Kant war kein Frutarier

Kant- Marginalie

Das „Wörterbuch des Teufels“ von Ambrose Bierce hatte in Gottlieb Wilhelm Rabeners „Versuch eines deutschen Wörterbuchs“ bzw. „Beitrag zum deutschen Wörterbuche“ einen frühen Vorläufer im 18. Jahrhundert.

Hier eine Probe des Antecedenten, der es an dieser Stelle gewiss mit Bierce aufnimmt:

Menschenfeind. Unter diesem Namen verstehen einige Sittenlehrer gemeiniglich diejenigen verdrießlichen und mürrischen Leute, welche mit ihrem Schöpfer hadern, daß er sie zu Menschen gemacht hat, und welche niemals mißvergnügter sind, als wenn sie sich in Gesellschaft anderer Menschen befinden. Ich will nicht untersuchen, wie weit diese Sittenlehrer recht haben. Ich glaube aber, daß noch eine andere Bedeutung des Wortes Menschenfeind statthaben kann.

Ich setze, und zwar vermöge der Erfahrung, voraus, daß gemeiniglich der Mensch nichts anderes ist als ein Tier, welches nur sich für vollkommen, alle andere menschliche Tiere aber, die um dasselbe herum sind, für fehlerhaft und lächerlich hält; welches diejenigen Pflichten gegen andere niemals ausübt, die es doch von andern verlangt; welches glaubt, daß alles, was erschaffen ist, nur seinetwegen erschaffen ist; welches sich Mühe giebt, dasjenige zu scheinen, was es nicht ist; welches sehr mühselig lebt, um elend zu sterben; welches thöricht ist, weil es das Vermögen hat, vernünftig zu sein; und welches nicht leiden kann, daß man ihm alle diese Wahrheiten vorsagt. Wer so verwegen ist, dieses zu thun, der ist sein Feind.

Menschenfeinde sind also Leute, welche die Wahrheit sagen – ein häßliches Laster, wodurch man die glückselige Einbildung andrer Leute stört und zugleich sein eigenes Glück hindert.“

Zwischen dieser Bodenstation deutscher Satire und dem Gipfel der Schopenhauerschen ist unter allen Umständen der vorkritische Kant zu nennen. Über Kants Humor ist, außer beiläufig in Vorländers großer Kant- Biographie von 1924, nie viel Aufhebens gemacht worden. Dass aber die Nüchternheit des Philosophen aufs beste korrespondiert mit Scherz, Satire Ironie und kritischer Bedeutung, macht Kant in seiner Schrift von 1766, Träume eines Geistersehers schon mit der Auswahl des Mottos klar: velut aegri somnia, vanae finguntur species (‚leere Gestalten werden erdichtet wie Traumbilder eines Kranken‘ / Horaz, ars poetica)

Das subversive Motto Kants eröffnet seine nachfolgende Erledigung des Mystagogen Swedenborg. Die Autorität des Horaz, in Stellung gebracht gegen den Spuksachwalter aus Schweden, tut ihre eliminatorische Wirkung, noch bevor die folgenden Argumente auch nur orchestriert sind. Kants satirische Dezenz verbot ihm, es bei dem Motto, das zur Klärung hinreichend, doch nicht notwendig gewesen wäre, kurzerhand zu belassen.

Humor ist bekanntlich kein Witz, sondern die Synthese, das Ineinander eleganter Abbreviatur und kritischer Augmentation solcher Art.

Ralf Frodermann Januar 2013