Goslarer Tagebuch 2020

g

In der Ausgabe vom 3. Juni 2020 lässt es sich der für Ihr Blatt tätige Salonbolschewist Dietmar Dath angelegen sein, den Wolfgang Pohrt oberhalb von Jean (sic) - gemeint ist wohl Henri - Lefebvre und (!) Michale Ende zu platzieren.

Wem damit mehr Unrecht geschieht, mögen jene entscheiden, die ohne Angst dämlich sein wollen und doch wissen könnten, dass manche schon lügen, wenn sie 'und' sagen.

17. Juni

Heimreise am Abend, es ist Zeit.

--

In allen meinen Taten

Lass ich den Vorteil raten.

(Kantate des geläufigen Zeitgenossen)

--

W.E.B. Du Bois, Die Seele der Schwarzen. (dt. 2003), vormerken! lesen!

--

Sein ist Wahrgenommenwerden.

--

Wieder einmal unser präpotenter Pedell Frodermann:

Gesendet: Mittwoch, 17. Juni 2020 um 14:33 Uhr

Von: "ralf frodermann" <ralf.frodermann@gmx.de>

An: michael.zeuske@uni-koeln.de

Betreff: gestrige ausgabe der WELT

lieber prof. zeuske,

man muss wohl wieder einmal ein deutscher professor für geschichte sein, um auf den ahistorischen unfug zu kommen, der gestern in der WELT über Sie und kant kolportiert wurde.

jedenfalls hoffen wir auf kolportage!

immerhin war in der gleichen ausgabe der WELT ein nützliches antidot von broder abgedruckt, das Sie im zweifel regelmässig

einnehmen sollten.

beste grüße

ralf frodermann

12. Juni

Dioskurennachtrag:

Klaus Manns Roman Alexander / Roman der Utopie (1929) und Arno Schmidts Erzählung Alexander oder Was ist Wahrheit? (1948)

--

Mit Wertschätzung und Achtsamkeit

bedenkt wohl auch die Zeitarbeit

noch jeden Span auf ihrer Hobelbank

und fordert dafür Lob und Dank,

als wär' es bares Geld,

das weiter in den Keller fällt,

von wo es miasmiert nach oben,

in Sack und Asche gehend, statt in Roben.

Geld ist das abstrakte Schlechte

und nur jener tut das Rechte,

der das Geld stets laut verhöhnt,

je mehr er ist von ihm verwöhnt.

11. Juni

Kneipensterben unübersehbar leider auch hier vor Ort, den wir mittlerweile gut kennen. Erwägen Hauskauf in der Kaiserpfalz, wenigstens blutet der Harz nicht aus den Ohren.

--

Erhalte absurden Dissertationsvorschlag:

The two Willys: Wilhelm Raabes "Drei Federn" und William Faulkners "As I Lay Dying". Strukturvergleich multiperspektivischer Prosa.

Muss mich da irgendwie mit Hinweis auf Arbeitsanfall, angenommene Buchbeiträge, Vortragsreisen ohne fertigen Vortrag, Zeitnot usw. aus der Affäre ziehen.

--

Kuno Fischer und Martin Grabmann, Satie und Jarry...Dioskurenvorliebe a la "The two Willys" immer mit Vorsicht zu genießen.

--

Kenelm Digby (VIVARIUM 58 2020 S.191ff.), Schutzpatron der Studienabbrecher, wieder aufgetaucht. Hatte ihn vergessen.

10. Juni

Unter den wehrhaften Wracks nehmen die Geisteswissenschaften keine Führungsposition mehr ein. Seit geraumer Zeit zum Abschuss freigegeben, besteht ihre vornehmste Aufgabe im Nachweis ihrer Notwendigkeit.

Traurige Wissenschaften, agiles Wissenschaftspersonal; zur Ikonografie dieser Leute macht Magnus Klaue in der heutigen FAZ feine Stiche. Sicher zu fein für den geisteswissenschaftlichen Betriebsnudelsalat.

--

"Der gelungenen Didaktik entspräche eine Gesellschaft, die ihre objektiven Lebensbedingungen durchschaut und so organisiert, dass die Individuen nicht länger als Mittel eines subjektlosen, schicksalsartigen Zwecks agieren, sondern sich selbst Zweck sind und frei vom Zwang, die Arbeitskraft als Ware verkaufen zu müssen, Wissenschaft und Technik zur Minimierung von Elend und Mangel einsetzen könnten statt zu deren Verwaltung und Verewigung.“

Christoph Türcke, Vermittlung als Gott. Kritik des Didaktik-Kults

Zweite Auflage Lüneburg, 1994 S.133

--

"Die ewige Anspannung, Spaziergang nach Auschowitz."

Kafka, Tagebuch 6. Juli 1916

9. Juni

Wordsworth in Goslar, Winter 1798/99.

Radical Wordsworth: The Poet Who Changed the World

By Jonathan Bate

William Collins, 586pp, £25.00

--

Heute gendert ein FAZ-Leserbriefschreiber das Kamel: die Kamelin.

--

Die Katatonie der Zeitläufte, die katatonische Gegenwart.

Mache mich in dieser Woche an die Übersetzung einiger Verse aus Shelleys The Revolt of Islam. (1818) Das hübsche Reprint seines Pamphlets The Necessity of Atheism (Bodleian Libaray 1992) gestern verschenkt, aber an wen?

8. Juni

Die pagina domestica unserer Hochschule bedarf der Neugestaltung, so lässt man uns wissen. Werde unsere IT-Abteilung informieren.

--

SALE lese ich in den Schaufenstern und denke an Franz von Sales. Seine Philotea, eine Anleitung zum frommen - nicht geizigen - Leben stellt wohl den geistlichen Ursprung aller späteren Hausväter- und Ratgeberliteratur dar.

Schlussverkauf aus dem Geiste Gottes.

6. Juni

Dass Schüler in der Regel noch dümmer sind als ihre Lehrer, mag an deren effektivem Unterricht in Dummheit liegen.

--

Migräne meiner Frau lässt mich - und sie - das gute alte Laudanum herbeisehnen.

5. Juni

Narzisstischer Syllogismus

Wo ich nicht gefragt bin, ist etwas faul.

Ich bin nirgendwo gefragt.

Also ist überall etwas faul.

--

Beeindruckendes Unbeeindrucktsein gibt sich etwa wie folgt zu erkennen:

"FAZ? Lese ich schon lange nicht mehr!" - Gestern Abend an der Bar eines Bad Harzburger Hotels aufgeschnappt.

--

Über muslimische Zeloten.

--

"Wir wissen nichts. Aber darum wissen wir auch nicht, ob nicht diese unsere dunkle von Gott abgetriebene Welt der Erlösung am nächsten ist."

Margarete Susman:

Das Hiob-Problem bei Franz Kafka (DER MORGEN Heft 1 April 1929)

4. Juni

Leserbrief an die FAZ:

3. Juni

Einiges über angewandte Zeremonialwissenschaft (nach Hegel Phänomenologie Heroismus der Schmeichelei) entworfen.

Immer als Schatten über einem: Aber je schlechter der Gedanke ist, desto weniger fällt es zuweilen auf, worin bestimmt seine Schlechtigkeit liegt, und desto schwerer ist es, sie auseinanderzulegen. (dito)

--

Vatizinium statt Analyse allerorten.

1. Juni

Allfälliger Schriftverkehr kann unter den herrschenden Bedingungen nicht mehr effektiv stattfinden, obwohl zwei Sekretärinnen mittlerweile hier bei uns sind. