Apophthegmata Kessleriana

Der Fall Helmut K.

Hanswurstiade und Herbstsonate unter Bekloppten

„Mangelnde Fairness kann ein strenger, aber unbezahlbarer Lehrer sein.“

David Foster Wallace, Unendlicher Spaß (Köln, 2009 S.251)

Nach seiner Auffassung musste Helmut K. mal wieder verleumdet worden sein. Von Beruf Spaßvogel und Schandmaul, geisterte er zunächst mit, dann ohne elterliches Vermögen durch die Kurruine Wildbad im Nordschwarzwald.

Er ist eines von nicht wenigen Opfern ländlicher Idiotie, wie es sie eben überall, und so auch in Wildbad an der Enz gibt.

Unser Enzneurotiker gibt gern die verfolgte Unschuld, ruft „haltet den Dieb“ und sagt lustige Dinge wie „Ich fasse keine Frauen an, nicht mal Männer“.

Jetzt jedoch muss er sich vor Gericht wegen Hausfriedensbruch – er war einem Wildbader Dämchen in die Kammer gebrochen, die ihn lieber fernhalten wollte – verantworten und wegen allerlei anderer Tollheiten. Aber kann man einem Narren den Prozess machen?

Die Weiber, die er „verschlagen“ hat, wie sie da unten eine Körperverletzung gemütlich augenzwinkernd nennen, verneinen das, bis auf eine. Die hat ihn angezeigt und sieht sich seitdem einer Art genuin schwarzwäldischen Adaption des „Zerbrochenen Krug“ ausgesetzt.

Einem autoritären Charakter wie K., der auf die Anforderungen seiner verflossenen Ehefrau und die Launenhaftigkeiten seiner übrigen Weiber mit Gewalt zu reagieren sich angewohnt hatte, wird mit juristischen Mitteln allein nicht beizukommen sein. Die bestimmende Obsession K`s, von der er ganz und gar beherrscht scheint, ist seine Eifersucht. Vielen Menschen ist sie ein Furor, in der Literatur seit je heimisch, fehlerfrei besungen von Shakespeare bis Proust, von Catull bis Petrarca.

Doch K. liest nicht und so bleibt ihm ein Weg versperrt, der seine Raserei ein wenig sublimieren helfen könnte und ihm die zivile Triebabfuhr ermöglichte.

K., ein destruktiver Charakter ohne Maß, hat einen Schlag bei Frauen. Sobald die aber raushaben, dass er ein notorischer Lügner, zukunftsloser Habenichts und Weiberhasser ist, schmeißen sie ihn aus dem vaginalen Wohnbereich hinaus und Kessler sinnt auf Rache.

Sein Schicksal ist das der Maus im Laufrad: sein Laufrad ist abwechselnd das Bett und der Hass der Frauen, angetrieben durch seine pathologische Eifersucht, die sein Leben zu einem unlebbaren gemacht hat.

Seinen psychogenen Arsch kann man nicht mehr retten; man sollte aber, aus Gründen weniger der Moral als nur des guten Geschmacks, sich entschlossen vor die weiblichen Zielscheiben seiner Verachtung stellen.

Präventionsforscher wie wir müssen allzu oft beobachten, dass Abschreckungsmassnahmen allein wenig bewirken. Gesetze gegen stalking lassen einen stalker wie K. ungerührt und die Tatsache, dass die Ankündigung einer Straftat bereits eine solche ist, bleibt ohne Zeugen oder Beweismittel strafrechtlich irrelevant.

K.muß kuren! Wir appellieren an die Wildbader Stadtverwaltung, dem K. eine Kur auf Lebenszeit in der Kurruine Wildbad zu ermöglichen. Hat er wieder ein Obdach und regelmäßige Mahlzeiten in seiner Vaterstadt, könnte er wenigstens noch zu einem anständigen Pflegefall genesen. Das muss einer verlorenen Stadt ihr verlorener Sohn wert sein!

Sauertöpfische Weiber und Betschwestern halte man fern von ihm; juckt ihm die Rute, rufe man Huren!

„Sie schätzte seine Ausdauer ab, während er über ihr war: gleich ist er fertig. Das war nun schon das dritte Mal. Er hat Reserven. Auf Reisen ist er. Ein Vertreter.“

Henry Jaeger, Das Freudenhaus (4. Auflage München, 1966 17. Kapitel)

Ralf Frodermann 2003