Prof. Meyer zu Müdehorst / Normalien

„..., dass der Glaube, den die Menschen von ihren Eltern und Vorfahren übernommen haben, so tief in ihnen verwurzelt sei, dass es völlig unmöglich sei, sie durch Predigt oder Disputation noch sonst etwas Menschenmögliches von ihm abzubringen. Deswegen würden sie, wenn man mit ihnen diskutieren wollte und ihnen den Irrtum zeigen möchte, in dem sie sich befinden, sofort alles, was man ihnen sagt, verächtlich abtun und sagen, in demjenigen Glauben bleiben und sterben zu wollen, den sie von ihren Eltern und ihren Vorfahren überliefert bekommen haben.“

Ramon Lull: Das Buch vom Heiden und den drei Weisen (IV. Buch)

(Übs. und hrsg. von Theodor Pindl) Stuttgart, 1998

Bornierte Bastionen

Nonchalance und Ironie sind längst keine Attribute aufgeklärten oder subversiven Bewusstseins mehr. Dunkelmänner und Hinterwäldler von Welt ziehen heute alle Register urbaner Weltläufigkeit. Register, die man einmal gewohnt war, den Dandys, Flaneurs und ihren müßiggängerischen Welten zuzuschreiben, ironische Register

Heute hat Boheme Platz in kleinster Hütte. Der digitale Globettrottel ist stoischer als Seneca höchstselbst. Hier und da gehört blockhaft irgendein Mumpitz, sei er religiöser Herkunft, aus dem Naturkostladen oder ein mixtum compositum aus anderen Zutaten, so selbstverständlich zum Lifestyle, dass er, kaum ist er liebevoll im Party-, Fitness- oder Berufsbecken interessiert belächelt worden, schon getätschelt wird und eine interne Prüfung anhebt, ob der Quatsch womöglich auch für die Befriedigung des je eigenen Quatschbedarfes unter Umständen (welchen genau?) in Frage kommen kann.

„Männer, die nicht rauchen, sind mir verdächtig“, bemerkte einst Marlene Dietrich, die heute dafür unweigerlich mit einer Strafanzeige und dem Kopfschütteln einer Bekennerkaste rechnen müsste, welche die Grenze ihres Humors für die Grenze der Welt hält und diese darum stark bewacht.

Innerhalb dieser Grenzen aber stirbt Denken rasch ab und wird Mist, der Gesten düngt. (s. H. Frankfurters „On Bullshit“). Gegenmittel sind an dieser Stelle weder gefragt noch verfügbar. Wer nicht mitlacht, macht sich lächerlich, wer nicht mitfastet, ist nicht satt, wer nicht überläuft, kann nicht laufen, wer nicht nickt, hat keinen Kopf, wer spricht oder schweigt, lügt.

Ein neuer Manichäismus ist etabliert, diesseits von dumm und dösig.

Ralf Frodermann VII 2013