Gästehaus am See / Schicksalsanalyse

Magus der BRD: Ulrich Sonnemann 1912-1993

„So sind wir etwas, sinds und wissens nicht“

Rilke

„...: hinter der schäbigen Gemütlichkeitsfratze, die das Nichts versteckt, lauert der Mord.“

Sonnemann (1963)

für Erwin, gen. Eisenhaven von Öhnhausen (1705-2001)

Gründungsrektor der Universität Bockwurst

Ulrich Sonnemanns Schriften sind aus dem Umkreis geistigen Lebens dieser Zeit sehr gut wegzudenken. Ein Solitär wie der vergessene Dramatiker Carl Sternheim, setzten Sonnemanns Arbeiten einer Zeit, die „Ambiguitätstoleranz“, „Diversity“ und „fremdschämen“ erfand, empfindlich zu, konsultierte sie sie denn noch.

„Der deutsche Geist schläft jetzt so ruhig und tief, dass man ihn allgemein außer Gefahr glaubt.“ (U. Sonnemann, Die Glücksdressur. Ein Phänomen der Managergesellschaft. in: MERKUR Juni 1957)

Sonnemanns Syntax, seine zum Teil vertrackten Perioden und parataktischen Maßnahmen stehen an keiner Stelle im Dienst gebieterischer Kryptik, geläufiger Fiktionen oder gar selbstverliebten Formulierens, sondern im Dienst der Erledigung des Falschen, Verkehrten und Fatalen. Ob es sich um die Kritik und präzise Einordnung eines ideologischen Stichwortgebers der 50er Jahre, H. Schelsky, handelte (Die alles nur nicht skeptische Generation in: Das Land der unbegrenzten Zumutbarkeiten. Deutsche Reflexionen. Hamburg, 1963) oder um die Demontage interessierter Dummheit am Beispiel des in den 60er Jahren bekannten, philosophischen Anthropologen A.Gehlen (Die Diffamierung des Dagegenseins, unter Berücksichtigung ihrer Vorteile für den Knecht. in: U. Sonnemann: Tunnelstiche. Reden, Aufzeichnungen und Essays. Frankfurt a. M., 1987), Sonnemanns Interventionen und Invektiven speisen sich aus der Moralität dessen, der so wenig seinen Frieden mit der Lüge

machen kann, dass er es vorzieht sie zu verleumden, indem er sie entheiligt oder wenigstens zu ihrer Entheiligung beiträgt, wo er irgend kann. Es ist die Moralität Karl Kraus’.

„Ein Land, an dessen medizinischen Fakultäten die künftigen Ärzte Pakistans oder Ghanas zwar noch immer studieren, dessen ärztliches Berufsethos dem Pakistans oder Ghanas aber in so unausrechenbarem Maße unterlegen ist, dass eine überführte Mörderin, die inder Frühzeit ihrer Karriere gefangenen Frauen mit dem Hammer die Beine zerbrach und andere mit Benzininjektionen umbrachte, von 1952-1961 sich Ärztin nennen und als solche in der Bundesrepublik Deutschland praktizieren darf, ohne dass die deutschen Ärzteorganisationen einen Finger, geschweige denn, in Richtung auf Bonn, die doch marschgeübten Beine rührten; und nach weltweiten, ehemals auch deutschen Maßstäben also ein Land auf der niedersten Stufe der Gesittung.“ (op. cit. 1963 Vorrede)

Der Rhetorik der Niedertracht, als pars pro toto gilt ihm Ludwig Marcuses Schmähung Adornos unter dem Titel Die schöne Zunge in: DIE ZEIT 41/1967, begegnet Sonnemann mit Kritik in urbanem Geist: „Da Bosheit gerecht ist, nicht glücken will, wenn ihr die Sache, der man sie zudenkt, nicht Grund schafft, während ein Affekt, der dem Denken selbst gilt, doch inständig ihr Erscheinen beschwört, nimmt mit Hämischem man vorlieb, das auf Unterscheidungsunlust ebenso zählen kann wie auf Schadenfreude, setzt man nur flott es und bekennerisch einem heimischen Publikum vor.“ (op. cit. 1983 Jenseits von Ruhe und Unordnung / Zur Negativen Dialektik Adornos)

(Sonnemanns Schriften, herausgegeben von Paul Fiebig, erscheinen seit 2005 bei zu Klampen, Lüneburg und sollen bis 2019 in 10 Bänden nahezu sämtlich vorliegen.)

Ralf Frodermann VII 2013