Lehrstuhl für Zeitungswissenschaften und Digital Humanities "Wahrscheinlich braucht man mehr Qualifikationen, um Schweißer zu werden, als um einen Job als Journalist zu bekommen." Kurt Cobain, TAGEBÜCHER

„Denn unter den verwunderlichsten Tatsachen des verwunderlichen Ablaufes, der sich Weltgeschichte nennt, sind zwei wohl am verwunderlichsten: erstens ist es seit Weltanfang noch immer nicht gelungen, sich gegenseitig auszurotten, und zweitens haben die Überlebenden, also gerade die Gewalttätigsten und Rohesten und Angriffslustigsten, kurzum gerade die ‚Sieger’, herausgezüchtet aus der brutalsten Erbmasse aller Kreaturen, haben sie, die Zertrampler alles Zarten und Sanften von Anbeginn an, nicht das Werden der Kultur, den Fortschritt zu zunehmender Humanität verhindern können; das Wunder des menschlichen Daseins, die Ehrfurcht vor dem menschlichen Leben, die Behütung und Bereicherung solchen Lebens ist dem Menschen, ungeachtet seines Hanges zum vegetativ-animalischen Hindämmern, ungeachtet all seiner Abstürze ins physiognomielos Bestialische, stets aufs neue und aberneue – und wahrlich, als wären da höhere Mächte am Werke – aufgezwungen und abgerungen worden.“

Hermann Broch: Massenwahntheorie. (Kommentierte Werkausgabe Bd. 12 S.176. Frankfurt a.M., 1979)

Fortsetzungsroman und Geschichtsphilosophie

Aus den Tageszeitungen verschwindet der Fortsetzungsroman. Er war das immerforte, immerwährende Versprechen auf morgen, ein Versprechen, das heute ohne weiteres nicht mehr gegeben werden kann oder gegeben werden braucht.

Mit einkommentypischem Zynismus, routinierter Gelassenheit oder kultvierter Medisance nehmen viele Leserinnen und Leser den Umstand auf, dass die Tageszeitungen sukzessive eingehen.

Bei den Käse- und Regionalblättern handelt es sich vielfach nur noch um Leid- und Werbezirkulare in Mantelausgabe: Todesanzeigen mit Füllseln, Vereinsmeiereien und Polizeiberichten.

Die überregionalen Presseorgane schränken sich ein, reduzieren den teuren Printsektor, indem sie ihre Magazine und Tiefdruckbeilagen abschaffen, optimieren ständig ihre Online-Präsenz mit Blick auf neue, junge Leserschichten, gehen zugleich ihrer papieraffinen Leserschaft um die weißen Bärte und hoffen auf anständige Wunder.

Auf genau diese Weise war es auch einmal um die Geschichtsphilosophie geschehen.

(Fortsetzung folgt)

Ralf Frodermann VII 2013