Personaler und Herzschlag
Wer kündigt, stellt auch ein, doch heute seltener. Personalabteilungen sind in Zeiten überflüssigen Personals überflüssig und werden nur noch in großen Firmen ohne Argwohn bis auf weiteres geduldet.
Gut dotierte Jobs unterliegen ohnehin längst keinem Wettbewerb mehr, da sie bekanntlich entweder in Netzwerken gegen Nebenwährungen meistbietend platziert oder gleich den sich geschäftig und beziehungsreich Andienenden angedient werden. Karriere ist Ticketfrage geblieben, Qualifikation wurde vom Dauerzustand in actu zum prinzipiell unendlichen Prozess, der in der Regel nur durch Abteilungsleiter- oder Chefintervention bei Vorlage immer neuer Zertifikate, Zeugnisse und Weiterbildungsurkunden zu noch besseren Gehaltsstufen und den damit verbundenen Imagezuwächsen führt.
Jobs, Kuchenjobs, sind eine zu ernste und rare Angelegenheit geworden, als dass man sie einfach Jobsuchenden, Headhuntern oder einer staatlichen bzw. privaten Arbeitsverwaltung überlassen könnte.
Um die Krümeljobs wird indessen mit zunehmender Härte gerungen, das Einstellungsgespräch gleicht hier einer Staatsaktion: der subalterne Gockel befindet über das subalterne Maiskorn. Gern wird die Kollegin, die über die Gabe des zweiten Gesichts verfügt und Auras sehen kann, hinzugezogen, mit der diskreten Bitte um Auskunft darüber, ob der Kandidat denn nun eine grüne Aura habe oder die Kandidatin ein guter Mensch und pickbar sei usw.
Die Priester der Arbeitsreligion in Wirtschaft und Verwaltung fühlen den Boden unter ihren Füssen wanken. Denn müssen sie nicht die Heerscharen der Gläubigen abspeisen? Jenen, die auf Arbeit warten wie Vladimir und Estragon auf Godot, nicht wieder und wieder bedeuten, dass das immerforte Bereitsein schon die halbe Miete sei? Dass andere Länder, andere Unsitten heißt, und dass das Paradies längst fortgezogen und kinderlos geblieben ist?
„Wes garstig Brot ich ess’, des garstig Lied ich sing“, mögen sie sich denken und mit ihren Kräften haushalten.
Über ausgesuchte Zärtlichkeiten stolpern diese Menschen selten, und wie sollte man sie auch zu Zeugen machen können einer zutiefst humanen Regung, welche die Anteilnahme ist? Wie sollte man ihnen etwa die fast unhörbare und darum unerhörte Liebeserklärung Stefan Radts zu ihrer Vernunft bringen? Der Altphilologe Radt hatte im Jahr 2002 den in Göttingen erschienenen ersten Band seiner Ausgabe der GEOGRAPHIKA des antiken Autors Strabon mit einer Widmung beziehungsreich versehen, die er Goethes Marienbader Elegie (Trilogie der Leidenschaft / An Werther) entnahm:
„... und nur noch schlägt, für alles ihr zu danken.“
Hat unter den neueren Herzen je eines vornehmer geschlagen?
Einer Welt, der die Existenz von Assesment-Centern ungleich mehr gilt als das klopfende Herz des Verzweifelten, ist die Humanität, die in einer Widmung wie der genannten beschlossen liegt, nicht anzudemonstrieren.
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Personaler/In: Und soft skills?
Bewerber/In: Ich bin Glücksritter/In
Personaler: Was?
Bewerber/In: Ich meine flexibel.
Ralf Frodermann VII 2012