Lichtenthaler Tagebuch Sommer 2020 (Fortsetzung des Potsdamer Diariums)

25. September

War Döblins November 1918. Eine deutsche Revolution noch Dichtung aus Wahrheit, so ist das Schrifttum zur '89er Revolution nur Mumpitz aus Nichtvermögen.

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Dr. Heinrich Niehues-Proebsting, den die Gebildeten unter seinen Giessener Studenten in den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts verächtlich Minus-P nannten, erinnert sich im Oktoberheft des MERKUR - der Textsorte überangemessen angemessen, d.h. übertrieben panegyrisch - an Hans Blumenberg, seinen akademischen Lehrer in Münster.

Dass er dabei in den Schwitzbädern wohlbekannten deutschen akademischen Ressentiments landet (Adorno-Neurose, akademische Äquidistanz: Erlanger, Frankfurter, Schildaer Schule) seine Huldigung mit jener Nietzeches an Schopenhauer en passant in Verbindung bringt und ebenso en passant ausamor fati ducunt volentem fata, nolentem trahunt macht, gereicht dem Mann kaum zur Ehre.

Blumenberg, "der seine Liebe zur Kirche bewahrt hatte" (Niehues-Proebsting ibid. S. 44) und der nach Darstellung seines letzten Assistenten N-P offensichtlich kein Bock wie Heidegger, kein besonders glänzender Stilist und kein Sherry-Säufer war, wird in dem "Über-meinen-Lehrer-Hans-Blumenberg" - Sermon zur philosophischen Supernova. In der Hintergrundstrahlung solcher Größe gedeiht das Zauseltum Sancho Pansas seit jeher am besten.

Vgl.:

https://sites.google.com/site/universitaetbockwurst/gaestebuch-holunder/aktuelles/privatissimum-ss-2015

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Reckenphilosophie?

Nein, Rockenphilosophie!

"Die gestriegelte Rocken-Philosophie, Oder Aufrichtige Untersuchung derer Von vielen super-klugen Weibern hochgehaltenen Aberglauben, Allen nützlich zu lesen, die entweder schon ehemals von ein- und andern Aberglauben betrogen worden sind, oder noch betrogen werden können; An das Licht gestellet von dem, der einem iedweden die Wahrheit Jns Gesicht Saget. (Chemnitz, 1718-1722)

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Hast du den Wohlstand nie gekannt?

Wen ich einmal mir besitze,

Dem ist die Welt so nütze,

Ewiges Helles steigt herauf,

Sonne steigt nicht ab, nur auf,

Bei vollkommnen äußern Sinnen

Wohnen Diamanten drinnen,

Und es weiß von allen Schätzen

Der sich in Besitz zu setzen,

dem Schrift und Sprache ward zur Grille,

Er kennt Denken nur als Wille,

Sei es Wonne sei es Glück

Nimmer ändern sein Geschick

Die Sterne seiner Tage,

halten ferne fernste Plagen.

24. September

Abendliches Abschiedsständchen eines Wildfremden, mit dem wir uns in Schneiders Weinstube stundenlang angeregt unterhalten hatten:

Zwar bin ich voll wie 'ne Haubitze,

und lache über Ihre Witze,

doch eines weiß ich ganz genau:

Sie sind 'ne ausgekochte Sau!

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Aus der unweit gelegenen Kurrune Bad Wildbad an der Enz erfahre ich, dass der dortige Alt-Bürgermeister Dr. Walter Jocher verstorben ist.

Unser notorischer Pedell Frodermann war einmal groteskerweise gegen ihn zur Wahl angetreten, wovon sein Enzduell zeugt:

https://www.academia.edu/36541311/ENZDUELL

https://sites.google.com/site/universitaetbockwurst/wildbader-grubenhund/enzduell

Seine konzertierte Aktion Der längste Wahlkampf der Republik - Fünf Jahre Dauerwahlkampf um das Bürgermeisteramt in Bad Wildbad 2001-2006 wurde im Wahljahr 2006 mit einer lächerlichen Wahlniederlage gekrönt.

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22. September

Ernst Wagners Roman Willibalds Ansichten des Lebens dürfte gründlich vergessen sein.

Victor Lange, der Weltbürger aus Markranstädt und Princeton, traktiert ihn noch in seinen Illyrischen Betrachtungen (1989).

Seine Lebens- und Gelehrtenansichten waren die eines großen Lehrers.

