Praktika

Letzter Rat, gar nicht teuer

Philosophische Lehrschulen zur Lebensklugheit sind in Beratungswerkstätten, esoterischen Brummkreiseln und verwandten Klitschen aufgegangen. Von Seneca oder Epiktet erhält niemand mehr Post. Trotzdem ist guter Rat nicht teuer, sondern weitestgehend ausgestorben.

Man verbittet sich ihn im Alltag ohnehin, das Kriegsgebiet allgegenwärtiger Vorteilsnahme ausgenommen.

Wer aber krank, arbeitslos, alt oder aus anderen Gründen überflüssig ist, dem lässt sich wertloser Rat erteilen. Dem Alten etwa, der an Sonntagen, d.h. jeden Tag, am Fenster seiner letzten Bleibe auf die Straße starrt, den Sohn, die Tochter herbeisehnend, die tote Gattin verfluchend, ebenso das welke Gemächt, dem empfiehlt munter die geriatrisch weitergebildete Altenschwester den Bingoabend an, das neue Abführmittel oder, als wirklich praktischen Rat, das neue Pedikürenset für Haus- und Heimtiere wie ihn.

Oder dem Kranken, dem die Welt eine andere ist als dem Gesunden. Er wittert präzise die Sollbruchstelle, an welcher aus ärztlichem Rat schaler Trost wird.

Oder dem ewigen Arbeitslosen, der seit Jahrzehnten seinen Gelddurst in sog. „Maßnahmen“ usw. löschen darf wie der Säufer seinen Brand im Traum, nämlich gar nicht.

Das Abraten, der Negativrat, ist dagegen in Mode. Dem durchschnittlichen idiota doctus und Universitätsprofessor ist es wieder sowohl eine Herzensangelegenheit wie eine Frage der Verantwortung, dem mittellosen Doktoranden von allzu tiefer akademischer Grubenfahrt ohne Fahrschein abzuraten.

Schon Eltern ohne auskömmlichem Monatseinkommen wird seitens der Grundschule zu gegebener Zeit bedeutet, sie mögen ihre Brut auf zuständige Brutschulen schicken, damit jene nicht den Arbeitsmarkt verstopfen, der heute sein Sortiment für morgen aus Zehnjährigen rekrutiert, die objektiv zwar als Rentiers existieren könnten, aber das Heiligtum Arbeit nicht entweihen dürfen durch Nichtarbeit: wer nicht arbeitet, soll auch nicht gut essen, jedenfalls nicht sehr gut.

Und weiter sang der Küchenpaulus: Die Mär vom blonden Gift oder Der zu späte Rat

Volle Titten, glatte Haut,

Ich hab mein Glück auf Gift gebaut.

Hätt’ niemand mir nur Rat erteilt,

Hätt’ ich mich nur noch mehr gewunden!

Hätt’ nie in ihrem Schoß verweilt,

Schon gar nicht ganze 16 Stunden.

Gegenstrophe

Wem nicht zu helfen, nicht zu raten,

Wer Tiere frisst, statt Fleischtomaten,

Dem schuldet niemand nur ein Jota,

Und fragt er auch „Wer droht da?“.

Ralf Frodermann IV 2012