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Lausige Lyrik
Günter Kunert zum 85. Geburtstag / mit einem Anhang zu Volker Brauns 75.
(#wulfkirsten80 "ein wilhlem lehmann ist genug" oskar loerke? / deutschlehrerlyrik)
„Geburt
Gang mit dem Vater, Gang mit der Mutter“
Georg Trakl (Fragment 3)
„Eine Zahnbürste muss halbweich und breitflächig sein. Sollte mir jemand darauf erwidern, er könne sich absolut nur einer harten und schmalen bedienen, so wäre es besser, ihm eine Schrotladung in den Mund zu schießen. Besser auf einmal kaputt, als in einer langen Reihe mühseliger Angriffe!“
Peter Altenberg (Prodromos)
Unter den fortgeschrittenen Semestern deutscher Lyriker
dieser Zeit erschien Günter Kunert immer als jener
mit der zwanglosesten Talentlosigkeit,
Sarahkirschig. DDR- Bennig. Fader Singsang.
„Marx
Es weht wild
die Fahne dieses bedeutenden Bartes
über den immer wieder aufplatzenden Schalen
der Erde.
Es weht über wandernden Fronten.
Über dem unaufhörlichen Widerspruch und über
dem aufhörlichen.
Über den Kriegen, die von Donnerstagabend bis
Freitagfrüh scheinen:
Der ewige Friede zwischen Efeu und Eiche,
zwischen Unternehmern und Unternommenen,
Anordnern und Angeordneten, Machthabern und
Nichtshabern,
Gläubigen und denen, welche daran glauben sollen
müssen.
Zwischen Welle und Ufer
Währt Feindschaft: die beste, die möglich ist.“
G.K.: Notizen in Kreide Reclam (369) Leipzig, 1975 S.63/64
Dichter deutschen Muckertums, Erfinder der
Müdigkeit, mit der wohl einmal Ernst zu machen
war. Wie weiland mit der „Blödigkeit“.
Urvater Hermlin längst abgegangen; Loerke
und Lehmann und Cie., winkend, die Lider geschlossen.
Im Teehaus sekkiert mit der Zuckerzange die
Droste magere Kost.
Kaum reicht’s zu Gespött -
(„Eingedöst mit Erich Loest.“), -
der Kunertplunder aus der E. und E. Strittmattermottenkiste.
Anhang: Ihr seid das Volk. Du bist Volker. Volker Braun 75
„Training des aufrechten Gangs“ nannte
Volker, fabulierender Zonenjuckreiz,
1979 seine Gedichtgarage;
Unerhörtes enthielt sie, Schätze:
„................In diesem Detmold
Im Pornofilm Thusnelda, sah ich, kaut
An Hermanns Schwert und war nicht seine Braut.“
Und:
“Geh jetzt ins Dunkle: werde selbst das Licht.
Du musst das tun, was keiner kann. Entzweie
Dich von dem toten Leben. Sorge dich nicht.
Wenn du fällst, wachsen die Schreie.“
Schließlich, schon leicht über-, ja austrainiert und unter Dopingverdacht:
„Aber in dieser Zeit begann ein neues, härteres Training, des schmerzhaften und wunderbaren aufrechten Gangs.“
Item und endlich sogar „Nach Lenin“:
Und nun schrein die Arschlöcher, die nie einen Schritt
Wagen.
Was hat das zu sagen.“
Keinen Schimmer! Wir wissen nur:
Volker kreißte in abertausend Werktagen
Nichts als Mäuse, die er molk und melkte.
Lauer Dichter, der er ist, kann er aber seine
poetische Notdurft, den horazischen
Harndrang, nach Belieben verrichten
Unter den Leipziger und Lüneburger Levellers.
Dichtung der Verrichtung – bingo!
Postludium
Neben meinem Fischbesteck
Lagerte ein Lämmchen keck;
„Lamm“, so sprach ich’s leise an,
„ändere den Aufenthalt!
Heute bleibt die Küche kalt,
Wir verzehren mit zwölf Mann
Nur den Fischstab, den uns Sindbad
Aus dem Eis barg.
Deine Gunst ist gut gemeint,
Doch heute wirst du nicht entbeint.“
In Brauns Gedichtband Handbibliothek des Unbehausten
(Suhrkamp 2016)
lesen wir das Gedicht Aufklärende Straftat (ibd. S.20)
peinliches Brecht-Pasticcio, schaumfoliert.
Ralf Frodermann März / Mai 2014 / März 2017