiheit."

zit. nach T. W. Adorno, Spengler nach dem Untergang (Prismen GS 10.1 S.53)

Blankenburg und Wolfenbüttel sind Partnerstädte; in Wolfenbüttel tragen sie den Lessing gern vor sich her, den Spengler lassen die Blankenburger dafür lieber im Eiskeller.

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Der neue Weinschwelg

(Salatbadereien I)

der Leser geht zum Zeitungsrohr,

holt seine F.A.Z. hervor,

und freut sich an dem Zeitungsblatt,

das nachts man ihm geliefert hat.

(aus einer Leserzuschrift an die FAZ heute)

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Viele defekte Exemplare der menschlichen Natur (Schopenhauer) auf Masken-Achse.

24. Dezember

Rapprochement / nomen est omen

Den "breimäuligen Faselhans" des heiligen Abends gibt heute Mirko Bonné in der FAZ.

In seiner verschmockten Gefälligkeitsezension in erklärungsbedürftiger Aufbruchprache - "Martins Gedichte setzen diesem Verschluss eine Öffnung entgegen." - des neuen Gedichtbandes (Rückruf. Gedichte. Leipzig, 2020) seiner Kollegin Marie T. Martin schwingt sich der Kritiker zum bewegten Epochenzeugen auf:

"Mit 'Rückruf' legt Marie T. Martin einen wegweisenden, womöglich epochalen Gedichtband vor- fein komponiert, anrührend und erstaunlich in jeder Zeile."

Wie vor ihr nur:

https://sites.google.com/site/universitaetbockwurst/ad-gruenbein-ii

https://sites.google.com/site/universitaetbockwurst/schreibwerkstatt/obtrectatores/obtrectatores-5-auf-den-nutellaklippen

https://sites.google.com/site/universitaetbockwurst/ad-gruenbein/scholien/emendationen/love-is-better-than-vendatta

https://sites.google.com/site/universitaetbockwurst/system/app/pages/search?scope=search-site&q=scheuermann

https://sites.google.com/site/universitaetbockwurst/system/app/pages/search?scope=search-site&q=rinck

und - unausgesprochen - vermutlich er selber:

https://sites.google.com/site/universitaetbockwurst/system/app/pages/search?scope=search-site&q=bonne

sowie die unvermeidliche „sist zappenduster im gedicht, welche sprache es wohl spricht?“ - Uljana Wolf:

https://sites.google.com/site/universitaetbockwurst/gaestebuch-holunder/potsdamer-tagebuch-sommer-2020/lichtenthaler-tagebuch-sommer-2020-fortsetzung-des-potsdamer-diariums/heringsdorfer-tagebuch-fortsetzung-lilienthal/tagebuch-st-peter-ording

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Weihnachtsspaziergang nach Westerhever. Taxi zurück.

Ein bibliophiles Exemplar von Stendhals Über die Liebe (in japanischer Sprache in diesem Jahr) überreiche ich, wie jedes Weihnachten, am Leuchtturm angekommen, meiner Frau. Einer meiner alten Ticks.

(Stendhals Über die Liebe ist naiv, wie Balzacs Physiologie der Ehe sentimentalisch ist. Das nenne ich lectio divina.)

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"Auch in der Sexualität ist der Gebrauchswert im Tauschwert untergegangen."

Adorno an Erich Fromm 16. November 1937

Der ganze Brief macht vermutlich die halbe Frauenforschung entbehrlich.

(abgedruckt in: Adorno, Horkheimer: Briefwechsel Band 1 Suhrkamp 2003 S. 544)

23. Dezember

Unter den Tiernekrologen nimmt sicher Casanovas zärtliche Nachruf auf seine Hündin Melampyge eine Sonderstellung ein.

Inniger - und kunstvoller - ist wohl kaum je um ein Tier in Worten getrauert worden.

Casanovas Leichenrede schließt mit der Hoffnung aufs Wiedersehen:

"Vielleicht werde ich dereinst, wenn meine Seele neues Leben hat und mit einem neuen Körper ausgestattet sein wird, meine kleine Hündin fröhlich mit anderen Augen wiedersehen."

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Kollege Auchjauches Vortrag "Von der Kurzarbeit zur Langzeitarbeitslosigkeit / Ein Rückblick auf das Jahr 2025" im Rahmen der Edward-Bellamy-Online-Lectures unserer Hochschule geht angeblich viral.

Meine alte Bemerkung Arbeitslose einstellen? Bin ich verrückt! Bestatter holen sich ihre Leichen ja auch nicht vom Friedhof! hat er als Motto seiner Tiraden ("Impfen wurde das neue Denken", "Lügenmutation in Lichtgeschwindigkeit") gewählt.

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Die Geselligkeit selbst kann ohne einige Enthaltsamkeit und ruhige und stille Sammlung nicht recht genossen werden. Alles wird widerlich, dumpf und ermüdend, wenn nicht Stunden der Einsamkeit dazwischen kommen.

Shaftesbury, Die Moralisten. Eine philosophische Rhapsodie. (II,1)

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Immerhin ist auf Tiffany & Co. Verlass!

Weihnachtsgeschenke treffen in fast letzter Minute aus New York ein.

Sonderanfertigungen sind immer heikel. Wie man an meiner Gattin - und ihrem Schmuck - sieht.

22. Dezember

Halte versiegelt, was die sieben Donner geredet haben, und schreibe es nicht!

Offenbarung des Johannes 10,4

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Wir müssen uns darüber klar sein, daß der größte Teil sonstiger Musik aus Unwesentlichkeiten besteht.

Wolfgang Graeser über Bachs Kunst der Fuge (Bach-Jahrbuch 1924. Zitiert nach: Hans Zurlinden, Wolfgang Graeser . München, 1935 S.37)

An Bachs vorgeblichem Anti-Judaismus in seinen Passionsmusiken kühlt sich gern ein Mütchen.

Der Philosoph Hans Blumenberg kommt in eigentümlicher Kasuistik und einer Art Misheard-Lyrics-Hermeneutik zu dem Schluss, dass die Juden gar keine Christusmörder sein konnten:

'Barrabas' ist überhaupt keine Name, sondern die authentische Selbstbezeichnung Jesus als 'Sohn des Vaters, lingua aramaica: Bar-abbas.

