Immerwahr-Balkon

Neo- Phrenologie / Vom Altern des neuesten Angriffs auf den Idealismus oder:

Kann es antisemitische Maschinen geben?

Neuro- Notizen

Das Thema ‚Gehirn’ ist ein Evergreen vieler Genres. Ob einer Boris Karloff in Der Mann, der sein Gehirn austauschte, Detlef B. Linkes Bestseller Hirnverpflanzung. Die erste Unsterblichkeit auf Erden aus dem Jahr 1993, die Publikumszeitschrift Geist und Gehirn bevorzugt oder das Fachorgan Westend. Neue Zeitschrift für Sozialforschung (2 / 2014 „Neuroenhancement“), ist Geschmacksache von Naturphilosophen und ihrer Umkreise.

Der Kampf der zwei Kulturen, die C. P. Snow einst ausmachte, ist eindeutig zugunsten der naturwissenschaftlichen entschieden.

Die philosophische Erkenntnistheorie etwa wurde kassiert von einer „evolutionären“.

Dem von solch energischer Tathandlung überwältigten Philosophen verblieben nach Trockenlegung dieser Ozeane die Pfützen der Geist- und Bewusstseinsphilosophie, vgl. Gilber Ryle, The Concept of Mind (1949) und Sybille Krämer (Hrsg.): Bewusstsein. Philosophische Beiträge. Frankfurt a. M., 1996, oder die veganen Kaschemmen und vegetarischen Spelunken des Epiphänomenalismus, vgl. Volker Gadenne: Qualia ohne kausale Wirksamkeit. In. Logos. Neue Folge. Band 4 Heft 1 1997), wollte er sich nicht gleich wieder dem Wesen der Stimmung zuwenden und zu den Müttern abtauchen.

Selbst eine altehrwürdige akademische Disziplin wie die Geschichtsschreibung sucht Obdach bei den Naturwissenschaften, die ihr prompt ein Institut für „Geschichte und Naturwissenschaft“ der Max-Planck-Gesellschaft reservierte, (F.A.Z. 5. November 2014).

Seit den neo-positivistischen Tagen des Wiener Kreises um Carnap, Neurath und Wittgenstein hält solches Denken sich für den dernier cris moderner Weltanschauung und gültigsten Ausweis intellektueller Rechtschaffenheit.

Die Gebildeten unter ihnen kannten noch das Lehrgedicht des Lukrez, wie Albert Einstein, der zur Dielsschen Ausgabe ein Vorwort beisteuerte, oder Hegels Warnung in der Vorrede seiner Phänomenologie des Geistes:

„Wenn der naturphilosophische Formalismus etwa lehrt, der Verstand sei die Elektrizität, oder das Tier sei der Stickstoff, oder auch gleich dem Süd oder Nord usf., oder repräsentiere ihn, so nackt, wie es hier ausgedrückt ist, oder auch mit mehr Terminologie zusammengebraut, so mag über solche Kraft, die das weit entlegen Scheinende zusammengreift, und über die Gewalt, die das ruhende Sinnliche durch diese Verbindung erleidet und die ihm dadurch den Schein eines Begriffes erteilt, die Hauptsache aber, den Begriff selbst oder die Bedeutung der sinnlichen Vorstellung auszusprechen, erspart, - es mag hierüber die Unerfahrenheit in ein bewunderndes Staunen geraten, darin eine tiefe Genialität verehren, so wie an der Heiterkeit solcher Bestimmungen, da sie den abstrakten Begriff durch Anschauliches ersetzen und erfreulicher machen, sich ergötzen und sich selbst zu der geahnten Seelenverwandtschaft mit solchem herrlichen Tun Glück wünschen.“

Damit ist es unter Naturalisten und analytischen Philosophen seit langem vorbei. Ein gleißender Positivismus beherrscht die materialistische Szene, die sich nur dann und wann einmal in Gestalt einer Regelausnahme zweifelhaft wird. (Vgl. Thomas Nagel: “Mind and Cosmos. Why the Materialist and Neo-Darwinian Conception of Nature is almost certainly false”. Oxford, 2012, dt. 2013. Ein solches Buch ist natürlich, wie könnte es anders ein, Wasser auf die Mühlen einer überall um Anschluss bettelnden, liebedienerischen Theologie, die bestens um ihre objektive Überflüssigkeit weiß: vgl. die Rezension des Nagelschen Buchs in „Philosophy, Theology and the Sciences“ Vol.1 No.1 2014).

