Repetitorium

„Drum prüfe, wer sich ewig bindet..“

Schiller

Qualifikationsparadoxa oder: Untergang durch und mit Qualifizierung

Der meritokratische Aberglaube, wonach „lebenslanges Lernen“ und intermittierendes Qualifizieren für geldwertes Zubrot taugt, beginnt zu bröckeln. Zwar bläuen alle möglichen Schulmeister ihren alten und jungen Eleven immerzu noch die Mär von der Bildungspille (IMMER WENN ER PILLEN NAHM) ein, aber dieser zunehmend ungeglaubte Aberglaube bedarf ständiger Beatmung, zum Beispiel unter den Lügenzelten sozialpädagogischer Reparaturbetriebe (Wohlfahrtsverbände, Kirchen, Tafeln etc.), deren Campingplätze ohnehin ständig schrumpfen.

Lehrer evaluieren und werden evaluiert; das führt zu Denkhemmungen nicht allein deshalb, weil Qualitäts- und Leistungskontrollen fast ausnahmslos Zwangsneurosen befördern, sondern weil derartiges Operieren geistfeindlich ist wie wenig sonst. Ohne Geist denken ist aber andererseits eine notwenige Voraussetzung all dessen, was heute „Qualifizierung“ heißt, Geschäftsgrundlage einer immer noch wachsenden Beratungs- und Coachingindustrie. Bald wird sie ihre Brötchen damit verdienen, den Leute umständlich auseinander zu setzen, dass es praktikabel sei, vor dem Durchschreiten einer Tür, diese zu öffnen oder neben Zahncreme auch eine Zahnbürste zu benutzten oder in regelmäßigen Zeitabschnitten gegen eine neue auszutauschen. (s. auch die einschlägigen, mittlerweile nur noch mäßig unterhaltsamen Publikationen zum Thema „Generation Doof“, „Bildungsnotstand“ etc. pp.)

Lehrer und andere Fortbilder schämen sich heute oft: „Liest man etwa Heiratsannoncen in den Zeitungen- das ist recht lehrreich-, so betonen die Inserenten, wofern sie Lehrer oder Lehrerinnen sind, sie seien keine Lehrertypen, keine Schulmeister.“ (Adorno, Tabus über den Lehrberuf), vergl. aktuell: A. Ulbricht, Lehrer- Traumberuf oder Horrojob. Ein Insiderbericht. Göttingen, 2013. - Männer gelten wieder als „Mann im Frauenberuf“, Frauen als „Verstopfer/Innen des Arbeitsmarktes“. In der Beratungsgesellschaft kommt der absurde Umstand zu sich, dass alle, nach dem Stand der Produktion zu urteilen, hinreichend sicher leben könnten, es aber „nicht geht“.

Prüfungen dagegen gehen immer. Nicht zuletzt deswegen, weil sie Prüfer wie Prüfling den Eindruck suggerieren, der als der „eminente“ zu benennen wäre. Darüber hinaus gehende Effekte führen nur noch zu Irritationen bzw. Schreibanlässen, vergl. H. Bosse, Die Krise der Abschlussnote. in: MERKUR 5/ 2013 und K. Kodalle (Hrsg.): Der geprüfte Mensch. Über Sinn und Unsinn des Prüfungswesens. Würzburg, 2006.

Ralf Frodermann VII 2013