... Das Volk hatte in seiner Sprache geschrien. Die Evangelisten Matthäus und Johannes, die den vermeintlichen Namen überliefern, haben es nicht mehr verstanden oder wollten es anders verstanden wissen.

(H. Blumenberg, Matthäuspassion 1988 / 10. Auflage 2020 S. 202)

Eine der weisesten Fragen und zu selten gestellt, nennt Blumenberg die Frage eines "prominenten Mannes" (?), "was denn nach christlicher Auffassung wohl geworden wäre, wenn die 'Turba' der Juden auf die Frage des Pilatus den Barabas zur Kreuzigung bestimmt hätte." (ibid. S. 201, 202)

(Auf Seite 203 seines Buches ordnet Blumenberg die Barabas-Turba der Matthäuspassion zu, gemeint ist freilich die des Johannes.)

=nota bene: M. Marissen, Bach & God. Oxford, 2016.=

Zu Wagners Parsifal und Bachs Passionsoratorien s. Emil Platen, Die Matthäus-Passion von Johann Sebastian Bach. dtv 1991 S. 222ff.

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Im Bringdienstschergen nicht ein Funken logos spermatikos: statt Steak Pizza, statt Wodka Amaretto.

20. Dezember

Preise nimmer den Tod,

preise nicht den Tod, den einer dem andern zufügt;

preise nicht das Unanständige.

Doch habe den Mut Scheiße zu sagen, wenn einer

um sogenannter Überzeugungen willen

zum Mord am Nebenmenschen aufhetzt; wahrlich

der dogmenlose Raubmörder ist da der bessere Mann

Hermann Broch, Die Schuldlosen (Die Nach-Geschichten)

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Pseudo-poetischer Sakristan, grubbernd

Wenn der Same nicht mehr zeugt,

Wenn die Fürze nicht mehr stinken,

Gehst du nicht nur sehr gebeugt,

Wirst du bald ins Grüblein sinken.

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Notiz zur Schwellenkunde

Dass einer an die Haustür klopft, statt zu klingeln, ist taktlos.

Das zivile Einlassbegehren klingelt, das nachdrückliche klopft.

Das klingelnde und klopfende ist das vergebliche.

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Unser Pedell Frodermann:

Gesendet: Sonntag, 20. Dezember 2020 um 09:19 Uhr

Von: "ralf frodermann" <ralf.frodermann@gmx.de>

An: andre.kieserling@uni-bielefeld.de

Betreff: Ihr hinweis auf dreyfus' angestellten-studie in FAS heute

Auf jeden Drehsitz im Büro

da warten hundert Leute

Tucholsky, Angestellte (1926)

sehr geehrter herr prof. kieserling

besten dank für Ihre o.a. buchanzeige.

dreyfus war nicht nur jugendfreund adornos, wie Sie vermerken, sondern mitarbeiter des frankfurter

institus für sozialfoschung.

in einem brief vom 11. februar 1958 in der "wiedergutmachungssache" dreyfus schreibt

adorno an horkheimer, "daß er (sc. Dreyfus) von 1930 bis 1933 bei einem Gehalt von 300 Mark monatlich bei uns angestellt gewesen ist und auch nach Ausbruch des Dritten Reiches noch gelegentlich Arbeiten für das Institut durchführte.

Er sei ein begabter und und durchaus entwicklungsfähiger Gelehrter gewesen, dessen Buch 'Beruf und Ideologie der Angesstellten' heute erneut viel zitiert wird."

die in seinem buch unter anderem gegebene phänomenologie des vertreters, worauf Sie in Ihrem beitrag gegen ende abheben, mag unter tongue-in-cheek-feuilletonisten und salon-soziologen wellen schlagen, die klassentheorie hat sie, entgegen Ihrer aussage, wahrlich nicht beschädigt.

das besorgte 1942 adorno in seinen "Reflexionen zur Klassentheorie" (GS 8 s.373ff.) um so gründlicher.

freundliche adventsgrüße

ralf frodermann

17. Dezember

Unter den Dichter*innen der jüngeren Generation macht sich ein Ton bekenntnisorientierten Salbaderns breit.

Oft kommen diese Literaturautomaten aus irgendwelchen Schreibschulen oder creative-writing-camps, wie mir scheint.

In der Lyrik wäre hier stellvertretend Dagmar Kraus zu nennen:

millionen flüchtige wörter stehen an

der grenze zu diesem gedicht

die beine in den bauch sich

schlange an der grenze

In der Prosa Ronya Othmann, s. ihr wahrhaft abscheuliches Sommermärchen

Der Sommer (Hanser 2020).

Um das Literaturbeamtentum ist es kaum besser bestellt.

In der FAZ von gestern entblödet sich einer von ihnen nicht, die Ermordung der europäischen Juden "zur Voraussetzung (sic) seines (sc. Paul Celans) Werks" zu erklären.

Warum nicht gleich zur sine qua non?

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Ich halte es

mit den paar

Bocksprüngen

des Rauches

vom Herd

Ungaretti, Weihnachten (Übersetzung Ingeborg Bachmann)

16. Dezember

wer

diesen Dezember denkt, dem

feuchtet ein Blick

die redende Stirn.

Kaum habe ich mich erholt von der Lektüre der Celanschen Verse (aus Müllschlucker-Chöre, silbrig), weist mich meine Gattin auf eine eingegangene Mail unseres Pedells Frodermann hin:

Gesendet: Mittwoch, 16. Dezember 2020 um 07:16 Uhr

Von: "ralf frodermann" <ralf.frodermann@gmx.de>

An: p.bahners@faz.de

Cc: post@herrpeter.ch, christoph.koenig@uni-osnabrueck.de

Betreff: Ihr heutiger faz beitrag / "sie logen unser Gewieher um in eine ihrer bebilderten Sprachen" Celan

guten morgen herr dr. bahners,

vielen dank für das referat der kleinen arbeit zu celan und livius (man fragt sich:vatermord an jean bollack oder kollegenschelte im schmähton?) von dr. kardamitsis im celan-jahrbuch 11 2020.

unter den berufskrankheiten von alt-philologen wie kardamitsis ist das "finden, was niemand versteckt hat"

nach wie vor populär.

ob celan die kanonische livius-stelle kannte oder nicht, ob ausgerechnet günter grass zu glauben ist, wenn er von

einem wenig glaubhaften mißgeschick celans 1958 in paris berichtet, als der sich beim rauchen die hand in brand

gesetzt haben soll und ob das aus solchem untunlichen tun und dem gelehrten lucus a non lucendo kradamitsis' mehr kreißt als eine bedeutungsschwangere maus, ist mindestens fraglich.

mir scheint, fruchtbarer als die arbeit von kardamistis selber, könnte eine untersuchung seiner philologischen methode sein.

diese wirft auf ihn mehr licht als auf celan, livius und bollack zusammen.

nota bene:

über diese Ihre statements wäre im einzelnen zu befinden, eher nicht affirmativ, wie ich vermute:

"poetik des beidhändigen schreibens"?

