"Der Wald wurde immer dichter und dunkler, und jeder fragte sich heimlich, ob sie wohl jemals wieder die Sonne sehen würden."
Frank Baum, Der Zauberer von Oz
„...die lass ganz beiseite, die sich der Philosophie befleißigen, ob sie gut sind oder schlecht, und nur die Sache selbst prüfe recht gut und gründlich...“
Platon, EUTHYDEMOS (307b)
Selber denken
Die kantische Frage, was es heißt, sich im Denken zu orientieren, ist weniger populär denn je.
Und auch die aufklärerische Parole Sapere aude! (Wage zu denken!) ist längst ins nichtssagende Reich der eher unangenehm anmutenden Allerweltsphrasen pikierter Sonderlinge, in das Reich untoten Denkens eingegangen.
Denken ist Expertensache und eine Frage der Expertise unter Spezialisten. Mit sogenannten letzten Frage befassen sich allenfalls metaphysische Lumpen- und Strandgutsammler, die nicht eigens dafür ein Rederecht reklamieren oder ausweisen müssen, also viele:
„In bezug auf letzte Fragen sind alle gleichberechtigt. Je spezieller, d.h. aus der Sicht des sozialen Machtkampfes irrelevanter eine Frage ist, desto mehr werden Fachkenntnisse respektiert; die Kompetenz des Schusters ist bei weitem unbestrittener als die von jemandem, der die Freiheit verbindlich definieren will.“ (P Kondylis: Macht und Entscheidung. Die Herausbildung der Weltbilder und die Wertfrage. Stuttgart, 1984 S.75)
Wessen Talent zu irgendeinem Spezialistentum nicht hinreicht, d. h. wer nicht weiß, was es heißt, sich im Denken zu bescheiden, ist damit noch nicht notwendig außen vor. Er macht die leichten, schweren, letzten Fragen zu seiner Domäne, schlüpft in die Federboa des metaphysischen Klapperstorchs und befördert mit mächtigem Flügelschlag und in großer Höhe seine Kuckuckseier und tauben Nüsse von Nest zu Nest.
Wer selber denkt, ist selbst schuld. In der arbeitsteiligen und mülltrennenden Gesellschaft ist Selbstdenken kein lockendes Vergnügen, sondern profane Erbsünde.
Ralf Frodermann VII 2013