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Die meisten Menschen haben einen Schnupfen.

aus: Jakob von Hoddis, Weltende

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Über Schwärmer und Stammler

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Zur Phänomenologie des deutschen Pantoffelhelden:

"Die ehemaligen Nazis, die sich wahrhaftig schlimmster Verbrechen schuldig gemacht haben, sind, das hat sich fast immer bestätigt, vor ihren Frauen die reinsten Lämmer."

Claude Lanzmann, Der patagonische Hase. Erinnerungen. (dt. 2010 S. 566)

21. September

An »Indifferentismus« habe ich nie gelitten. War mir etwas indifferent, so wußte ich nichts davon, und es berührte mich nicht. War mir etwas wichtig und wurmte mir, so verhehlte ich’s wohl, aber ich verläugnete es nicht. Meine Erziehung, die keine war, hat wohl dazu beigetragen.

Rahel Varnhagen, Brief an Fouqué 31. Dezember 1811.

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Lügen die Dichter? Unbedingt! Und obendrein schlecht.

S. Walt Whitmans Verse aus seinen Grashalmen (Übersetzung J. Schlaf)

Schöne Weiber

Weiber sitzten und schreiten hin und her; einige alt, einige

jung;

Die jungen sind schön - aber die alten sind schöner noch

als die jungen.

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Eine Frau, die mit einem Erpel verheiratet ist, ist meist nicht häßlicher als dieser, sondern glücklicher und wir singen ihr mit Bettina Wegner zu:

So glücklich war die Ärmste nie

sie sprach zu sich. Er liebt nur mich.

Und jeden Abend dachte sie:

Der ist noch häßlicher als ich!

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20. September

Den Choral Ein feste Burg ist unser Wahn möchte man anstimmen, nachdem man die Ausführungen einer Brückenprofessorin für "Gender und Diversity in den Ingenieurswissenschaften" (FAZ 19.September 2020) zur Kenntnis genommen hat.

Dass eine Närrin mehr ist als bloß ein gegenderter Narr, ist in diesem Nest aus linguistischen Schaumeiern aufs Beste und Schönste belegt.

Zur Genese solchen Unsinns eine darwinistische Fußnote:

Im vierten Band des Grammatischen Wörterbuchs der deutschen Sprache, begründet von Karl Ph. Moritz, fortgesetzt von Johann Christoph Vollbeding (Berlin, 1800), lesen wir unter dem Eintrag Suffixum:

Im eigentl. Deutschen bildet man durch die Nachsylbe i n n, auch die weiblichen Benennungen der Thiere, deren weibliches Geschlecht keinen eigenen Nahmen hat, sondern nach dem männlichen genannt werden muß, als die Eselinn, Hündinn, Bärinn, Wölfinn, Löwinn, Elephantinn, Störchinn.

Ja, die Jäger sagen auch Fischinn, Häsinn, Dachsinn, Luchsinn.

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Habe mit einem halbgelehrten Gigolo aus der Umgegend die Schachpartie aus Becketts Murphy nachgespielt. Irritationen sind zu vermelden, sobald dafür Begrifflichkeit gefunden.

18. September

"Auch in meinem Buch wird man Dinge finden, die ich ohne C.G.Jung nicht hätte sehen können."

(E.R.Curtius: Europäische Literatur und Lateinisches Mittelalter. Vorwort zur zweiten Auflage)

Ob es Dinge gibt, die man nur und ausschließlich ohne C.G.Jung sehen kann?

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Pelleas: Ja, es ist ein Hauch des Todes, der rings aufwallt...

Maurice Maeterlinck, Pelleas und Melisande (III,3)

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"Eifersüchtig wachst du über dein Eifersuchts - Drama!" - Meine Gattin zu mir und dem Doppelheft "Eifersucht" der Zeitschrift PSYCHE (9 - 10 2020)

17. September

Abt Bern von Reichenaus Predigt De pascha werde ich heute Abend szenisch aufführen. Hermann der Lahme wird vom Koll. Aberfett, der zu Besuch in unserem Kloster hier weilt, gegeben.

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"Ein Buch, welches geworfen erschlägt" - so nannte Ernst Robert Curtius sein opus magnum "Europäische Literatur und Lateinisches Mittelalter".

Für den Philologen Paul Dräger, unseren liebern Dr. Johnson von der Mosel,

ist es nur das "immer wieder zu Unrecht hochgejubelte Sammelsurium" eines gelehrten Mehrfamilienhauses.

Seine Leitsätze sind heute Epitaphe.

