Tagungsthema: "Was bleibt von der Mauer? Deutsche und europäische Dimensionen."
Beitragsvorschlag:
Lob der Mauer (1. Gesang Urlesung)
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Lob der Mauer
1.Gesang
Wäre da ein Land neben meinem Land
Und eine Sprache neben meiner Sprache
Und läge das Land auch abgetrennt neben
Meinem Land –
Ich ginge wohl in dieses Land und die
Grenzbefestigung wäre mir nur recht;
Wie sollte mir die Mauer, welche mir den widrigen
Dreck vom Leib hält nicht recht sein?
Wie sollte mir die Mauer, mit der sich in
Meinem Land jeder Abteilungsleiter vor
Den Zuhältern, Dieben und Totschlägern
Wappnet nicht willkommen sein?
Mir, dem die Zuhälter der Arbeit und des
Unglücks das Leben in Zuhälterfreiheit
Zur bitteren Seelenfron machen;
Wäre da eine Unbequemlichkeit neben
Meiner Bequemlichkeit –
Und eine Zumutung neben meiner,
Ich wählte die unfruchtbaren Lügen,
Nicht die schwangeren.
Nicht zwanzig Tage darfst du dich
Ergötzen an all dem Monatstand,
Wäre da eine Hölle neben meiner Hölle,
Um weniges kälter nur und gegürtet
In Stein, es reiste sich leicht dorthin.
Freiheit ist jedes Mal die Freiheit der
Besserverdienenden, aber das Los, das
Geschick, das selten Zufällige schäumt doch
Auch in den Kanälen ehrfürchtig Besessener.
Unterwegs und daheim im Deutschland
Sterben die Leute und fürchten aber nicht
Den Tod, vielmehr erhält die Angst sie im
Elend und nimmt sie und frisst sie und
Gibt ihnen eine neue Sprache, welche
Zu ihnen spricht, den Matten und Müden.
Bankenspitzel, schufa/stasi/inkasso, staatsschutz,
Willkommener Tod auf Geschäftsreise,
Die Kinder im Internat, die Alte im Klimakterium,
Mauern, die mich trennen von ihnen, seid
Umschlungen Steine, sei gepriesen, Mörtel;
Die Kinder im Internet, die Alte in meinem Museum,
Wohl dem Minierer, der das untergräbt und
Mich schadlos erhält. –
Wäre da ein Gespräch neben
Meinem Gespräch – tertium non datur –
Die sichtbare Grenze wäre mir doch lieber
Als das unsichtbare Grauen der Geldhosen,
Das wir gleichwohl sehen, die Tiere können es spüren.
Henker, Gerichtvollzieher, Mahnbescheidler,
Verwertungssklaven, andere dienstbare Ungeister
Und Subalterne aller Spielklassen,
Pilatus als Brotberuf, zerreissen den Vorhang,
Geisseln die Geiseln im Abort, im Abtritt, ja
Und weinen. Sie beweinen, aber Notstand der Befehle,
Durchhaltehäme, kurz MOIRA ist anderen Sinnes,
Lässt ableben, vergessend die Füllhörner, vergessend
Die Wasser in den Sieben; vergötternd die Filter und
Die Strafen. Ungeschützt von der Mauer finden viele
Verarschte den Tod und rechnen ihn sich zu;
Die Erniedriger und Beleidiger aber, die erniedrigt
Auch sind und beleidigt, entrinnen nicht, sie, die
Brennenden, spannen den Bogen der Zeit, doch
Siehe, sie spannen ihn ohne den Pfeil, sie spielen
Nur Schütze, sie sind die Aufgeber und Träger der Luft.
Intermezzo
Hallo, ich bin sechzehn. Ich möchte gern
Lehre machen als egal was.
Ich mache alles..
Ich möchte nicht arbeitslos sein wie meine
Eltern. Die haben das nicht verdient.
Ich verdiene das auch nicht.
Bitte nehmen Sie mich, ich zahle gut.
Ich habe schon grosse Titten, die können
Sie haben, wenn Sie mich nehmen.
Ich liebe Sie! Glauben Sie mir.
Ich glaube an Sie.
Das Sichtbarmachen der Grenzen, Programm der
Stunde, die Sollbruchstellen markieren,
Das Lot finden, die Wegschnur;
Kennst du das Land wo das Katzenfutter wächst?
Das musst du suchen, willst du nicht der Dieb
Bleiben, der du bist und in Ermangelung
Des feinen Geldes dem Vieh Frass stiehlst.
Monat um Monat preisen die Geldglücklichen
Ein freundliches Geschick und schicken sich
Dankbar ins Eisen der Zeit und preisen
Doch leise nur noch ihr Glück, denn lauter
Dank schickt sich nicht mehr.
Den Günstlingen des Geldes nagt die
Sorge am Krückstock und eine Zukunft,
Wohlfeile Hure, winkt, zahnlosen Mundes,
Den Müttern und Vätern dieser Zeit.
Den unaufhaltsamen Abstieg, welcher sich
Als Requiem und Krönungsmesse erwies –
Wir gehen in dieses Krematorium wie in
Einen Supermarkt -, nennen sie ihn nicht auch
UNTERGANG? Die von Tellern und aus
Tüten essen und sich fragen, warum die
Metaphysik keine Zinsen trägt und das
Geschäft immer der schnellere Betrug ist.
Intermezzo
Auf Wiedersehen, ich bin 76 und will
Sterbehilfe; ich weiss, dass früher zu
Alten Menschen der Arzt kam und
Tod spritzte. Der spritzte gnädig die Alten ab.
Bitte um die Führerpille, bitte helfen;
Sie können mir, das merkt keiner,
Patientenverfügung, hallo.
Und wäre zu wählen zwischen dem
Glück und dem anderen Glück,
Ich wählte das Glück auf kleiner
Flamme, nicht das fossilierte.
Die Wiege der Arschlöcher, die
Welt der Vermutung, Leitung 2,
Deine Leitung, Obacht, R – Gespräch.
Bobby Holunder Januar 2005