Dem neurobiologischen Diskurs eignet aber auf seltsame Weise auch etwas Obskurantisches; er ähnelt der alchemistischen Suche nach dem Stein der Weisen und huldigt einem Wahrheitsbegriff, der bar aller historisch-kritischen Vermittlung ist, und den naiv-undialektisch zu nennen, eine gutmütige Untertreibung darstellte.

Seit der Aufklärung im 18. Jahrhundert sind die ideologischen Fronten geklärt: während Kant die Kognitionswissenschaft als kritische Erkenntnistheorie etablierte, indem er die Metaphysik zur Wissenschaft zu erheben suchte, schufen Johann Christian Reil und Franz Joseph Gall das naturwissenschaftliche Fundament aller späteren Hirnanatomie, vom neuronalen Substrat zu bildgebenden Verfahren, d.h. Flakhelfer zum Kanonier des Positivismus. (Philosophie als verschimmeltes Zubrot.)

(„Geist ist Materie, die denkt.“ Karl Marx / „Das Ich ist unrettbar.“ Ernst Mach)

Der reizbare Körper ist die Maschine Mensch, seine bionische Utopie die reizbare Maschine.

„Da das Ideal des szentifischen und erkenntnistheoretischen Subjekts, könnte man sagen, die Maschine ist, so hat es gar nichts Widersinniges, wenn schließlich Maschinen erfunden werden, die von eben diesem Subjekt zu unterscheiden außerordentlich schwer fällt. Insofern beweisen weniger die kybernetischen Maschinen die Einheit des Menschen mit der Maschine, als dass sie sozusagen die radikale Kritik an der Erkenntnistheorie und dem anthropologischen Ideal, das der ganzen Erkenntnistheorie zugrunde liegt, objektiv durchsetzen. Immerhin bleibt aber auch heute, da diese Dinge selbst in eine gewisse Konfusion zu geraten beginnen, ein wesentlicher Unterschied, den ich festhalten möchte. Auch diese Maschinen setzen als Bedingung ihrer Möglichkeit ein logisch kognitives Subjekt voraus, während umgekehrt dieses logisch kognitive Subjekt die Existenz solcher Maschinen, wie aus der Historie ja einfach und einleuchtend hervorgeht, nicht ebenso voraussetzt. In diesem Überschuss, den hier das Subjekt selbst noch als logisches über die Maschine hat, zeigt sich dann eben doch der Überschuss oder Unauflöslichkeit des lebendigen Subjekts über die Kategorien der Verdinglichung , denen das Bewusstsein in seiner Geschichte mehr und mehr unterworfen worden ist.“ T. W. Adorno, „Philosophische Terminologie“ / Vorlesung vom 18. Dezember 1962.

Die Hoffnungen auf Problemeliminierungen aller Art nahmen mit den alle Wissensbereiche vindizierenden Naturwissenschaften ständig zu, während in der Philosophie wieder ein vornehmer Leerlaufton erhoben wurde.

Mit der professionellen Aufklärung über die Übel sollte nun endgültig auch ihre Stunde schlagen und ihr Ende wenigstens absehbar werden bzw. ihr Nichtenden gerechtfertigt sein.

Aber die Mörder und Bettler sterben nicht aus, und der Tod kennt keine Schranken, in die er zu weisen wäre.

Bald steht der Mensch mit vollen Hosen auf dem Mars.

Aufklärung dieser Art bleibt so lange stumpf, wie der Antisemitismus unter Humanoiden die einwandfreie Lüge über die Juden bleibt; seine Aufhebung setzt als notwenige Bedingung die Aufhebung der ihn konstituierenden, kapitalistischen Gesellschaftsform voraus, nicht eine chemische oder pharmakologische Manipulation des menschlichen Gehirns und ebenso wenig eine nach kalkulierten Gesichtspunkten politischer Korrektheit kalibrierte Sprachregelung.

Ralf Frodermann XII 2014 (wird fortgesetzt)