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16. September

Sublimation der Dummheit? - Ein seltener Vogel und Causeur wollte mir das gestern Abend verkaufen.

Bosheit und Dummheit mit menschlichem Antlitz? Daran leiden wir keinen Mangel. Jedenfalls weder sublimier- noch deligitimierbar.

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Mit regeren Gefühlen für das schöne Geschlecht ist wohl niemand geboren worden als ich. Den Frauen verdanke ich meine süssesten Stunden; sie haben mich aber auch zu mancher Thorheit verleitet, und mehr als einmal mich auf Abwege geführt.

August von Kotzebue, Mein Umgang mit dem schönen Geschlecht

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Das neue Goethe Yearbook ( Vol. 27 2020) aus USA frisch eingetroffen. Las Review der Walter-Kaufmann-Biographie von Stanley Corngold. Warum publiziert der alte Kaufmann ausgerechnet in der jungen welt?

15. September

Aus Rilkes Stundenbuch-Gedicht Sie sind es nicht:

Denn Armut ist ein großer Glanz aus Innen...

Drei Bedeutung heischende Punkte Sie stehen für Häme, Hohn und Spott.

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Das Protokoll der jüngsten Freitagsgespräche ging uns mit Verspätung zu:

Aus dem Slum-Office II

Gedächtnisprotokoll des Komitees für spätgerügten Gehörsverstoß und Beplankung

des Vereines für zeitgemäße Legenden, Rayons Trinitatis sowie Dogger und Skagerak,

zur Ad-hoc-Konferenz vom 11. September 2020 im "Stint", Wolfenbüttel

Anwesende Mitglieder:

Freiherr von Auchjauche, Dr. Egon Aberfett, Jottfried Y. Jennerwein, Onkel Hörman Betento

Entschuldigtes Fehlen: Prof. Robert Holunder (WLAN kaputt)

Protokollführer:

Aufgrund des hohen Seegangs und stellenweise schlechter Sicht konnten unsere bewährten Protokollführer J. H. v. Elgott und R. Siemß das Vorhersagegebiet leider nicht pünktlich erreichen. Nach einem proletarischen Viertel entschied sich das Plenarkollegium, ein Beiboot zur Seenotrettung rauszuschicken und bis zur Bergung der Gekielholten den Tarnerinnerungen des Smutjes zu trauen.

1. Eröffnung und Begrüßung:

Von Eco ist eine Binse kolportiert, die die Vereinsmitglieder auch gerne dem freudig begrüßten neuen Vorstandsmitglied Jottfried Y. Jennerwein mit auf die Geleise geben möchten: "Stramme Möpse sind besser als langweilige Bücher."

2. Tagesordnung:

Der Festauschuss berichtet über den Stand der Vorbereitungen für den diesjährigen Tag des Denkmals am kommenden Sonntag, dem 13. Sept. Gerade wegen Corona soll wohl irgendwas im Internet gemacht werden, wenn Bobbys WLAN wieder geht. Angeblich hat die Kindergruppe ein Autodafé gemacht, aber das Filmchen davon kriegen wir hier an Bord mit den alten OS9-Macs nicht auf, war wohl auch nur in Schwarz-Weiß. Holunder soll seinen Contentmanager resetten und ein Backup in die schwarzen Wolken schießen. Ansonsten Hagel- und Graupelschauer, strichweise orkanartige Schneeböen, See sieben Meter, verstärkend, oostwandernd. Laune mäßig.

3. Verschiedenes:

Es wurde viel gequatscht über Ringelnatz (viel besser als Morgenstern, vor allem der „Dachgarten der Irrsinnigen“), Wolfes „Geweb und Fels“ (fast so lang wie „Aus Zeit und Strom“) und Gerhard Richter (fast so Scheiße wie Neo Rauch). Falls Montag endlich die Kohle von der Krankenkasse kommt, will der Vorstand dem Herzog-Alba-Museum im Braunschweiger Land einen Hieronymus Bosch schenken, so einen mit massig kaputten Leuten. Das müssen wir dem Smutje aber alles noch mal in Ruhe verklamüsern, der ist heute komplett Ssünne drauf und bringt alles durcheinander. Einen besonderen Beifall gab es für die Darbietung unseres Missingsch-Damenkreises, die dem Exhibitionisten vor Utsira einen Choral folgenden Wortlautes entbat: „Ick heet Sireen un ick bün Alkoholiker.“