"motivkreis von brand, hand und eid in celans gesamtwerk"?

"jedem lateinschüler bekannte exemplum"?

die leidigen plagiatsaffären (yvan goll, immanuel weißglas' "ER") bleiben widerlich, unabgegolten.

celan -wie adolf wölfli - war ein versehrter, sein werk kein versehen.

mit freundlichen morgengrüßen aus wolfenbüttel

ralf frodermann

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Burgradgesang mit

Corona

Celan (aus Lichtzwang)

der stumme Zwang der Verhältnisse wird beredter

Heute sagt mein Mitbewohner,

seine Mutter hat Corona,

wenn er auf das Erbe sehe,

spüre er die erste Wehe

von den Wohltaten, die kommen,

ist die Alte erst entschwommen

durch der Lethe schwarze Fluten

in das Land des Ewigguten.

Meinethalben soll sie leben,

ihr Sohn hat mir genug gegeben.

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15. Dezember

Neue Weihnachtskantate von Prof. Auchjauche:

Maria durch ein Download ging.

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Über den Niedergang der gymnasialen Bildung informiert traditionell die Nietzscheanerdichte unter Primanern am besten.

In jeder ihrer Jahrgänge gab es einmal 2 oder 3 bekennende Zarathustra-Jünger, die durch bekenntnisorientierte Weltverachtung, saloppes Brahmanentum, Arnobius den Älteren (den Afrikaner) und sublimierte Sexwut von sich reden und/oder schweigen zu machen suchten.

Gern zitierten sie aus den Reden Zarathustras:

" 'Gib mir, Weib, deine kleine Wahrheit!' sagte ich. Und also sprach das alte Weiblein:

' Du gehst zu Frauen? Vergiß die Peitsche nicht!' - Also sprach Zarathustra "

Oft wurden aus ihnen schlechte Dichter oder gute Ärzte.

Es gibt sie seit langem nicht mehr.

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Verpasste letzte Nacht den Seewetterbericht.

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Eine Renate Reschke widmet ihr Elaborat Was Friedrich Nietzsche an Hölderlin interessierte im jüngsten Band der NIETZSCHEFORSCHUNG (27 2020) Friedrich Hölderlin zum 250. Geburtstag und Friedrich Nietzsche zum 120. Todestag.

Auch das leicht übergeschnappte Jubilaren-Kaffekränzchen bleibt eine weibliche Domäne.

14. Dezember

gödel, escher, jandl

der macher ist am werk

und macht das machwerk.

ist der mache erst am werk

und macht das machwerk,

macht der macher das werk.

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Als Einführung ins Studium der Soziologie immer noch sehr geeignet die von Martin Buber herausgegebene Schriftenreihe Die Gesellschaft (1906-1912).

Leider ist der angekündigte Band von Hugo Münsterberg - Die Universität - nie erschienen.

13. Dezember

Als im Jahr 2008 Evelyn Waughs Remote People in deutscher Übersetzung erschien, lautete sein deutscher Titel noch Befremdliche Völker, seltsame Sitten. Expeditionen eines britischen Gentleman.

In der Neuausgabe von 2019 heißt der nurmehr: Expeditionen eines englischen Gentleman.

Andere Zeiten, andere Unsitten.

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Im platonischen Dialog Menexenos lässt Plato den Sokrates ein Loblied auf die philosophierende Rednerin Aspasia singen.

Der Damenkaste der heutigen Philosophie gehört keine Aspasia mehr an. Dort wird rechtschaffen verteidigt und interessiert gefragt:

A Defense of Abortion, die berühmte Abhandlung der im November verstorbenen Philosophin Judith Jarvis Thomson aus dem Jahr 1971 (dt. Reclam 2020. Eine Marginalie zum 1970 erschienen Frauenklassiker Der weibliche Eunuch von Germaine Greer) ), und Solidarität unter Frauen? von Beate Rössler (Deutsche Zeitschrift für Philosophie Heft 4 / 2020), stecken den Claim ab.

(Abtreibung - Sterbehilfe ad usum delphini.)

(Solidarität - s. Wörterbuch des Teufels)

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Leichtes Unwohlsein nach Bloomsbury-Genuss; Geflügelsalat hilfreich. Und die Gespräche mit meiner Gattin. Ich erfahre heute, dass sie keine Leber mag. Nach jahrzehntelanger Ehe!

12. Dezember

"Ob ein defekter Geist das ganze Durcheinander angerichtet hat, oder ob das Durcheinander den Verstand ruinierte - Tatsache bleibt, daß auf die Stabilität der Subjekte kein Verlaß mehr ist, wo die gesellschaftlichen Verhältnisse zerbrechen."

W. Pohrt, Werke 8.1 Berlin, 2020 S. 245/246

11. Dezember

Dann und wann wollen die Zauberlehrlinge auch einmal rechtschaffen wässern ("weiterdenken"), machen dann aber nur die Bude des Meisters nass, nässen ein.

So erging es dem Martin Seel, als er einmal versuchte, Adornos Diktum "Es gibt kein richtiges Leben im falschen" die Spitze abzubrechen, die Pointe zu nehmen, neu zu justieren, indem er als Schlußfurioso, quasi-orgasmierend, den blanken Unfug fabulierte:

"Gäbe es kein richtiges Leben im falschen, wäre das falsche nicht falsch."

