Die Erforschung des Antisemitismus ist weitgehend erfolgt. Sie liegt hinter uns.
Der Antisemitismus freilich nicht:
Buchanzeige
ich hasse die Freude
aus Hass auf das Leid
Antonio Machado
Dass wir aber überhaupt die Geschichte im ganzen auf Sinn und Unsinn hin befragen, ist selbst schon geschichtlich bedingt: jüdisches und christliches Denken haben diese maßlose Frage ins Leben gerufen.
Karl Löwith, Weltgeschichte und Heilsgeschehen. Eine Kritik der Geschichtsphilosophie.
(Sämtliche Schriften Band 2) Stuttgart, 1983
Clemens Heni: Kritische Theorie und Israel. Max Horkheimer und Judith Butler im Kontext
von Judentum, Binationalismus und Zionismus.
(= The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA) /
Studien zum Nahen Osten. Band 2)
Berlin, 2014
Anzuzeigen ist eine engagierte Studie des Politikwissenschaftlers und Verlegers Clemens Heni, die jüngst in dessen eigenem Berliner Haus erschien und den Titel „Kritische Theorie und Israel“ trägt.
Henis ideologiekritische Streitschrift - um eine solche handelt es sich im explizitesten Sinn des Wortes zweifellos – entzündete sich an der allgemein nicht unumstrittenen Verleihung des Adorno- Preises der Stadt Frankfurt an die amerikanische Autorin Judith Butler im Jahr 2012.
In sechs Kapiteln, die an vielen Stellen den Eindruck polemischen Flugschriftentums weder verleugnen können noch offensichtlich wollen und damit die kompromisslose Parteinahme des Autors für Israel ohne jedes gerade in Deutschland, wo man sich viel zugute hält auf „Ambiguitätstoleranz“, „Äquidistanz“, „Resilienz“ und dergleichen, heute übliche „ja, aber“ bezeugen, untersucht Heni u.a. das spezifische Verhältnis Kritischer Theorie zu Zionismus und Israel, ihren Beitrag zur Erforschung des Antisemitismus sowie die indifferente oder nur vorderhand kritische Haltung einige ihrer zeitgenössischen Sachwalter wie Jürgen Habermas und Axel Honneth, die bekanntlich nur noch einen als Kritische Theorie getarnten, akademischen Plauder- und Nischenbetrieb buntscheckig nach Kräften verwalten.
(Andere Kaliber der „mittleren“ Frankfurter Schule, wie Hermann Schweppenhäuser und Alfred Schmidt, sind heute vergessen, unbekannt und würden in den Brackwasserunterströmungen des aktuellen Zeitgeists ohnehin keine Rolle mehr spielen.)
Clemens Henis kritische Sichtung israelrelevanter Kontexte unter den Protagonisten älterer und neuer Kritischer Theorie reicht von Benjamin, Scholem, Adorno und Horkheimer zu Löwenthal, Fromm und Marcuse, d.h. von bedingungslosem Eintreten für den Staat der Juden bis zu wenig zu überzeugen vermögender Reserviertheit.
Seine vehementen Tribunalisierungen referieren ebenfalls einschlägige Stellungnahmen von Herzl und Buber, Levinas und Amery, Arendt und Butler, Sartre und Brumlik.
Die diskursiven Frontlinien sind an jeder Stelle evident; das criterium humanum bleibt die Haltung zu Israel. Ob unter linken oder muslimischen Antisemiten, ob unter den bornierten neuen Kleinbürgern deutscher Metropolen oder den jovialen Landeiern.
Welch absurde Blüten ein bloß schlecht als „Antizionismus“ camouflierter Antisemitismus treiben kann, erläutert Heni am Beispiel der englischen, an der Londoner Universität lehrenden, Autorin Jacqueline Rose, indem sie einen antisemitischen Anachronismus erfand, der seinesgleichen sucht und sie für den nächsten Adorno- Preis der Stadt Frankfurt empfehlen könnte.
Rose legte in ihrem 2005 bei Princeton University Press erschienenen Buch „The question of Zion“ u.a. dar, Adolf Hitler und Theodor Herzl seien anlässlich eines und desselben Wagner- Abends in der Pariser Oper zu Mein Kampf und Der Judenstaat inspiriert worden. (S.63)
Henis Text schließt mit einem „Epilog“ genannten Appell, der in „Fünf Worten, die den Nahen Osten verändern würden“ gipfelt, die angesichts der gegenwärtigen Eskalationen im Nahen Osten den Menschen nicht oft genug eingepaukt werden können, wenn nötig mit Waffengewalt der IDF: Akzeptiert Israel als jüdischen Staat!
Ralf Frodermann
Juli 2014