4. Finanzen:

Der Smutje schlägt vor, lieber aufzuerstehen und endlich zu essen. Auchjauches getrocknete Beeren in den Drinks kommen nicht so gut an. Holunder meldet sich via Skype und will auch eine von den Cheddarbuletten. Fozzo fängt wieder mit seinen Sport-und-Tiere-Wahlkampfsachen an, redet davon, einen von Vermeer gemalten Teckel in den Exekutivausschuss wählen zu lassen. Allgemeines Geschnatter, Transkript unmöglich. Zwischenrufe: „Hat der nicht meist eher El-Pastore-Tedescos gemalt?“, „Wir sind die KPD!“, „Sagenhafter Riesenstuss!“, „Fresse halten!“ etc.

5. Zukunft des Vereins:

Muss noch entfaltet und ausgeführt werden: Kritik 1. der Naturgesetze (Erledigungsvermerk ist bereits angebracht), 2. des Werkes des Herren W. G. Sebald (der Smutje verwechselt den immer mit Anton Wilhelm Amo), 3. der Qualität der Konfirmandinnen, die neuerdings versuchen, die Seewarnnachrichten vorzulesen. Der erste allgemeine Deutsche Warntag war hier auch gar nicht zu hören. Die NATO soll das unbedingt abschalten, dieses Internet.

Wolfenbüttel, den 11. Sept. 2020

f. d. R. d. P.: gez.: i. A.: Ssünne, Capteins Cabin bitte nicht vor High Noon öffnen (Sündag).

14. September

Philosophische Anonymi

(Pseudo-Mayne, Über das Bewusstsein. dt. Meiner Verlag 1983)

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"Bei uns ist gegenwärtig allerdings das Streben vorhanden und die Sehnsucht nach einer gründlichen humoristischen Aufregung des ganzen in seiner Prüdheit und Langweile verstockten und verkommenen Geistes, aber es ist nichts Geringes als ein zweiter David die Philister zu schlagen."

Arnold Ruge, Neue Vorschule der Ästhetik. (1837 S. 258)

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...zum Millionär?

Nach erfolgter Automatisierung der Suppenküchen bleiben die Tellerwäscher auf der Strecke. Pole position perdu.

13. September

To do:

Rückkehr ins Nichts: Kriegsheimkehrer in der Literaturgeschichte (Teil IV: Dalton Trumbos "Johnny zieht in den Krieg" (1939) eine Vorlage für Döblins "Hamlet oder die lange Nacht hat ein Ende" (1956)?

Mit einem Exkurs zu Wolfgang Borcherts "Draußen vor der Tür" (1947).

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Altweibersommer, Augen trinken Licht, Dinner im Stahlbad, Speisekarte auch auf russisch. Dorade!!

11. September

Aus den Lehr- und Tischgesprächen des deutschen Transcendentalsubjekts:

"Obgleich sich keinerlei Anzeichen für eine Nähe zum Nationalsozialismus zeigen, wird er (sc. Walter Warnach (BH) ) im Jahre 1937 unter nicht geklärten Umständen Mitglied der NSDAP."

Aus einem Portrait Walter Warnachs in der der katholischen TAGESPOST vom 10. September 2020.

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vide bene: Max Beckmanns Tanzbar Baden Baden.

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fingerfurcht

neumond im nagelbett,

im reihenhaus der

fingersiedlung,

drei- und vierstöckig,

im perlmuttenen fenster die

schründe der jahresringe

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Gründe vieler Pleiten?

Dummheit der Gescheiten.

Kleinste große Sünde?

Saufen ohne Gründe.

Sagenhafter Riesenstuss?

Graeculus absconditus.

Regungsloses Schimmern?

Tränenvolles Wimmern.

10. September

Der nervige Kleanth war im Begriff, ein Knie

Dem Gegner auf die Brust zu setzen

Aus dem zweiten Buch von Wielands Versgedicht Musarion.

Unser lieber Alfred Anger hat es 1964 einmal für den westdeutschen

Reclam-Verlag herausgegeben. Tempi passati.

Der nervige Kleanth - wo ein Schüler, wo ein Lehrer, der sich an dieser

Stelle nicht blamieren wollte!

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Ausflug nach Freiburg. Wie schön leuchtet der Morgenstern.

Wieder viel in den Briefen Nabokovs an seine Frau Vera.