M. Seel, Dialektik des Ehabenen. Kommentare zur "ästhetischen Barbarei heute" (in: van Reijen, Schmid Noerr, Hrsg.: Vierzig Jahre Flaschenpost: 'Dialektik der Aufklärung' 1947-1987. Frankfurt a. M., 1987 S.37)

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Um Gottes Willen, dass ich's nur behalte,

meine Sorgen-, meine Bügelfalte.

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Die Zangenfrucht

Der Fatzke lässt das Faseln nicht

und spricht sich aus im Langgedicht;

Da gibt er sich wohl unbeschwert,

bis er ist ganz und gar entleert,

bis er ist ganz und gar entsaftet

und keinen Ausritt mehr verkraftet

auf des Pegasus durchsitztem Rücken,

wo er kann Leeren überbrücken.

Zur Liebsten eilt er dann geschwind,

zu zeigen ihr sein jüngstes Kind,

die Mißgestalt, ein Bündel Not.

Es furzt noch dreist - dann ist es tot.

10. Dezember

In Kleists Novelle Die Verlobung in St. Domingo erscheint uns statt des edlen Wilden der zivilisierte Edle.

Dürfte heute als Schullektüre undenkbar sein.

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Wir erwägen vor dem Lockdown Heimfahrt. Aber wo ist das?

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"Witterung für die Wahheit" (Freud) aufnehmen!

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KANTIAN REVIEW (December 2020) pünktlich eingetroffen. Special Issue on Kant and the Frankfurt school.

Kein Weihnachten ohne Kant!

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Helen Pluckrose, James Lindsay:

Cynical Theories: How Activist Scholarship Made Everything about Race, Gender, and Identity – and Why This Harms Everybody.

Pitchstone, Durham (NC) 2020

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9. Dezember

Gestern den Leiter einer Bildungsklitsche kennen gelernt. Diese Vögel sind alle gleich. Tun sich weiß was darauf zugute, früher einmal in der freien Wirtschaft tätig gewesen zu sein, was sie offenbar alle für einen Qualitätsnachweis halten.

Sie erinnern mich an Leute, die früher als Großwildjäger unterwegs sein wollten, und heute eine Zoohandlung leiten.

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David Humes Eröffnung seiner Abhandlung "Über den Selbstmord" ist immer noch geeignet, alle nötigen und unnötigen Illusionen über Religion zu liquidieren.

8. Dezember

"Auch ist in dem tausendjährigen Kampf zwischen Christentum und Islam niemals ein Christ auf den Gedanken gekommen, man müsse aus Liebe zu den Sarazenen oder den Türken Europa, statt es zu verteidigen, dem Islam ausliefern."

Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen (9. Auflage 2015 S. 28)

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Proxy-Vollendungen: Bruckner 9, Mahler 10 , Stefan Zweigs Balzac-Roman.

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Der notorische Durs Grünbein hat eine neues Berliner-Republik-Rigaudon verfasst - es trägt den prätentös=quasipräkolumbianischen Titel (mit Gottfried-Benn-Flor) Prähistorische Sommer -, das in der heutigen Ausgabe der FAZ abgedruckt ist.

Es handelt sich offenbar um eine Art coronabedingte Versifizierung der Slasher-Filme Ich weiß, was du letzen Sommer getan hast (1997), Ich weiß immer noch, was du letzten Sommer getan hast (1998) und Ich werde imer wissen, was du letzen Sommer getan hast (2006) in Ich-Form.

7. Dezember

Ich lese nicht da, wo ich scheisse? - Weit gefehlt:

Wenn ich die romans lange und an einem stück lesen müßte, würden sie mir beschwerlich fallen; ich lese aber nur ein blatt 3 oder 4, wenn ich mit verlöff auf dem kackstuhl morgens und abends sitze, so amüsierts mich und ist weder mühsam noch langweilig.

Lieselotte von der Pfalz an die Kurfürstin Sophie (Versailles 1. Mai 1704)

Ihren Briefwechsel mit Leibniz nehmen wir uns im nächsten Sommersemester vor.

6. Dezember

Doch Klagen, selbst dann nicht einmal angenehm, wenn sie vielleicht auch nötig sein dürften

Livius, ab urbe condita (Vorrede)

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Schule, Rauchen Gewalt. In einer Taschenbuchausgabe des Romans Der Kampf der Tertia von Wilhelm Speyer aus dem Jahr 1950 stoßen wir im Waschzettelumkreis auf bemerkenswerte Para-Volkspädagogik: rororo-1950

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Seit bald 20 Jahren macht der Schmock Dietmar Dath den FAZ-Bot.

Der badische Vielschreiber - vgl. auch Christian Freiherr von Auchjauches Monografie "Mathe,Lyrik, Science Fiction / Leckt mich am Arsch, ihr blöden Schicksen" / Pleonexie und morbus scribendi: Spiegelfechter als Florett / Über Dietmar Dath. #bockpress# 2021 - und Schreiblehrer bildet mittlerweile die Invariante des Inventars deutschsprachigen Bedeutelns dieser Zeit.

Dath selbst hat die Wahrheit über Dath längst beiläufig ausgeplappert:

"nein: ich kann das nicht, was hab ich mir bloß gedacht?" / Dietmar Dath , Waffenwetter / (Suhrkamp 2007 S. 161) /

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Nikolaustag mit Gattin in VERSAILLES. Die TV-Serie nach unser beider Geschmack.

Ich übernehme den Roomservice im roten Kostüm.

4. Dezember

"Ich bin im vertikalen Gewerbe tätig", meinte gestern einer, der sich als "Professor für Glenlivet" vorstellte.

Offensichtlich Volkskundler o. ä., der regelmässig Vorlesungen an Stehpulten irgendwelcher Universitäten und anderer Destillerien hält.

Sehr symphatisch!

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Nicht an Bernanos denken!

Unter der Sonne Satans macht die Gattung der Enzyklika entbehrlich.

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Weihnachten geht seines Trostcharakters verlustig.

