Jeder ist seines Unglücks Kammerjäger:
Kultur im Alter oder: Erhören Racheengel Gebete ? Eine Gemme
Unter den ebenso allbekannten wie albernen Spektakeln dieser Zeit spielt die sogenannte Kultur nur noch eine Nebenrolle, auch innerhalb der Gerontologie.
Elastische Greise besuchen zwar noch Museen, Theater und Konzertsäle oder pilgern ins Kino, um einer Übertragung aus der New Yorker Metropolitan Opera beinahe live beizuwohnen.
Sie halten immer noch Tages- oder Wochenblätter, schalten hin und wieder einen Klassik-/Kultursender interaktiv ein („Heute ist der dritte Todestag meiner Frau Gisela, könnten Sie zu ihrem Gedenken bitte Bruckners Te deum spielen?“) oder buchen sogenannte Bildungsreisen Richtung Universität, Ausland oder andere, vorletzte Ausfahrten.
Aber das Herzblut wird doch auch dabei nicht mehr wärmer, so sehr und zugleich widerwärtig auch liebedienerische Kulturheinis/-hannis um ihre Restklientel buhlen mögen.
„Wird dann jedoch der Körper geschwächt durch den Einfluss des Alters,
werden die Glieder unsicher mit dem Erlahmen der Kräfte,
stockt auch der Geist, irr plappert die Zunge, entgleiten Gedanken,
alles verliert sich und steht uns auf einmal nicht mehr zu Gebote.
Folgerecht löst sich, natürlicherweise, die Seele als Ganzes
Auf wie der Rauch, entweicht in die hohen Schichten der Lüfte.“
Lukrez, de rerum natura (III, 450f. Übs.: D. Ebener Leipzig, 1989)
Werke endgültig vergessener Erzähler von Rang wie Conrad Ferdinand Meyer oder Marie von Ebner- Eschenbach werden da und dort noch in privaten Lesekreisen alt gewordener Musterschüler, mehr oder weniger andächtig, konsultiert; alte Erinnerungen- länger vergessen als je erinnert! – an ewig betagte Lehrerinnen des Deutschen erwachen dann und geistern umher im Spukschloss Hirn = Waren-/Denkform – Transformator.
Und gar nicht selten fühlt sich dann einer, und sei er auch von Ehren zeitlebens überhäuft worden, verkannt.
Ist denn etwa nicht nur der Künstler(Franz Roh: Der verkannte Künstler – Studien zur Geschichte und Theorie des kulturellen Missverstehens. 1948), sondern auch der bilanzierende, alte Mensch ein verkennender Verkannter, das Reversbild des betrogenen Betrügers?
Ralf Frodermann III 2014