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8. September

Der Typ Proteus Peregrinus und nachfolgende, sendungsbewusste Selbstverbrenner sind wieder im Kommen. Allesamt fanatische Logenbrüder, mit denen man sich besser nicht abgibt. Zu unserem Glück ist unsere Herberge ganz frei von ihnen.

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aus coronotate vom koll. aberfett:

lenin, horror, mathe, arschfisck und carl schmitt //

salon-leninist dietmar dath (diadat) und spät-gundolfianer simon strauss - stammhalter des notorischen geblökschreibers botho - bilden in der faz seit geraumer zeit die castorpollux-queerfront deutscher ideologie der gegenwart.

in den dortigen tiefen der geistreichelkloaken warten sie auf die dritte hexe, um endlich den neuen hamlet mit ihnen eigener verve anzusagen. s. mommsen, gödel, flasch.

(erwin aberfett: kulturrevolution oder pandemie: coronotate.

#bockpress# 202o. virus-reihe band 7. -

S. auch unter: faultless disagreement / philosophie als denksport // Exzellencluster Fachbereich Kybernetik, Künstliche Dummheit. Universität Bockwurst)

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Protokoll der letzten Sitzung der Freitagsgesellschaft der Universität Bockwurst, an welcher ich nur via Skype teilnehmen konnte:

Aus dem Slum-Office

Protokollnotizen des

Vereines für zeitgemäße Legenden, vereinte Gaue der Reichslandkreise Wolfenbüttel und Helmstedt sowie Enklave Nassau

(Konferenz vom 4./5. September 2020 im "Lachs", Watzum)

Anwesende Mitglieder:

Freiherr von Auchjauche, Bobby Holunder, Egon Aberfett, Haeiou Hasenbräu, Der letzte Doktor D-Day, Ssünne fra larkevej, 3 weitere Nachrichten

Protokollführer:

Königlicher Margarethen- und Kolonialpostrat Joachim Elgott von Helmrich (Briefmarken, Bridge sowie Gin-Tonic mit frischem Waldmeister) nebst Sekundant Regnerius Siemß (Stenogramm und Dämmerung)

1. Eröffnung und Begrüßung:

Lem in einer Notiz für Poe: "Die deutschen Außenminister übernehmen wieder mehr Verantwortung. Die letzten drei sind gerade wegen Adolf Hitler in die NSDAP eingetreten."

2. Tagesordnung:

Für den Festausschuss berichtet Bockwurst-Trudchen (vielen Dank an Ernst Gennat für die gute Ausleihe!) über den Stand der Vorbereitungen. Der diesjährige Weihnachtsmarkt soll wieder auf der Pink-Floyd-Wiese stattfinden, zur Not auch ohne Abstandsregeln. Für das Motto liest sich eine Arbeitsgruppe gerade in Nietzsche ein. Ein Vorschlag aus dem Plenum liegt bereits vor, evtl. "Wenn Du zum Weibe gehst, vergiss nicht, dass SIE die Peitsche hat." - Es gibt auch einen Imbiss.

3. Verschiedenes:

Die Zählkommission weist in einer anonymen What'sUp-Message mit Hinblick auf die Beitragssatzung und die damit in Zusammenhang stehenden Zahlungsrückstände säumiger Gründungsmitglieder darauf hin, dass zahlreiche Mitglieder gar nicht verstorben sind, sondern nur umbenannt wurden, zum Beispiel das Verhüllungsehepaar Christo heißt jetzt "Streetart-Künster Banksie (und Mr. Sklave)".

4. Finanzen:

Die Kindergruppe schlägt vor, "Wahlkampf neu zu denken" und gegen Vorkasse auch Reklame für die F.D.P. zu machen, zum Beispiel unter dem Slogan "FDP - nass und glitschig!". Zur Begründung: Jeder kriegt, was er hat. Dann ziehen sich alle neue Hosen an und verlieren ihre Schlüssel.

5. Zukunft des Vereins:

Muss noch entfaltet und ausgeführt werden: Preisauszeichnungspflicht auch für Zweibeiner, Kontostand-Display statt Intim-Tattoos. Ein Handout- und Takeaway-Reader mit dem Titel "Die Zerstörtheit der Begriffe unter dem Primat ihrer Weiterbenutzung" ist in Vorbereitung. Der nächste Probealarm ist für den 11. September im "Stint" vorgesehen, Kleiderordnung "casual" und es muss keiner was mitbringen. Die Albaner liefern rechtzeitig frei Turm und der Smutje von der Kombüse vom Stint hat gesagt, er nimmt wieder die alten Fleischpflanzerl, die mit dem Cheddar drin.

