Vergesellschaftung en miniature (Folge 1)
Wer früher heiratet, ist länger geschieden:
Eheobst, leicht verderblich
Zu den heute unwirklichsten Institutionen zählt die Ehe.
Seit langem von Marasmus befallen und sogar totgesagt, überlebt sie als soziales Accessoire und zwischenmenschliches Ornament.
Ihrer Blutloswerdung ging ein bis dahin unbekannter Geschlechter-, d.h. vornehmlich Frauenhass voraus.
Otto Weininger und August Strindberg waren um 1900 seine berüchtigtsten Sachwalter:
„Und ich möchten den Herren Gesetzgebern einschärfen, sorgfältig die Konsequenzen zu überdenken, die es mit sich bringt, wenn man Halbaffen, niederen Lebewesen, kranken Kindern, die zur Zeit der Menstruation dreizehnmal im Jahr krank und verrückt, während der Schwangerschaft vollkommen wahnsinnig und für den Rest ihres Lebens für ihr Tun nicht verantwortlich sind, wenn man solchen unbewussten Verbrechern, Kriminellen aus Instinkt, solchen unwissentlich bösartigen Tieren die vollen Bürgerrechte zugesteht!“ (A. Strindberg, Le plaidoyer d’un fou)
Ingmar Bergman besorgte achtzig Jahre später in Szenen einer Ehe den reziproken Rest.
In der Zwischenzeit wurde die Scheidung possenreif, etwa in Paul Hindemiths „Lustiger Oper in zwei Akten ‚Neues vom Tage’“. Ihre „lustigen“ Elemente dürften dem heutigen Publikum allerdings weitgehend verschlossen bleiben.
Bei Scheidung hört der Spaß endgültig auf und es steht immer zu fürchten, dass noch der Friedlichste und die Zartfühlendste sich im Scheidungskrieg in Marsjünger und Megären verwandeln, wie Adorno in Abschnitt 11 des ersten Teils seiner Minima Moralia unter Tisch und Bett vermerkt.
Gäbe es Eheklappen wie es Babyklappen gibt, die Welt wäre um viele Gerichtsakten ärmer.
Ralf Frodermann April 2014
Nächste Folgen u.a.:
„Taxi zum Klo“ versus "Capote", "Liberace“ und "YSL“:
Bobby Holunder über heterosexuelles Schwulenkino
"Es müßte ein Gesetz geben gegen Zwanzigjährige mit übergroßen Titten namens Debbie."
N.N. über Chazz Palminteris "Treue oder Der Hochzeitstag" und Luhmanns "Liebe als Passion".