Von jauchzet, frohlocket keine Spur. Kunst und Wissenschaft in der Umkleide, mit anderen Worten:

"Handel, Wandel, Kunst und Wissenschaft allüberall dieselbe Erscheinung, dieselbe Tendenz des Arm bieten und welches bei allem, ja vielleicht eben trotz allem als ein mehr oder minder modulationsfähiger Ausdruck einer ganz bestimmten und im weitesten Verfolge exzösen Weltauffasserraumwortkindundkunstanschauung kaum mehr zu unterschlagen versucht werden zu wollen vermag - ..."

Dr. Gundula Mueller (Köpenick /Athen) in ihrem Vorwort (Versuch einer Einleitung) zu Christian Morgensterns Galgenliedern.

2. Dezember

Angestelltenallegorien

Im Naturheater von Oklahoma, Kafkas Assessment-Center in seinem Roman Amerika, gibt der Protagonist Karl Roßmann einen falschen Namen an - wie einst Odysseus gegenüber seinem pAp (persönlicher Ansprechpartner), dem Polyphem, - und nennt sich Negro.

Der Kafka-Forschung obliegt es kaum, das Triggerwort zu eskamotieren bzw. im antirassistischen Säurebad bekömmlich aufzulösen.

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Etwas Temperatur. Nur keine Verodnungen!

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Kennt der Islam eine Irenik?

1. Dezember

Wolfgang Heise, Schriften, zwei Bände, 2013.

Nach dialektischer Manier.

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similia similibus curantur?

Heute besser Katerfrühstück!

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Försters Silberwald, Echo der Mühle und Heideggers Winke:

Der Bergbach singt die Stille zu den Sternen.

(Martin Heidegger, Gesamtausgabe Band 101 Frankfurt a. M., 2020)

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Zwei alte romanistische Haudegen erweisen in Heft 1-2 2020 der Romanistischen Zeitschrift für Literaturwissenschaft zwei steinalten die letze Ehre:

Arnold Rothe, der Jürgen von Stackelbergs gedenkt, nimmt in seinem Memorial zunächst einen Umweg über das Gästebuch seiner Famile, in das sich hin und wieder offenbar auch von Stackelbergs Mutter Helene einzutragen pflegte.

Dieser Holzweg dient als Umweg wohl dem Zweck, dem Rothe sen. einen verspäteten Persilschein zuzustellen:

"Carl Rothe war unter Hans Carossa damals Generalskretär der Europäischen Schriftstellervereinigung gewesen. Parteimitgleid war keiner von beiden." (ibid. S. 255)

Schreibt Rothe jun. in seinem Nachruf.

Klaus Bochmanns Nekrolog auf Werner Bahner endet mit einer Apotheose:

"Es war der 230. Jahrestag der Französischen Revolution, als Werner Bahner in Leipzig starb." (ibid. S. 254)

Astrologie ist Männersache!

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St. Peter Bad wie ausgestorben.

30. November

Wir lesen heute früh in der FAZ den Beitrag des Gießener Kollegen Kurz zum unziemlichen Nachfragen bezüglich der Herkunft Auswärtiger.

Als locus classicus gibt er zu Beginn die Sauhirtenepisode aus der homerischen Odyssee an.

Treffender, beziehungsreicher und weniger bildungshuberisch bedeutelnd - sondern mehr! - wäre ein Hinweis auf die dritte Szene des ersten Akts Lohengrin gewesen:

Nie sollst du mich befragen,

noch Wissens Sorge tragen,

woher ich kam der Fahrt,

noch wie mein Nam' und Art!

Seine schlappe Hermeneutenintervention gegen political correctness verpufft am Ende im gänzlich schlappen Piefke-Kalauer, den er den Erinnerungen des Schmocks Ijoma Mangold - Das deutsche Krokodil. Meine Geschichte Rowohlt 2017 - entnimmt: fünf alte Deutschomas erkundigen sich im Zugabteil nachdrücklich nach der Herkunft seiner Eltern und verstehen statt Schlesien Tunesien.

Wat hebt wie grölt, wat hebt wi lacht, wie man hier auszurufen pflegt, wenn es gar nichts zu lachen gibt.

Immerhin konnte ich heute morgen die Wahrhaftigkeit einer seiner eleusinischen Erkenntnisse an mir selber erproben:

"Lesen ist, entgegen dem Anschein, keine passive Informationsaufnahme, sodnern ein aktiver, konstruktiver, interpretativer Akt."

Gerhard Kurz, Hermeneutische Künste. Die Praxis der Interpretation. (Kap. IV Lesen und Interpretieren. Metzler / Springer 2018 S.55)

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"Ich habe in Paris einen Türken kennengelernt, der war französsischer Untertan, sprach Englisch und konnte Deutsch."

Kurt Tucholsky, Der Türke

Vgl. jetzt auch: Eva Blome, Rückkehr zur Herkunft. Autosoziobiografien erzählen von der Klassengesellschaft.

Erscheint in: DVjs 2020.

29. November

Wir dürfen den totalitären Strategen nicht erlauben, ihre künstlichen Doktrinen auf einem Gelände zu paradieren, das rechtmäßig uns gehört. Wir dürfen dem Gegner nicht durch unser Versagen einen Sieg ermöglichen, den er mittels der Kraft seiner eigenen Ideen nicht gewinnen kann.

Karl A. Wittfogel, Die orientalische Despotie (dt. Ullstein 1981 S. 34)

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"Wer Verbesserungswürdiges findet, ist herzlich eingeladen, es mir oder dem Verlag in einem Brief kundzutun."

So lautet der letzte Satz der Herausgeberin der Deutschen Predigten Meister Eckharts (Reclam 2001), Uta Störmer-Caysa, damit schließt ihr Nachwort zu dieser Leseausgabe.

Erinnert mich an die Noblesse Judy Garlands.

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Adventsumtrünke.

28. November

Johan Osbornes Stück Blick zurück im Zorn so verstaubt wie T. Rex-Popmusik.

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Geben sich zwei deutsche Angeblichdichter mit Peter-Handke-Odeur -

https://jungle.world/artikel/2019/18/pathos-und-faekalitaet

https://jungle.world/artikel/2019/33/die-poesie-des-teebeutels -

in der FAZ ein Stelldichein wie heute, dann darf der Heilige Geist in Gestalt des deutschen Kannengiessers und Germanistikprofessors nicht fehlen.