Wolfenbüttel, den 7. Sept. 2020

f. d. R. d. P.: gez.: i. A.: Ssünne, bei Rückfragen leise an der Kapteins Cabin klingeln

7. September

Als Epilog

(Jänner 1896)

Wenn je mir auf meinem Wildnisritt

Ein Blütenzweig wollte die Stirne küssen,

Dann hab' ich im Sattel mich bücken müssen,

Nahm kaum sein duftendes Grüssen mit.

Doch wenn ich dann aufrecht wieder sass,

So hat mich gewiss beim Weiterjagen

Ein knorriger Ast vor den Kopf geschlagen,

Weil ich das Bücken diesmal vergaß.

Richard Schaukal, Verse (1892-1896) Brünn, 1896

6. September

"Das Weltbürgerrecht soll auf Bedingungen der allgemeinen Hospitalität eingeschränkt werden."

Kant, Zum ewigen Frieden (Dritter Definitivartikel)

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Meine kleine Untersuchung mit dem Titel Als Bücher noch in Kurstädten erschienen wird in der Neuauflage um einen Anhang erweitert. In diesem werden die Bücher aufgeführt, deren Druckorte tatsächlich Kurstädte waren, wie z. B. Richard Crashaws Die Stufen (dt.) Bad Pyrmont, 1952.

(s. auch: R. Holunder: Kasematten und Kurruinen: Zum Niedergang der Kurbäder. Bad Wildbad, 1997).

5. September

Katholisch etc. werden?

"Es hilft da weiter nichts, sich vergangene Weltanschauungen wieder, so zu sagen, substantiell aneignen, d.i. sich in Eine dieser Anschauungsweisen festhineinmachen zu wollen, als z. B. katholisch zu werden, wie es in neueren Zeiten der Kunst wegen Viele gethan, um ihr Gemüth zu fixieren, und die bestimmte Bergränzung ihrer Darstellung für sich selbst zu etwas An-und-für-sich-seyendem werden zu lassen." Hegel, Ästhetik, II

(Zit. nach. T. W. Adorno, Philosophie der neuen Musik. GS Band 12 S. 127)

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Junger Hund aus Freiburg zu Gast. Schreibt Gedichte ohne Inhalt, allerdings überzeugt ein Titel wie Taureif.

Habe ihm eine Poetikdozentur angeboten, die der Schlingel mit Hinweis auf seinen Erbenstatus ablehnte. Ab sofort bezahlt der Jungerbe mit Lust alle Deckel!

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Gattin wohlauf! Sie begnadigt und begradigt mich jeden Tag und Badetag.

4. September

Noch vor einhundert Jahren gab es Winke, die es heute nicht mehr gibt:

"In den letzten zwei Wochen habe ich eines der herrlichsten Bücher gelesen: die Chartreuse de Parma von Stendhal. Hoffentlich kennen Sie es oder lesen Sie es so bald wie möglich." Walter Benjamin an Gershom Scholem, 2. Februar 1920.

Selbst unter Fachkollegen gälte eine solche Aufmerksamkeit heute als anmaßend, wenigstens unpassend, unbarmherzig, und überführte den Aufmerksamen der Indezenz.

3. September

- nur im bade

Wahre gnade.

(Stefan George - Hochsommer - als Wilhelm Busch verkleidet)

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Crazy Twins, Zusatzwette im Black Jack. Auch im Casino herrscht Ausnahmezustand.

2. September

Nach drei bis sechs Konterweizen wieder auf dem Damm.

Divese Einladungen abgelehnt. Fortscheitende Müdigkeit.

Ein freundlicher Kurgast aus Schleswig Holstein erklärte uns gestern

Abend, dass zahlreiche Mitarbeiter in der Bestatterbranche

auf Kurzarbeit seien, weil in den Krankenhäuseren keine oder

nur noch wenige Operationen erfolgten.

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Heute abend lese ich im kleinen Kreis die Erzählung "Der Sybarit. Eine Bekanntschaft" von John Henry Mackay aus dem Jahr 1896.

Dienstag, 1. September

Auch der Dienstag hat schon bessere Zeiten gesehen:

"Ich habe erlebt und erfahren, daß eben in der gesamten Geschichte die Juden das - soweit ich weiß - einzige oder wenigstens eines der ganz wenigen Völker waren, die zusammenhielten, ohne daß sie ein Land, ja ohne daß sie einen besonderen Vorteil davon hatten."

