Kein Fußbreit dem Wilhelminismus:
Zu Morgenstern (1871 – 1914)
„Gesellschaftlich ist die Groteske allgemein die Form, unter der Verfremdetes und Avanciertes akzeptabel gemacht wird. Der Bürger ist bereit, mit moderner Kunst sich einzulassen, wenn sie ihm selber, durch ihre Gestalt, versichert, sie sei nicht ernst zu nehmen. Das auffälligste Beispiel dafür ist der populäre Erfolg der Lyrik von Christian Morgenstern.“
T. W. Adorno : Philosophie der neuen Musik (GS Bd.12 S.145/146)
Die Doctores Gundula und Jeremias Müller (Mueller) geben die fiktiven Herausgeber und Kommentatoren der Galgenlieder ab.
Damit gab Morgenstern seinen grotesken Ziselierungen einen grotesk-akademisch-philologischen Rahmen bei, der in den Anmerkungen zu Fisches Nachtgesang endgültig denselben sprengt, stellt doch der Kommentar apodiktisch fest: Das tiefste deutsche Gedicht.
Jeremias Müller, Lic. Dt., versäumt nicht, in seinem Zwischenwort als Nachwort zur Vorbemerkung der Galgenlieder seiner Gattin Gundula „den Dank aussprechen zu dürfen, den ihre aufopfernde Hilfe mir in der langwierigen und schwierigen Arbeit an diesen Anmerkungen geleistet hat.“
Der gängigen Unsitte, seinem akademischen Ehegespons als Opfergabe („Gunstwerbung mittels Bettvorleger“) irgendeinen toten Köter vors Bett zu legen, wäre damit ebenso Genüge getan wie Morgenstern Spottlust und Rachsucht.
Denn vermutlich wusste er sehr genau, dass seine Grotesken dem deutsche Bürgerwanst nur allzu verdaulich waren.
Wilhelm Busch konnte der Wertschätzung Kaiser Wilhelms II. nicht recht froh werden.
Christian Morgenstern blieb das erspart, war es ihm doch nicht möglich, sich zu Lebzeiten mit Nachruhm zu bekleckern: kurz bevor in der Hölle der Höllentanz des ersten Weltkriegs begann, fuhr er auf in den Himmel.
Von dort, so meinen einige gelehrte Köpfe um die Doctores Müller (Mueller), erreichte die Welt noch zu Lebzeiten – der Meister aus München neigte zu Stippvisiten im transzendenten Penthouse!- und in späteren Auflagen per Einschreiben sein „Horatius Travestituts“ sowie das „Carminum Liber V / Aus dem Nachlass des Horaz“, um das sich eine lateinische Philologie wohl mit Stolz kümmerte, gäbe es sie noch in verantwortungsvoller Gestalt.
„(Faherügghh, dem Unselm)“
("Fisches Nachtgesang" - Verse ohne Worte, Versfuß ohne Schuhwerk)
April 2014