Durs Grünbein schreibt dem polnischen Dichter Herbert, den er offenbar für seinen Meister hält einen Brief ins Totenreich - ohne Grüße an Karl Dedecius zu bestellen!

Seine salbungsvolle Epistel kommt im Duktus Durs, d.h. im Duktus des Abituraufsatzes daher.

(Vgl. Danziger Beiträge zur Germanistik Band 58 2019 "Texte komponieren, von Klängen erzählen")

Herbert ist jetzt bei seinem Vater, auf einer Insel, wo es Palmen gibt und Liberalismus. Nur aus Wichtigtuerei richtet man Ergebenheitsadressen post mortem an ihn.

Umrahmt wird der Unsinn vom Jan Wagners Gedicht sarajewo - eine Art Todesfuge für Anfänger im Genre der Trauerverlautbarungen, will sagen Threnoskotsch -, für das Professor Kosenina den strengen Kondukt arrangiert.

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Nach dem Frühstück Wattwanderung.

27. November

"Statt in meiner Heimat Pest und Cholera zu bekämpfen, verpasse ich den Weibern hier und in USA lieber größere Titten, sauge ihnen das Fett ab und erledige ihre dämlichen Ehemänner, sit venia verbo."

Auswärtiger Mediziner gestern Abend gesprächsweise.

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Neuausgabe der Träume Georg Gottlob Krügers (Halle 1754) projektieren!

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Der Abbé Tencin hatte einen kühnen und unternehmenden Geist, was ihm den Ruf verschaffte, ein umfassender und männlicher Geist zu sein. Seine Geduld reichte für mehrere Leben und richtete sich immer auf das Ziel, das er sich vorgesetzt hatte, ohne jemals nachzulassen oder durch irgendeine Schwierigkeit abgeschreckt zu werden. Er war unendlich geschmeidig, hellhörig, findig, diskret, sanft oder heftig, je nach Bedarf und ohne Mühe, durch nichts gehemmt, zu jeder Aufführung fähig, ein souveräner Verächter jeden Begriffes von Ehre und Religion, wobei er sorgfältig den Schein zu wahren wusste.

So lesen wir es im Vierten Band der deutschsprachigen Auswahl aus den Memoiren des Herzogs von Saint-Simon, die Sigrid von Massenbach 1979 ihrem Publikum präsentierte (S. 147).

Menschentypen wie der Abbé und Frau von Massenbach dürften heute als ausgestorben gelten.

25. November

Auch das Genre der Antrittvorlesung hat bessere Tage gesehen.

Eine, welche die ihre in überarbeiteter Fassung in der Zeitschrift Soziale Probleme abdrucken lässt - und diese Narren*innen drucken das auch -, schreibt unter anderem:

"Im Doing versteigt sich die die öffentliche Thematisierung, die sich dann in Formen sozialer Kontrolle niederschlägt (Gronemeyer 2010).

Dies ist auch dem Umstand zugetan (gemeint ist wohl: dem Umstand geschuldet RH), dass es sich bei unerwünschten Zuständen - als Ausdruck sozialer Probleme - um soziale Situationen handelt, die nicht angestrebt, vielmehr verhindert oder gemindert werden sollen."

Mit einem Wort: unerwünschte Zustände sind unerwünscht.

Im Gegensatz zu unerwünschten Antrittvorlesungen!

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Einmal musste der Grenzzaun im Norden meiner Schmerzen repariert werden. Anstatt zu fliehen, halfen die Schmerzen zu reparieren.Wem halfen sie nur? Mir halfen sie nicht.

Erwin Aberfett, Die Sonde (#bockpress# 1972)

24. November

Eine Sieben- oder Achtjährige brach auf der Strandpromenade in Wehklagen aus, als sie meiner angesichtig wurde.

"Ich bin doch nicht der Doktor Coppelius", rief ich, "ich bin der Doktor Holunder, und picke dir nicht die Augen aus, meine Kleine."

Da wurde das Geschrei nur immer lauter und die braven Eltern drohten mit Anzeige.

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Klabunds Bürgerliches Weihnachtsidyll kommt in diesem Advent der "häuslichen Gewalt" zu neuen, traurigen Ehren:

Was bringt der Weihnachtsmann Emilien?

Ein Strauß von Rosmarin und Lilien.

Sie geht so fleißig auf den Strich.

O Tochter Zions, freue dich!

Doch sieh, was wird sie bleich wie Flieder?

Vom Himmel hoch, da komm ich nieder.

Die Mutter wandelt wie im Traum.

O Tannenbaum! O Tannenbaum!

O Kind, was hast du da gemacht?

Stille Nacht, heilige Nacht.

Leis hat sie ihr ins Ohr gesungen:

Mama, es ist ein Reis entsprungen!

Papa haut ihr die Fresse breit.

O du selige Weihnachtszeit!

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Die Gabe zu unterrichten (donum docendi) hat jeder Mensch.

Theodor Gottlieb von Hippel, Lebensläufe nach aufsteigender Linie

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Was Weintrinken und den Rausch betrifft. Drittes Buch der aristotelischen Problemata Physica.

Viertes Buch: Was den Geschlechtsverkehr betrifft.

Meine Neuübersetzung noch vor Weihnachten zu beenden!

22. November

Teaching can be so sweet

on the sunny side of the street

sang gestern am Abend ein Kollege aus Cambridge. Dann, nach zwei bis drei weiteren Aalborg Jule Akvavits 2020, sprachen wir über den englischen Altertumswissenschaftler George Thomson und seine Arbeiten zur materialistischen Hermeneutik, die vor 60 Jahren in der DDR erschienen waren.

Thomson, Professor in Birmingham und Freund Alfred Sohn-Rethels, der seine Arbeiten ungemein schätzte, ist unter deutschen Mommsen- und Überweg-Jüngern unbekannt geblieben.

Unter denen sind solche Leute so willkommen wie Me-too-Mamsells im Puff.

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Hermann Hesses Erzählung Hannes. Aus seinem Fabulierbuch.

Infektiöse Passionsidylle eines tumben Applikanten.

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Am Montag nach Husum, Zigarren kaufen.

20. November

Materialistischer Wurmfrass unter Idealisten:

Würde des Menschen

Nichts mehr davon, ich bitt euch. Zu essen gebt ihm, zu wohnen,

Habt ihr die Blöße bedeckt, gibt sich die Würde von selbst.