Max Horkeimer in: G. Rein, Hg.: Dienstagsgespräche mit Zeitgenossen. Stuttgart, Berlin 1976. S.152

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Glückliches Dilemma:

Dies Buch, das ich heute nicht mehr geschrieben hätte, konnte ich genausowenig umarbeiten.

Franz Rosenzweig, Hegel und der Staat. (Vorwort)

(nota bene: NAHAIRAM Band 14 Juni 2020 Heft 1 Rosenzweig Special Part 1)

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Melodramatik in Gedanken:

Julius Ebbinghaus, Zu Deutschlands Schicksalswende. 1947

31. August

Artig bin ich in meinen gebürsteten Kleidern,

ständig die Schuhe geputzt. Da kommt schon

die nächste Handreichung.

(aus: Karl Krolow, Artig)

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Neues aus der Quengelforschung:

Den komplett freidrehenden Aberglauben der Diversity-Freunde veranschaulicht hat die als „Grievance Studies Affair“ bekannt gewordene Aktion dreier US-Wissenschaftler, die von 2017 bis 2018 unter wechselnden Pseudonymen 20 frei erfundene Quatsch-Artikel bei akademischen Fachzeitschriften in den Gender Studies und vergleichbaren, von ihnen später als „Grievance Studies“ („Beschwerde-“ oder „Quengelforschung“) bezeichneten Disziplinen einreichten, um deren Evaluationsverfahren zu überprüfen (Pluckrose, Lindsay, Boghossian: Academic Grievance Studies and the Corruption of Scholarship, 2018).

http://redaktion-bahamas.org/artikel/2020/85-die-neuen-feinde-der-spekulation/

30. August

Fahrstuhl zum Verschrott

Den "zu Unrecht große(n) Unbekannte der deutschsprachigen Bewusstseinslyrik" nennt ein Schmock und Liftboy der Mediokrität, Christian Metz, angelegentlich seiner huldigenden Besprechung des Gedichts Der Lift (FAZ 29. August 2020) dessen Autor Wolfgang Bächler, vgl. auch das Werk Christine Bustas.

Dass einer wie Bächler zu Recht vergessen sein könnte, kommt dem Echolot Metz nicht einmal ins Antichambre seiner Erwägungen.

Die sind vom Schlage, dass einen der Schlag trifft: "Die Tür fällt ja nicht zufällig, wenn sie zufällt." (ibid.)

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»Unmöglich aber, daß ein Wort auswerfe

Das Kraft hat unter den Guten

Der listige Bürger.«

Pindar (Hölderlin)

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Neuerdings quillt die ordinäre Geistfeindschaft auch wieder aus den Leserbriefspalten lokaler Wurstblätter. Ein befreundeter Bibliothekar aus Wolfenbüttel schickte uns dies Blättgen.

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Am Abend unangenehme Begegnung mit einem alten Kollegen in Strassburg. Nieder mit allen Zufällen!

In einem Weinlokal plötzlich Gebrüll: "Holunder, du altes Astloch, was machst du denn hier?" - Habe dem Schnorrer bedeutet, dass es sich um eine Verwechslung handeln müsse. Auf französisch, versteht sich!

29. August

Online-Ressourcen zur Sprachkomik lautet der Titel eines aktuellen Beitrags zur Komikforschung aus der Feder Benjamin Eisenbergs. (Zeitschrift für germanistische Sprachwissenschaft Band 48 Heft 2 August 2020). Wir erhielten ihn mit der Briefpost.

Man wird dem Autor kaum zu nahe treten, (dis)qualifiziert man seinen Beitrag als (un)freiwillig komisch.

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Großer Badetag! Allerdings ist die Caracalla-Therme zu meiden. Der Lärm ist orgiastisch.

Am Abend private Filmvorführung "Das Auge" (1983) mit Michel Serrault bei einer alten Kollegin am Schloßberg.

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http://beta.redaktion-bahamas.org/artikel/2020/85-die-neuen-feinde-der-spekulation/

27. August

W. G. Sebald geht mit mir über die Oos.

Sein Elementargedicht "Nach der Natur" (1988) quittierten Freunde damals mit dem Scherzwort, das heute kaum einer noch versteht: Hat der Tinte gesoffen?

