Walpurgissack

Der Karussellbremser / Selberlebensbeschreibung / Zettel 4.8879.56.jz.* manuscr. Folio XIX

Wie ich einmal von einer üblen Schabracke zu einem Fall (von Befremden und Abscheu) gemacht werden sollte

Aus unsereins einen Skandal zu machen, ist bisweilen ein Kinderspiel gewesen. Kaum hatte man zum Exempel seinen erschöpften Mitmenschen angeraten, dem jeweils tausendsten, einreisenden Zigeuner einen Dietrich als Zeichen deutscher Willkommenskultur in die Hand zu drücken, weil das Geld für eine Fluchtvespa nun eben nicht mehr reichen wollte, schon stand man an der Empörten Pranger, ihrem Lieblingsmöbel.

Nun hatte es sich einmal zugetragen, dass ich an einem winterlichen Mittag am Ort meines damaligen Brotberufs aus schierem Übermut in meinem Regenzeug auf einem Flur saß, obschon in jenem Flur zu der Stunde gar kein Regen oder Schnee fiel, und gedankenlos meinen Gedanken nachhing.

In einem Zimmer vis a vis unterhielten sich einige Damen über Dinge, die ich weder hören konnte noch wollte. Ich sah ihnen zu wie man einem Stummfilm zusieht, dem die Untertitel fehlen.

Für die sorgte dann aber sogleich die durch eine Flurtür hereintretende Schwester Oberin, die mich danach befragte, was denn meines Tuns hier sei, worauf ich ihr zur Antwort gab, ich würde die Frauen dort drüben beobachten. Dies hielt sie wohl für ein fragwürdiges Betragen, obendrein von einem, der wohl verhüllt in seinem, einen weiten Wurf werfenden Regencape dasaß, begab sich entschlossen zur offenen Tür, um sie von innen zu schließen. Ich meinte, in einem Kloster gelandet zu sein, in welchem die Äbtissin ihre gefährdeten Nönnchen vor den zudringlichen Blicken eines geilen, losen Bruders, der Gott weiß was unter seiner Kutte anstellt, zu schützen habe.

Zwei Tage später bat mich die Alte zum Gespräch und eröffnete mir, mich so ins Gebet nehmend und den Vogel abschießend, ihre, wie sie sagte, „Wahrnehmung“, die darin lag, dass ich mir wohl unter meinem Regenschutz die Rute gerieben hätte, während ich in jenes Zimmer schaute, und mithin ein Lüstling sei, der sich verdeckter Exhibitionismen, widerlichster Triebabfuhr und anderer Vergehen schuldig gemacht habe.

Der perfiden Schachtel gab ich gleich gehörigen Bescheid! So konsterniert ich war, verlor ich doch keineswegs meine Fassung, sondern suchte, sie wieder zu der ihren zu bringen.

Denn als phallischer Sündenbock oder gar einfacher Bock war ich weder mir noch anderen je bekannt gewesen. Zwar liebte ich immer die Weiber, doch niemals im Verborgenen als Spanner, Stalker oder zudringlicher Hodensack.

Aber das gemeingefährliche Luder wollte von ihrem Vorwurf nicht ablassen und so bat ich sie in die Chefetage, vor das heilige Konsistorium, um dort ihr böses Liedchen, das jedem Abschaum zur Ehre gereicht hätte, noch einmal zu singen.

Dort stand ihr Hyänenwort gegen meins; eine Verleumdung meiner närrischen Vermummung wegen, eine Verleumdung, die schmutzigste Vorstellungskraft sichtbar werden ließ, eine Verleumdung, deren strenge Zurückweisung die Welt oft genug nur als klamm- dreistes Eingeständnis schuldhaften Verhaltens zu verstehen weiß.

Ich aber wusste wohl, dass die Narren zu allen Zeiten für weniger aufs Rad geflochten worden waren, hatte großes Mitleid mit ihnen und schalt mich einmal mehr meiner Torheit, die mich hat nichts werden lassen, außer ein Narr.

Ralf Frodermann (22. Februar 2013)