Friedrich Schiller

Trachtet am ersten nach Nahrung und Kleidung, so

wird euch das Reich Gottes von selbst zufallen.

G. W. F. Hegel

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Zivilisation = Kotauablehnung.

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Poetik des Seewetterberichts

19. November

"Eine Arbeit mit dem Titel Hegels Raupach-Kritik muss jedermanns Aufmerksamkeit erregen." Tagebucheintrag meines Großvaters 12. Januar 1919.

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Eine dänische Tucke mit Peter-Handke-Hintergrund namens Madame Nielsen hält in Zürich offenbar molestierende Poetikvorlesungen, worüber ein ihr schier verfallener Schmock heute in der FAZ wälsungenblutig ins Seidentuch zu hüsteln gerät.

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Meine Gattin in Hochstimmung, bin darüber sehr dankbar.

Auch dafür, dass der Lagavulin eintraf (eine Kiste!).

18. November

Ihr macht euch nun gewiß so eure eignen Gedanken darüber, meine greisen Freunde, und gerade ihr mehr als Andere, da ihr so in der weiten Wildniß wohnt, daß ich in der Geschichte meiner Reisen noch nicht ein einziges Mal von den Denkmälern der Natur gesprochen habe?

Chateaubriand, René

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Zur Neuausgabe des "Fränkischen Koran" ( Bärenreiter 1933) von Ludwig Derleth (#bockpress# 2021):

R. Furness: Zarathustra's Children. A Study of a Lost Generation of German Writers. Camden House 2020

Nichts für Stiftsdamen, soviel steht fest. Post-orphisch. Druide, Seher, Barde.

17. November

"..., denn aus all diesen schönen schlanken Gestalten, diesen rosigen, blühenden Wangen, müssen jetzt lauter alte zusammengeschrumpfte Matronen und Mütterchen geworden sein."

Johann Conrad Friederich, Vierzig Jahre aus dem Leben eines Toten (Der Memoiren erster Teil)

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Wir erleben hier an der Küste die Wohltat eines maritimen Deismus.

15. November

aus: Spassvögeln / Skizzen 4

Der Bademeister

Das Bewußtsein des Armleuchterhaften seines beruflichen Daseins überflutete ihn regelmässig zu Beginn des Wochenendes. Nicht jedem erscheint seine Lebenslüge dämlich, ihm jedoch erschien sie so durchaus.

Mochte seine Frau ihm solche Flausen auszureden versuchen, insgeheim teilte

sie seine Selbstverachtung, und verdoppelte sie dadurch.

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Sonderheft der Philosophischen Rundschau (Heft 2 / 2020) eingetroffen: "Kulturzeitdämmerung? Corona und die Folgen".

Stichworte zur infektiösen Situation der Zeit?

Der kulturrevolutionäre Aspekt der Pandemie bleibt den Denkbeamten verschlossen.

13. November

Der Holunder hat den ganzen Garten übergossen!

...

Ach, welche kräftigen Farben sind hier gemischt

Im kleinen Gefäß der Beere

aus: Marina Zwetajewa, Holunder

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Wer kennt den Friedrich Sieburg noch?1920 erscheint sein Gedichtband

Die Erlösung der Straße.

Der Rest war Talmi-Prosa, parfümierte Gamaschen, blasierte Einstecktücher,

eingeschnappte Krawattennadeln, manikürte Kragenstäbchen.

12. November

Heute da auf stillem Meer

Schiffe laufen,

Morgen sieht man sie ersaufen

Ungefähr.

aus: Sigmund von Birken, Gleichmuth

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Geziemend ist es nicht für den erfahrenen Arzt,

Beschwörungen zu leiern bei der Wunde,

die den Schnitt verlangt.

Sophokles, Aias (580/81)

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Das Plädoyer für Zusammenhalt in der antagonistischen Gesellschaft ist

so plausibel wie das für's Zölibat im Puff.

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extra mundos/muros vermeiden wir nun.

11. November

Wehe - in eilender Flucht Postumus, Postumus,

entgleiten die Jahre

Horaz, Oden 2,14

Miguel de Unamuno setzt seiner Erzählung Wie die Zeit verflog aus der Sammlung Der Spiegel des Todes das horazische Motto voran, um dann u.a. so fortzufahren:

"Sind wir dieselben, die wir vor zwei, acht oder zwanzig Jahren waren?"

Oder vor drei Minuten?

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Ausgerechnet beim Friseur liegt "Komik" / Ein internationales Handbuch (2017) aus!

"Hat einer vergessen", sagte mir die Meisterin auf meine Nachfrage.

Güter des Vergessens.

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"Es ist ein großer Irrtum, unbegrenztes Vertrauen in die Gemeinheit der Menschen zu setzen: nur selten tun sie uns all das Böse an, das sie uns antun könnten."

Schreibt Henry de Montherlant in seinem Roman Die Junggesellen, den meine Frau eben liest, Stellen wie diese auch mir vorliest.

Der Roman ist 1934 in Frankreich erschienen, bald danach war die Wahrheit jenes Satzes dank Deutschlands erledigt. ("Zeitkern der Wahrheit")

Über Montherlands Naturgeschichte des weiblichen Geschlechts und Otto Weinigers Geschlecht und Charakter wird in den nächsten Wochen eine Dissertation erscheinen, d.h. wenn ich das Vorwort, um das mich ihre Autorin bat, noch schaffe.

10. November

aus: Spassvögeln / Skizzen (2 und 3)

Die Gräte

An der Gräte in seinem Schlund konnte der Fischer nicht gestorben sein.

Sie stak seit langer Zeit dort fest, sann auf Rache, für sich und den Fisch, von dem sie einmal ein Teil gewesen war; doch statt zu wachsen, schrumpfte sie immerfort.

Es musste der Schock gewesen sein, der ihn überfiel, nachdem er die vielen toten Fische und Krustentiere in seiner Badewanne gesehen hatte.

Die Elektrikerin

Gegen Ende ihres Scheidungsprozesses sagte der Richter zur Elektrikerin,

die sich von ihrer Frau scheiden lassen wollte: "Sie schwimmen wohl gern gegen den Strom, was?".

