Variationen über "Wer denkt, ist nicht wütend."

Sprachspiel ohne Worte: Das vorwurfsvolle Schweigen

„Obwohl dein Brief meine Augen beleidigt hat,

scheint es mir ein allzu billiger Triumph, nicht zu antworten.“

Ovid, Heroiden Briefe (XVII)

Billige Triumphe sind die Regeltriumphe geworden, und keine Antwort, heißt es denn auch triumphierend, ist schließlich auch eine.

Der Schuldner, der weder auf Rechnung noch Mahnung reagiert, die Umworbene, deren Absage sich in Schweigen hüllt, wie die zahllosen Erniedrigten und Beleidigten, unter denen das Antworten sich die Form des Verstummens gibt, sind geläufige Typen leicht dechiffriebarer Sprechakte ohne Worte.

Die Geliebte, die sich unter vielen Vorwänden und Windungen verweigert, ohne doch je die Absicht zu hegen, zur fernen Geliebten, zur dea abscondita zu werden, die es vorzieht, alle Gunstwerbung im präzise abgesteckten Ungefähren, so beredt als lüstern, zu belassen, ist dem Reizbaren nach kurzer Zeit der Gewöhnung noch erträglich; es sei denn, es sei erwiesen, dass es sich um die absurden Lockungen der halb-narzisstischen Frigiden handelte.

Ganz unerträglich aber ist das antwortende Schweigen, aus größter Nähe oder Ferne macht keinen Unterschied. Ja, ist es denn überhaupt eine Antwort?

Kaum; vielmehr ist es eine Art besiegelnder Indifferenz, die mühelose Mühe der Ignoranz, mit einem Wort: die Weigerung der Anerkennung.

Dieser gebieterischen Geste des Schweigens wohnt eine sublime Gewalt inne. Ihrer sich zu entäußern, bleibt Aufgabe eines jeden, dem es immer noch Ernst ist mit der Humanisierung seiner Affekte, mit der Erziehung zur Fragilität.

Dass die Kränkung mundtot bleibt, ist nur unter den bestehenden Bedingungen ein ehernes Gesetz, das naturgesetzliche Dignität angenommen hat. Es gehört kassiert!

Ralf Frodermann VI 2013