(Ian Ellison über Sebalds Austerlitz in Oxford German Studies Vol. 49 2020 Issue 1;

Sebald-Special: Boundary 2 Vol. 47 Issue 3 August 2020 / Vgl. dagegen: Tjark Kunstreich: Wir sind alle Überlebende. Geschichtsrevisionismus in und mit der Ideologiekritik. in: sans phrase Heft 5 Dezember 2014)

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"Und darüber entbrannte sogleich ein Streit, den dieses Mal erfreulicherweise keine Herren, sondern Damen bestritten." So die Literaturwissenschaftlerin Eva Geulen in einer Literaturkolumne im aktuellen MERKUR-Heft S.63. (Liegt hier in der Tat in einem Cafe aus!)

Ob die Altvorderen, Christa Bürger oder Hannelore Schlaffer etwa, je so einen Herrenreiterinnenton im Damensattel angeschlagen hätten? - Wohl nur um die Strafe des Ausgelachtwerdens.

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In Baden Baden ist von Kurbetrieb wenig zu spüren. Als sei der Kurort in Kur.

25. August

ad Jane Austen:

"Ich bin überhaupt gegen alle Schriftstellerinnen voreingenommen. Sie gehören einer anderen Klasse an. An Stolz und Vorurteil habe ich nie etwas gefunden." Vladimir Nabokov an Edmund Wilson, 5. Mai 1950.

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https://sites.google.com/site/universitaetbockwurst/schreibwerkstatt/brenners

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Das Lustroß

Sie nervte mich schier ohne Ende,

wie ich die Reiterstatuen fände.

Ich sagte ihr 'Es bleibt dabei:

der Unfug zieht nur in Versailles.'

Da hatte sie mich auch geneckt,

sich flugs in ein Gebüsch versteckt,

um dort zu harren meiner Lust,

dies Weiberknäuel aus Geist und Brust.

24. August

"Er war ein Dieb geworden, wie er auch ein ganz ehrenwerter Bürger hätte werden können, infolge des zwanghaften Zufalls, welcher das Leben der Gänse und Esel in Menschengestalt beherrscht." (R. L. Stevenson, Ein Dach über dem Kopf. Eine Erzählung über Francois Villon)

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Prosopopeia invers / zu Dingen, Tieren, Maschinen sprechen?

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Im Brief vom 10. Juni 1943 an seine Eltern gibt Adorno ihnen ein Portrait der Schauspielerin Luli Deste (Gräfin Goerz, geb. Baronesse Bodenhausen), die zu jener Zeit völlig veramt in Los Angeles lebte. Unter anderem heißt es da:

"Übrigens habe ich an ihr (s. Luli Deste RH) noch nicht die leiseste Reaktion gewahrt, die das Bild einer noch in der äußersten Erniedrigung nicht um ein Gran Erniedrigten gestört hätte." (Adorno, Briefe an die Eltern. Suhrkamp 2003 S. 202)

Suchte man nach einem locus classicus zur Beschreibung klaglos erlittener Unbill, hier wäre er!

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23. August

Wohlbehalten trafen wir gestern Abend in Baden Baden ein. Souper im Parkhotel Brenners. Nach einem kleinen Rundgang durch die blühende Kurstadt mit dem Taxi nach Lichtenthal. Wir sind der Welt wieder zuhanden gekommen.

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"Adornos Buch Mahler / Eine musikalische Monographie aus dem Jahr 1960 ist seiner Frau gewidmet.

Auf die Widmung Für Gretel folgt ein Doppelpunkt, dann ein musikalisch notierter Autographenschnipsel aus der Feder

Adornos. Stammt er von ihm? Oder von Mahler?

Beiden musikalischen Widmungen eignet jedenfalls - formal wie inhaltlich - Zartheit der Geste, Innigkeit der Empfindung und Dezenz des Abschieds. Würde des Pianissimo. Exil der Stille: Pause. Fermate als Echoraum." (Potsdamer Tagebuch 9. August 2020)

Von dem Musikwissenschaftler Constantin Floros aus Hamburg erfahren wir nun, dass das musikalische Widmunsgszitat in Adornos Mahler-Buch von Mahlers Hand stammt; es handelt sich um den Schlussvers des Liedes Liebst du um Schönheit: Dich lieb' ich immerdar, eine wundervoll camouflierte Liebeserklärung an seine Gattin Gretel.

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rumba für unseren pedell ralf frodermann

als die elche sich betranken

und nach tagen furchtbar stanken,

baten sie den ralf um gin,

zu reingen den huf, das kinn;

doch dieser sagte jenen elchen:

"kauft euch lieber selber welchen!"