Kurdologie, jesidisch

Bad Salzuflen, im September 2008

Sehr geehrter Herr Dr. Kizilhan,

bitte gestatten Sie mir einige Bemerkungen zu Ihrem Bielefelder Vortrag vom 16. September 2008 zum Thema „Yeziden zwischen Tradition und Moderne“.

Die heute landläufige Unsitte, einen Vortrag nicht mehr auszudenken, aufzuschreiben und dann vorzulesen, sondern mittels einer Powerpoint – Präsentation mehr oder weniger überzeugend zu improvisieren, macht es der Kritik schwerer als nötig. Dennoch will ich versuchen, Ihnen einige kritische Intuitionen, Ihren Vortrag betreffend, mehr oder weniger ad hoc zu formulieren.

  1. Es überraschte, dass Sie Ihren Vortrag von Anfang an in einen Opferdiskurs einbetteten und die Yeziden als eine über Generationen hinweg traumatisierte Ethnie beschrieben. Sie fabulierten in diesem Zusammenhang von „kollektiver, unbewusster Traumatisierung“ und brachten allen Ernstes zur Erklärung etwa der Aversion einiger junger Yeziden gegen die Farbe Blau ein vor vierhundert Jahren stattgefundenes Gefecht der in Blau gewandeten Türken gegen yezidische Kämpfer ins Spiel. Derartigen Projektionen ist mit kritischem Bewusstein schwerlich mehr beizukommen; daneben wirken sie in ihrer ganzen, beeindruckenden Flachheit ebenso einleuchtend wie abgeschmackt. Bei Lichte besehen handelt es sich freilich dabei um Obskurantismus bzw. leistet diesem nolens volens Vorschub. Sie dienen nicht der Erkenntnis, sondern fingieren sie.

  2. Als ob es seit dem europäischen Mittelalter weder Religions- noch Gesellschaftskritik, weder Kant, Marx, Freud und Adorno gegeben hätte, weder, mit anderen Worten, Aufklärung, Politische Ökonomie, Psychoanalyse und Kritische Theorie, plauderten Sie, Verständnis heischend, oberflächlich Nietzsche zitierend und anekdotenreich, über ein nach strengen, patriarchalischen, clanähnlichen, mit einem Wort: vormodernen Prinzipien organisiertes, yezidisches Kollektiv, von dem sich aber doch wohl die in ihm Befangenen, insbesondere die Frauen, zu emanzipieren hätten, statt es materiell wie ideologisch zu reproduzieren. Im Kontext migrationspolitischer, d.h. auch rechtsstaatlicher Diskurse bedeutet das nichts weniger als: Keine Integration ohne Desintegration!

  3. Ideologiekritik konnte man Ihren Ausführungen nicht entnehmen, im Gegenteil, wirkten sie doch eher apologetisch und, wie in diesem Kontext leider allzu üblich, kulturalistisch - relativierend. Nun kann man aber wohl ernsthaft diese Fragen, die Sie nicht zuletzt von Berufs wegen beschäftigen, unter keinen Umständen halb folkloristisch, halb psychotherapeutisch - pragmatisch traktieren, sondern muss sie mindestens im Horizont der Debatte um Integration, Rechtsstaat, Laizismus in post – industriellen Gesellschaften wie der bundesrepublikanischen diskutieren. Andernfalls geht man mit diesbezüglichen Äußerungen über das Niveau individueller oder paternalistischer Verlautbarungen nicht hinaus. (Michael Schönhuths exemplarischer Beitrag „Remigration von Spätaussiedlern“, in, IMIS - Beiträge 33 /2008 sowie das Themenheft „Migration, Integration und Menschenrechte“ der Schweizer Zeitschrift WIDERSPRUCH, 51 / 2006, setzen sich wohltuend von derartigen, wissenschaftlichen Regressionen ab.)

  4. Ihr relativierender Hinweis, Zwangsehen habe es doch auch an europäischen Fürstenhöfen gegeben und seien daher keine speziell muslimischen oder yezidischen Verbrechen, ist entweder Ausdruck stupender historischer Naivität oder pure Rabulistik; beides verbietet sich angesichts von Ehrenmorden, Selbstjustiz und zunehmender Selbstsegregation vieler Menschen und communities mit Migrationshintergrund in der Bundesrepublik und muss als zynisch qualifiziert werden. Hatun Sürücü war nicht Marie Antoinette.

  5. Ebenso zynisch war Ihr Hinweis, alleinerziehende Frauen, die aus purer ökonomischer Not in ihr Elternhaus zurückkehren müssen, sorgten auf diese Weise für eine Reorganisation des traditionellen Familienmodells. Nicht die Konsolidierung autoritärer Strukturen in Familie, Religion und Gesellschaft steht auf der Tagesordnung emanzipatorischen Wirkens, zu welchem auch sicher Sie sich bekennen, sondern leider nach wie vor deren Kritik und Abschaffung. Ihr diffuser Hinweis auf Demokratie und Bildung ist da nur wenig hilfreich gewesen.

