Post-Integration / Metöke XI (Über einen kompromittierten Begriff)

Theorieathrose: Diasporische Dekonstruktion, gern queer

(Rezension)

Kien Nghi Ha (Hrsg.): Asiatische Deutsche / Vietnamesische Diaspora and beyond.

Hamburg, 2012

Die deutsche Integrationsdebatte hat längst Anschluss gefunden an einen akademischen und künstlerischen Obskurantismus, der sich als Avantgarde missversteht und daher bei deutschen Kulturschaffenden und Integrationsdenkern größte Beliebtheit genießt.

Intellektuelle Bewässerung erfahren solche ideologischen Rieselfelder, neben den französischen Sinfonikern Deleuze, Derrida etc., vorzugsweise durch bewährte Anti- Imperialisten vom Schlage der Fanons, E. Saids und J. Butlers.

Ihr geographischer Ort ist in aller Regel Berlin. Im dortigen Hebbel am Ufer Theater fand 2010 im Rahmen des Dong Xuan Festivals ein Vortrags- und Diskussionsprogramm statt, dessen diskursiven Kern der hier anzuzeigende Band dokumentiert.

„Dieses Buch ist weniger als wissenschaftliche Publikation denn als kulturpolitischer Denkanstoß bzw. als politisches Lesebuch der diasporischen Selbstfindung, besser der Selbstformierung angelegt.“ (S.19) Daneben will es sich als ein Fanal gegen Rassismus verstanden wissen, als ein tombeau, und macht denn auch auf mit dem Menetekel „Rassismus tötet (1980-2011)“, unter welchem ein Namensregister von in jener Zeit in Deutschland ermordeten Menschen nichtdeutscher Herkunft verzeichnet ist.

Während in England Filme wie FOUR LIONS oder Serien wie LITTLE BRITAIN für eine freilich nicht überall willkommene Durchlüftung stereotyper Migrations- und Sozialdebatten sorgten, bleibt der deutsche Diskurs diesbezüglich pedantisch, humorlos, kritikallergisch und eindimensional. Bestenfalls treibt er unfreiwillig skurrile Blüten, mit denen das vorliegende Buch übersät ist: „Weiterhin wäre es aufschlussreich zu untersuchen, inwiefern Nagelstudios durch ihre Kundschaft, Mitarbeiter_innenstruktur und die feminine Art der Arbeit mehrfach gegenderte Räume darstellen und somit zu einer Aufrechterhaltung von unterschiedlichen Geschlechterrollen auf der Mikroebene, von Gruppenkonflikten auf der Mesoebene und von Machtkonstellationen und sozialer Kontrolle auf der Makroebene beitragen.“ (S.209)

„Diaspora“ ist en vogue. Von der jüdischen im Allgemeinen und Israel im Besonderen ist nicht die Rede, Diaspora ist überall. Von der klischeehaften Darstellung asiatischer Menschen in TV und übriger Populärkultur, dem „institutionellen Rassismus in der Polizei“ sowie vietnamesischen Communities in Kalifornien und Berlin zu „Spuren der vietnamesischen Diaspora in Berlin“ und „zur filmischen Verhandlung asiatisch-amerikanischer weiblicher Subjekterfahrung“ spannt sich der Diversitybogen. Grenzen, Grenzerfahrungen und Entgrenzungen bilden den programmatischen cantus firmus des Buches. Die Diskussion poststrukturalistisch instrumentierter „Transnationalität“ und des „Zuhause-Seins als sozialer Praxis“ wechseln ab mit der selbstprotokollierten Angst einer 22jährigen vor dem Bettel, dem kleinbürgerlichen Aus, vor dem Absturz ins Leben ohne Monatseinkommen: „Diese Angst, aus der Gesellschaft rauszufallen, weil man sich nicht richtig verhält oder arbeitslos wird, die haben ich und meine Geschwister so mitbekommen und die tragen wir mit uns rum.“ (S.192)

Wer von politischer Ökonomie, der warenförmigen Konstituierung dieser Gesellschaft, in der Verbrechen im Zweifel immer lohnender sind als ein Gebet, so wenig wissen will wie vom GUTEN MENSCHEN VON SEZUAN, könnte im Jahr des 300. Geburtstags Rousseaus immerhin auf den Gedanken kommen, dessen DISKURS ÜBER DIE UNGLEICHHEIT integrationsideologisch fruchtbar zu machen, ohne damit die Grenze immanenter Kritik, die einzig sakrosankte Grenze des Erlaubten also, zu sprengen, d.h. ohne Marx, Freud oder-horribile dictu!- die Kritische Theorie zu bemühen. Da man jedoch in den meisten Migrationshintergünden nur darauf wartet, auf irgendwie, und sei es auf queer-deutsche Weise „deutsch“ sein zu dürfen, „partizipieren“ zu dürfen, rechthaben zu dürfen, mittun, rechtmäßig verschmelzen und ungestraft gegen Israel sein zu dürfen, Transgressionen und Identitäten endlich aufgeben zu dürfen, nimmt es nicht Wunder, dass der vorliegende Band mit zwei Beiträgen zum „anti-muslimischen“ bzw. „anti-islamischen“ Komplex schließt, die nicht anders als ein Signal zur Komplizenbereitschaft aufzufassen sind. Die Formierung sich selbst viktimisierender rackets zu Koalitionen der Gegenaufklärung mit Migrationshintergrund nimmt Gestalt an. Die vorliegende Publikation markiert eine weitere Station dieses Prozesses. Sie dokumentiert nicht zuletzt die Erlösungsbereitschaft und den Erlösungswillen asiatischer Deutscher wie ihrer Gewährsleute, im Namen einer post-nationalen, multikulturellen, queeren Volksgemeinschaft, für welche Gunstwerbung sich die Gestalt flamboyanten Widerspruchsgeistes gibt, homo novus zu sein.

