„Dumm! Saudumm! Immer kommst du ins Gedräng’, und nie hast du einen Zweck.“
Oskar Maria Graf
Impotente Polemik
Annotationen zu Reinhard Wittmanns Polemik „Könich Ludwig lebt hier nich mehr/Linguistik als Heimatkunde: Der galoppierende Verfall der gesprochenen Sprache scheint niemanden zu kümmern. Eine Polemik.“ FAZ 5. September 2012
Reinhard Wittmanns schale Eloge auf Mundart und Dialekt, die er selber als „Polemik“ missversteht, holt nicht eben weit aus. Seine vorgebliche Trauer und Wut darüber, dass die Zeiten den süddeutschen Mundarten norddeutsch übers Maul gefahren sind, mag man ihm nachsehen. Im Umkehrschluss daraus aber eine Art Vademecum zur Mündigkeit –„Mundart kann mündig machen gegen Bevormundung.“ - stilblütenverdächtig zu destillieren, klingt, vermutlich nicht nur in kantischen Ohren, nach grob-linguistischem Unfug. Und dass, Wittmann zufolge, allen Diktaturen -„(auch den Nazis)“ (sic!) –die Mundart ein Ärgernis war und ist, scheint im Eifer des Gefechts nicht mehr als eine Schutzbehauptung ungeschützter Torheit.
Dialekt und Mundart bleiben die phonetischen Signaturen der Provinz. Ihr Aussterben ist weder zu bedauern noch naserümpfend anzuprangern, insbesondere in einem Land, in dessen provinzieller Hauptstadt der wohl obszönste, deutsche Dialekt schon lügt, wenn er „Icke“ sagt.
Mundart ist Rotwelsch. Bandenmitglieder erkennen einander an Stimmklang und Lexis. Die anachronistische Sehnsucht nach Rasenbank und Rosenbeet eint sie an Sonntagen, wenn sie bei Mama im Altersheim und in einer Mischung aus Rührung, Spott und Gutmütigkeit den lieben Gott einen guten Mann sein lassen und endlich einmal wieder so daherreden, wie es der Mama gefiele, wäre sie nicht taub.
Nein, Mundart ist Unrat und Unart! Ihr Aussterben nach Kräften zu betreiben, ist Pflicht aller Freunde der deutschen Sprache. Ist doch nichts dem empfindsamen Ohr widerwärtiger, als die ölige bis scharfe Modulation, die schauderhafte Syntax und Morphologie und die nicht bloß bisweilen infantile Pragmatik derer, die, mit allen Segnungen der Technik zwar leidlos ausgerüstet und der Technisierung der Sprache gar nicht die Stirn bietend, sich ihren erlernten Zungendefekt aber nicht abmarkten lassen wollen, und eher schweigen, als hochdeutsch zu sprechen. Aus Scham oder Hochmut.
Ralf Frodermann IX 2012