  6. Über Yeziden und deren Kultur berichtete kürzlich Wolfgang Günter Lerch in der FAZ; in seinem Beitrag wird der Yezidi – Führer Pir Othman mit den Worten zitiert, ohne Reformen und eine Modernisierung könnten die Yeziden kaum überleben. Dies dürfte eine zutreffende Diagnose sein, gegen die sich eine Wortmeldung nach Ihrem Vortrag grell abhob: ein yezidischer Herr gab zwanglos seiner Enttäuschung über die offensichtliche Erodierung seiner familiären Autorität und den Zerfall dessen, was er seine Kultur und Tradition nannte, zum Ausdruck. Er sprach mit Bewunderung von den muslimischen Mädchen, die schon in der Grundschule das Kopftuch tragen und sann darüber nach, wie man wohl auch in seiner Religionsgemeinschaft wieder für mehr Respekt für derartige Dinge – will sagen für die Restitution von Autorität, Gehorsam, Aberglaube, Unterwerfung, Psychopathologien aller Art usw., - Sorge tragen könnte. Das konnten Sie ihm zwar auch nicht sagen, aber ein Wort der Kritik gegen derartige Zumutungen und Abrichtungswünsche, die gern mit Erziehung verwechselt werden, fiel ebenso wenig. Fällig wäre es auch in diesem nicht akademischen Rahmen allemal gewesen. (Ich verweise hier der Kürze halber auf: Redaktion BAHAMAS (Hrsg.): Wo Multikultis das Land regieren. Berlin, April 2005 und: Thomas Maul, Die Macht der Mullahs. Freiburg, 2006 sowie T. Maul: Thesen zum Kopftuch und zur Notwendigkeit seines Verbots für Schülerinnen. in, ccp#5 / Zeitschrift gegen deutsche Zustände, 2007).

  7. Eine weitere Wortmeldung, diesmal seitens eines Vertreters der Bielefelder Polizei, mehr noch Ihre Reaktion darauf, machte endgültig klar, dass Kritik an diesem Abend weder stattfand noch intendiert war: der Beamte wies in sympathischer Hilflosigkeit darauf hin, dass sich auf seinem Schreibtisch Anzeigen wegen Todesdrohungen - muslimischen wie yezidischen Migrationshintergrunds gewissermaßen – stapelten; ob er das denn alles ernst zu nehmen habe, fragte er sich und fragte er Sie, zu niemandes Verblüffung, wie es schien. Offenbar war ihm die Existenz eines Strafgesetzbuches nicht recht erinnerlich, sonst hätte er sich die Frage selber beantworten und darauf hinweisen können, dass eine Morddrohung von Seiten einer Person an eine andere selbstverständlich einen Straftatbestand darstellt, der mit allen rechtlichen Mitteln aufzuklären und zu ahnden ist. Dass Sie den Hinweis unterließen und einen Einzelfall schilderten, in dem ein Ehrenmord durch den von Ihnen veranlassten, präventiven Polizeipräsenz verhindert werden konnte, ehrt Sie, verkennt aber zugleich die Dimension der Problematik, die keinesfalls als eine nur individualpsychologische und somit einseitig aufzufassen ist.

Ich breche hier ab und erspare Ihnen und mir weitere Interventionen und Hinweise, etwa auf Necla Kelek, auf die einschlägigen Arbeiten von Stephan Grigat und Gerhard Scheit oder auf einen Film wie „Gegen die Wand“ – die yezidische Version steht noch aus – und die Arbeiten Theo van Goghs und Hirsi Alis und vieles mehr, denn ich will Sie nicht langweilen und Ihre Aufmerksamkeit über Gebühr in Anspruch nehmen.

In „Die Zukunft einer Illusion“ beschrieb Freud vor 80 Jahren die Abhängigkeit humanen Fortschritts u.a. von der Überwindung religiöser Phantasmen. Von diesem Fortschritt, will mir scheinen, sind wir weiter entfernt als damals. Angesichts zunehmender Tribalisierung, welche die globalen Migrationsströme insgesamt auslösen, bleibt die Kritik tribalistischer Vernunft ein Desiderat aufgeklärten Bewusstseins. Ihre Alternative wäre die dynamische, modernisierte Hölle auf Erden. Manche meinen schon, dahin gehöre sie auch.

Mit freundlichen Grüssen,

Ralf Frodermann

PS:

Die Folien Ihrer Powerpoint- Präsentation wiesen an vielen Stellen syntaktische oder andere grammatische Mängel auf; da wäre wohl ein update fällig.

Warum wurde übrigens andauernd von Privatleuten gefilmt? Und warum wurde das Publikum nicht vorher um Erlaubnis darum gebeten?

Bitte halten Sie mich nicht für beckmesserisch oder paranoid; mein Ordnungssinn ist allerdings notorisch bis psychogen.

Literatur:

FAZ 11. April 2012 S. 6