Schrödingers Schlange

Thesen anlässlich der Eziden- Konferenz 23./24. Juni 2012 im Rathaus zu Bielefeld

„Scharia bedeutet, die Welt grundsätzlich als erweiterte Familie aufzufassen und damit alle auch strafrechtlich relevanten Konflikte als ‚Familienangelegenheiten’ zu behandeln, in die sich gefälligst niemand ‚von außen’ einzumischen habe.“

C. Nachtmann, Die demokratisierte Volksgemeinschaft als Karneval der Kulturen. In, S. Grigat (Hg.): Postnazismus revisited/Das Nachleben des Nationalsozialismus im 21. Jahrhundert. = Zweite, erweiterte und geänderte Auflage von Transformation des Postnazismus. Der deutsch –österreichische Weg zum demokratischen Faschismus (2003).

Freiburg i. Br., 2012 S. 77

Ezidenscharia und zoroastischer Konvertitengraus / Aus Familienbanden

Neben den konkurrierenden Buchreligionen machen in letzter Zeit auch wieder Glaubensrichtungen ohne kodifizierte Geschäftsgrundlagen von sich reden. Eine unter ihnen ist das sog. Ezidentum (Yeziden, oder auch Jesiden), eine orientalische Bauernreligion, der in der Bundesrepublik einige zehntausend Menschen kurdischer Herkunft nolens volens angehören.

Die Formatierung ezidischer Sozialität erfolgt ebenso streng hierarchisch wie patriarchalisch; Apostasie bzw. die Verletzung oder das Ignorieren geltender Heirats- oder anderer Vorschriften etc. des ezidischen Dispositivs stehen nicht nur symbolisch unter Strafe. Familienclans wachen mit Argusaugen über sog. Familienehre und die Grenzen ihres religiösen closed shop, der keine Proselyten machen will und also nicht missionarisch tätig ist.

Von einem Zentralrat der Ex- Eziden, nach dem Muster des Zentralrats der Ex- Muslime ist nichts bekannt.

Zum ezidischen Glauben kann man nach dessen Lehre nicht übertreten, was insbesondere für konversionswillige deutsche Frauen, deren Zahl offenbar ansteigt, vermutlich eine Zumutung und Einschränkung ihrer Entfaltungsmöglichkeiten jenseits von Tibet, Mekka und Eden bedeutet. Das Einstiegsverbot aber gilt strikt. Für konversionswillige Ezidinnen bedeutet umgekehrt der Verstoß gegen das Ausstiegsverbot aus Familienclan und religiöser Ideologie nicht selten den sicheren Tod.

Vergleicht man die ezidische Weltanschauung etwa mit der Church of Scientology, erkennt man bestechende Analogien in Reversform, was in der vergleichenden Religionssoziologie durchaus nicht wunder nimmt. Mehr noch: Scientology ist modernisiertes Ezidentum! Die vormodernen Fermente und Feigenblätter sind freilich gänzlich abgestreift und an die Stelle animistischer Pfauenmystik trat eine straffe corporate identity, an die Stelle metaphysischen deficit spendings, strengstes Profitgebot, an die Stelle ulkiger Pirs und Scheiks traten Manager, akademisch gebildete Funktionäre, Lobbyisten, Schmocks und Unternehmensberater. Diese Modernisierung ist hierorts erst im Gang; ob sie auch unter dem Namen „Scientology“ reüssieren wird oder unter einem anderen Label, ist noch nicht auszumachen.

„Anstatt von den vorkapitalistischen Völkern sich Wunder zu erwarten, sollten die reifen vor deren Nüchternheit, ihrem faulen Sinn fürs Bewährte und für die Erfolge des Abendlandes auf der Hut sein.“

T.W. Adorno, Minima Moralia I, 32

Der quasselindustrielle Integrationskomplex in der Bundesrepublik Deutschland hat noch jedes Gesprächsangebot angenommen und sich einverleibt. Vor allem anderen ist ihm Dialog- Rhetorik zum narrativen perpetuum mobile und autistischen Selbstgespräch geworden. Die Kritik marginaler, inhumaner Atavismen abseitigen Aberglaubens, wozu das Ezidentum gerechnet werden muss, kann sich damit nicht bescheiden.

Ralf Frodermann / Mai 2012

Dokumentation: „Offener Brief an Dr. Jan Kizilhan“ (September 2008)

s. "Kurdologie, jesidisch"