Rückkehr ins Nachtasyl: 5 Thesen zur Sozialarbeit
1.
Soziale Arbeit in der Bundesrepublik, entstanden aus einem Amalgam der nordamerikanischen Settlement- Bewegung des 19. Jahrhunderts und einer Art ‚Kapitalismus in Strumpfhosen’ seit den 50er Jahren des 20. (‚rheinischer Kapitalismus’, ‚soziale Marktwirtschaft’), entbehrt ihrer integralen Feigenblattfunktion innerhalb einer zunehmend naturwüchsig fortwesenden Tauschgesellschaft und steht damit vor ihrer letzten Beratungsherausforderung, einer pro domo: der Selbstabwicklung, gibt sie nicht der erwartbar verordneten den Vorzug.
2.
Alle beraten alle, d.h. alle sind Hinweisschilder oder Navigations- AG’s, während keiner geht, fährt oder auch nur Wege noch ausmachen könnte. („Wer nicht berät, soll auch nicht essen.“)
3.
Investmentbanking, Börsenzauber usw. hatten einmal goldenen Boden. Nach dessen Erosion bedürfen allenfalls noch ihre einstigen Bewohner (Mittelstand, self- made- Pleitegeier mit Erberwartung o.ä. usw.) paternalistischer Zuwendung seitens staatlicher Stellen. Den Armen ohne Karrierehintergund und Abstiegsbiographien ohne Aussicht auf pekuniäre Besserung stellt sich die biopolitische Legitimationsfrage in verschärfter Beweislastform: „Warum bist du überhaupt so arm?!“
4.
Gewalt und Appelle ersetzen sukzessive die für die Armutsverwaltung bisher reservierten Mittel. Ein umgekehrter Säkularisierungsprozess tritt ein, indem gesellschaftliche Dystopien, die Produkte von, mit Milton Friedman zu reden, „ökonomische Externalities“, wieder von religiösen Sektierern und Proselytenmachern aller Art, Security- Agenturen und anderen reaktionären start- ups bearbeitet werden. Die gesellschaftlichen Zentrifugalkräfte behalten auf diese Weise zunächst den Charakter und damit den Schein ihrer Beherrschbarkeit.
5.
In der normierten Gesellschaft stehen Vorteilsdenken und Überidentifizierung mit allem Bestehenden nicht mehr unter dem Verdacht des Makels.
„Hilfe zur Selbsthilfe“, dem Sozialarbeiter telos wie raison d’etre seines Handelns neben anderen, bedeutet nichts anderes als die professionelle Überredung der Klientel zu einem Leben in Gewinnerwartung und überzeugter Heteronomie als Quasi- Religion.
Anm.:
Seit Ibsens Ein Volksfeind und Wilhelm Raabes Pfisters Mühle ist die sog. Umweltproblematik in Europa literarisch dokumentiert. Die Armut war es freilich weit früher.
Freunde wie Kritiker naturalistischer Fehlschlüsse vermag dieser kulturhistorische Befund nicht zu trösten.
Ralf Frodermann XII 2012