Bouquinist im Rückspiegel

...denn diese Form der Wissenschaftsnähe, die für die Bibliotheksgeneration Paul Raabes zum Kernbestand ihres beruflichen Daseins gehörte, droht einer zunehmend entakademisierten Zunft langsam zu entgleiten.“

Sven Kuttner in seiner Rezension von Paul Raabes „Tradition und Innovation. Studien und Anmerkungen zur Bibliotheksgeschichte.“ Frankfurt .a M., 2013

in: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie 61 (2014) 1 S.55

Bibliophile sammeln sich noch immer unter dem Dach der Stuttgarter Maximilian-Gesellschaft, einem Nachfolgeclipper der Arche Noah, der aber nicht mehr recht von der Werft kommen will und immer mehr Plätze frei hat.

Die Aficionados und Connaisseure unter ihnen halten es traditionell mit dem argentinischen Bibliothekar Borges: „Der Ruhm eines Dichters hängt letztlich von der Erregung oder Apathie der Generationen namenloser Menschen ab, die ihn in der Einsamkeit ihrer Bibliotheken einer Prüfung unterziehen.“ (Wie etwa Thomas Buddenbrook den Schopenhauer im fünften Kapitel des zehnten Teils der Buddenbrooks.)

Hilfswissenschaften wie die Bücherkunde wirken in besonders illiteraten Zeiten wie diesen ungemein anachronistisch, ihre Protagonisten, dem sinologischen Sonderling in Canettis Die Blendung nicht unähnlich, wie aus der Zeit gefallen.

Dass sie in Deutschland keine Gewähr für Humanität waren, bezeugt das Beispiel des Nazis und Bibliothekars Erhart Kästner, dessen Sinn für Totschlag auf Kreta so gut ausgebildet war wie der seine für die Bukolik von Ölbergen und Lerchenschulen.

Mit der Überakademisierung der Bibliothekswissenschaften suchte diese, wie andere Wasserträger in academicis, ihre akademische Inferiorität zu kompensieren; das Ergebnis ist ein zunehmend steriles Big Data- Klosterwesen, welches ihren entästhetisierten Geschäftsträgern im Umkreis der Geisteswissenschaften langsam auch noch zu entgleiten droht.

Ralf Frodermann April 2014