"Nein", antwortete sie, "es ist ja meistens Wechselstrom, und zwischen allen Stühlen sitze ich auch nicht, denn da ist es immer so voll."

8. November

Notiz an Frau Erb.

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Thomas Mann war mir zeitlebens als Romanfigur lieber denn als Romancier.

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aus: Spassvögeln / Skizzen (1)

Kurt Kusenberg in memoriam

Das Portemonnaie

Ein Betrunkener fand ein Portemonnaie, das im zehnten Monat schwanger war. Er brachte das pralle Ding auf ein Polizeirevier, woselbst man ihm für seine Anständigkeit dankte.

Nachdem ihm eine Blutprobe entnommen worden war, wurde er unter Schulterklopfen und Lobesworten entlassen.

Gewiss kommt er mit einem Bußgeld davon.

5. November

"Beweise nur dann etwas, wenn du dich unter großen Dummköpfen befindest oder unter Professoren und Zeitschriften-Abonnenten."

Walter Serner

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Wie kein Bund die Löwen und Menschenkinder befreundet,

Auch nicht Wölf' und Lämmer in Eintracht je sich gefallen,

Sondern bitterer Haß sie ewig trennt voneinander:

So ist nimmer für uns Vereinigung oder ein Bündnis

Ilias XXII, 260f. (Übersetzung Voß)

keine buddies werden scheiss löwen und zweibeinige ärsche,

scheiss auch auf den chiasmus, kulturbeschäler, nice, no no-front,

haten und shitstrom und lost unter den broke-seienden,

hat sich ausgechillt, digger, cringe, alter, cringe, ja safe

Ilias XXII, 260f. (Übersetzung Aberfett)

4. November

Fragt man sich in der Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform noch halb-empört und doppelt erschrocken, ob es bei der Polizei antimuslimische Einstellungen gäbe - Beitrag von Kemme, Essien und Stelter - Band 103 Heft 2 April 2020), machte sich Jacob Burckhardt zu seiner Zeit so wenig Illusionen über den Islam wie Schopenhauer vor ihm:

"Der Islam ist ein Sieg der Trivialität und die große Masse der Menschen

ist (im Orig. RH) trivial."

(Burckhardt, Historische Fragmente. ed. Dürr Nördlingen, 1988 S. 67)

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Beim Nachtessen Gespräch mit Polizeiausbildern im Ruhestand, die es sich hier oben an der Küste endlich einmal gut gehen lassen können.

Vages über Virus, den man zu Lebzeiten nicht mehr loswerde etc. Beruhigendes über Sterbeversicherungen, Beamtenstatus, biologische Waffenforschung, Weltzeit versus Lebenszeit, Seele im Kosmos, Alltag des Universums und vieles mehr.

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Hallenbad geschlossen.

3. November

Beware the Jabberwock, my son!

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"Bockmist gegendert: Ziegenkäse." Kollege Dr. Ulrich von Zatzikhoven in seinem Webinar "Genderdämmerung".

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"Der Islam, den Schopenhauer deshalb haßte, weil er dem kollektiven Fanatismus, der brutalen Postitvität unter allen Religionen am weitesten entgegenkam, entspricht dem Erwachen wilder Völkerstämme besser als die Religion des Kreuzes, deren Aufbrüche ihrem Wort und Geist seit je zuwider waren. ...

Der Islam dagegen fordert wenig von seinen Bekehrten und ist für Eroberung. Die Übereinstimmung von Theorie und Praxis überzeugt die Eingeborenen. Sie wollen endlich auf der Welt Karriere machen."

Max Horkheimer, Die Aktualität Schopenhauers (1961)

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zu Rabelais: Gargantua und Panatgruel - Pentateuch des Manierismus.

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"eine zerstörte gesellschaft zahlt für indizien ihrer existenz jeden preis."

Prof. Auchjauche

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Anslemus von Besate wieder da!

Seine Satire Rhetorimachia aus dem 11. Jahrhundert übersetzt gerade ein alter Oberstudienrat aus Husum, den wir gestern beim Strandspaziergang kennenlernten.

Er will mir heute seine Arbeit bringen, der freundliche Kauz.

1. November 2020

Wohlbehalten an der Nordseeküste eingetroffen.

Der Vater meiner Gattin hocherfreut. Der Mann ist noch älter als ich.

Wir dürfen immerhin auch offiziell bleiben! Familie! - Wenn die Behörde wüsste!

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Pedell Frodermanns neuerliche Einlassungen, von denen er meinst, Sie mich wissen lassen zu müssen:

Gesendet: Sonntag, 01. November 2020 um 13:44 Uhr

Von: "ralf frodermann" <ralf.frodermann@gmx.de>

An: andre.kieserling@uni-bielefeld.de

Cc: msandel@gov.harvard.edu

Betreff: Ihr beitrag in der heutigen frankfurter allgemeinen sonntagszeitung

sehr geehrter herr prof. kieserling,

vielen dank fpr Ihren o.a. beitrag.

das der amerikanische kommunitarismus seit dem tod john rawls keine besseren tage gesehen hat,

liegt gewiss nicht zuletzt am wirken prof. sandels, aus dessen buch "Vom Ende des Gemeinsinns " ,dt. 2020, Sie in

Ihrem o.a. beitrag kritisch referieren.

usa-readers-digest-philosophen und bielefelder sonntagssoziologen in allen ehren, doch jenseits küchenpsychologischer vernünftelei systemtheortischer provenienz in sachen "seine zeit - bzw. sein und zeit - entspannt in sozialtheoretische gedanken fassen" gilt wohl eher ein wort des fachmanns, insbesondere in fragen der gesellschaft, hier: leistungsgesellschaft, vulgo oligarchie:

"Daß Demokratie Oligarchie ist, liegt nicht an den Menschen, die nach Ansicht und Interesse ihrer reifen Führer zur Demokratie

nicht reif sein sollen, sondern an der Unmenschlichkeit, die das Privileg in die objektive Notwendigkeit

der Geschichte eingräbt."

T. W. Adorno, Reflexionen zur Klassentheorie (VI) 1942 (Adono, GS 8 s. 383)

mit freundlichen grüßen

ralf frodermann