Bielefeld (Bei Anruf Kant)

1214 - 2014 8oo Jahre Bielefeld - Na und!

„Wärm schon mal den Zinksarg an!“

Der alte Kant in Bielefeld

Dem Bielefelder Arzt Carl Arnold Wilmans (1772-1848) widerfuhr die ungewöhnliche Ehre, in Kants Spätwerk Der Streit der Fakultäten ausführlich zu Wort zu kommen.

Wilmans Doktorarbeit von 1797, De similitudine inter mysticismum purum et Kantianam religionis doctrinam, hatte Kants religionsphilosophischen Verlautbarungen zum Gegenstand gehabt, wie sie etwa in seiner vom preußischen König Friedrich Wilhelm II. monierten Schrift Die Religion innerhalb den Grenzen der bloßen Vernunft niedergelegt sind.

Kant antwortete bekanntlich ausführlich auf das königliche „Reskript“ (heute würde man, gleichermaßen politisch korrekt wie inkorrekt, von „Fatwa“ sprechen) vom 1. Oktober 1794, indem er 1798 den seinen großartigen Humor bezeugenden Streit der Fakultäten erscheinen ließ, nicht ohne zu verabsäumen, ihn mit der beziehungsreichen Widmung an den Göttinger Theologieprofessor Carl Friedrich Stäudlin zu versehen.

Zum Ende des ersten Abschnitts seiner Spätschrift zitiert er ausführlich aus dem Brief des Bielefelder Arztes Wilmann unter dem Titel Von einer reinen Mystik in der Religion.

Darin sucht Wilmans u.a. nachzuweisen, dass die Kongruenz zwischen der kantischen Moralphilosophie und der christlichen Tugendlehre evident sei und keinerlei Widersprüche zwischen rational begründbarem Handeln in moralibus und diesbezüglichen biblischen Normen erkennbar seien, so dass man Christen eigentlich auch als Kantianer bezeichnen könne.

Ob den jungen Dr. Wilmans aus Bielefeld der Schalk gedrückt hat wie den alten Kant, ist zweifelhaft und nicht von Bedeutung.

Nirgends jedenfalls ist das Schalkhafte, für welches der passionierte Sterne-Leser Kant ein faible gehabt haben muss, deutlicher gegenwärtig als in seiner Definition des Aberglaubens und des darauf folgenden, interrogativen Possenspiels, versteckt in einer Fußnote des ersten Abschnitts o.a. Schrift:

Aberglaube ist der Hang, in das, was als nicht natürlicherweise zugehend vermeint wird, ein größere Vertrauen zu setzen, als was sich nach Naturgesetzen erklären lässt, - es sei im Physischen oder Moralischen. – Man kann die Frage aufwerfen: ob der Bibelglaube (als empirischer) oder umgekehrt die Moral (als reiner Vernunft- und Religionsglaube) dem Lehrer zum Leitfaden dienen solle? mit anderen Worten: Ist die Lehre von Gott, weil sie in der Bibel steht? oder: Steht sie in der Bibel, weil sie von Gott ist?

Der Streit der Fakultäten hat bis auf den heutigen Tag als eine der elegantesten und wirkungsvollsten Maulkorbzurückweisungen zu gelten.

Seine subkutane Polemik entging vorerst nur dem Polemiker nicht.

Ralf Frodermann

März 2014

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