Postscriptum

Das Buch enthält zu Beginn und auf seinem Rücken allerlei Ergebenheitsadressen namhafter und weniger namhafter Integrationsverwalter, Wissenschaftler usw.; diese paratextuelle firewall soll dem kritischen Leser offenbar bedeuten, es mit der Kritik gleich zu Anfang gut sein zu lassen und sich stattdessen besser sofort anti-rassistisch einzureihen.

Der Ungeist des ganzen Unternehmens gibt sich selbst noch an entlegener Stelle zu erkennen, da nämlich, wo selbst die Lektorin unter „Autor_innen und Gesprächspartner_innen“ nebulös in Szene gesetzt wird:

„Nika Zablotsky ist beheimatet im Dazwischen und versucht sich an Text und Klang.“ (S.344)

Literatur: Christian Wolff, Oratio de Sinarum philosophia practica/Rede über die praktische

Philosophie der Chinesen. 1721

Ralf Frodermann VI 2012

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Die Iden der Armut

Arbeit statt Integration?

Ralf Frodermann | 1. September 2011

“Arbeitsmigranten wissen, dass „Integration“ im Wohlfahrtsstaat ein Ammenmärchen ist wie anderswo. „Integration“ ist eine Ware und kostet 2000 € netto im Monat.”

Wer seinen Monatslohn, sofern er noch einen erhält, zum Lebensunterhalt notwendig braucht, ist angeschmiert, denn der reicht bei Nichtintegrierten in aller Regel nur bis Monatsmitte. Integriert ist einer ab 2000€/mtl., d.h. er muss dann nicht mehr über das, was er nicht ist, nämlich zahlungsfähig, reden („Integrationsdebatte“), sondern kann gleich, weil er integriert ist, d.h. zahlungsfähig, einkaufen gehen, Miete bezahlen, irgendwelche Operationen anleiern, Urlaub machen, Kinder kriegen, sich scheiden lassen, diversen Aberglauben mit oder ohne Migrationshintergrund frönen, studieren, Zukunftschancen ausbaldowern, Sinn produzieren, Normen und Werte ethnologisieren, sagen, dass alles zwei Seiten hat usw. und kommt über den Monat.

Die Krisenbewältigungsstrategien bezüglich der Nichtintegrierten funktionieren analog denen bezüglich der PIGS-Staaten: Handeln statt Helfen! Wer im Mittelemeer ertrinkt, ist selbst schuld. Hätte ja zu Hause bleiben und dort verhungern können! Wer zum Arbeitsamt marschiert, um da einen Job vermittelt zu kriegen, entspricht dem Junkie, der zum Apotheker geht, um da sein Heroin zu kaufen. Der Apotheker schickt ihn zum Dealer, ruft die Polizei oder bietet Methadon an wie der Scherge des Jobcenter den „Kunden“ zum Schergen der Zeitarbeitsklitsche schickt, den Sicherheitsdient anruft oder ALG II genehmigt.

Arbeitsmigranten wissen, dass „Integration“ im Wohlfahrtsstaat ein Ammenmärchen ist wie anderswo. „Integration“ ist eine Ware und kostet, wie gesagt, 2000€ netto im Monat. In Zeiten der Massenarbeitslosigkeit nehmen Suizide und andere, durch Elend induzierte Todesfälle zu. „Hier muss keiner mehr verhungern! Stattdessen können Sie sich vor einen Zug werfen oder ein Spülmittel trinken!“

Integriert sind heute nur die Erben. Sie versehen ihre Arbeit, die sie nicht gesucht, aber geerbt haben, gewissenhaft und verwenden den Monatslohn nicht zur unmittelbaren Reproduktion oder zum Konsum, sondern legen ihn dem Erbe bei. „Sinekure“ nannte man das einmal.

Integration und Arbeit muss man sich leisten können! Wer nicht arbeitet, ist nicht integriert, und wer nicht integriert ist, kriegt keine Arbeit. Weil man von der sowieso nicht länger als 10 Tage im Monat leben kann, ist man 20 Tage im Monat nicht integriert. Ein 400€-Job etwa gewährleistet ca. 12 Tage ununterbrochene Integration. Dann wird aufgestockt; die Bereitschaft zu Lohndrückerei und Streikbruch nimmt zu: der verkürzt Integrierte will mit allem Nachdruck verwertet werden und prügelt sich um seinen Platz im Dickdarm der Finsternis.

http://www.migazin.de/2011/09/01/arbeit-statt-integration/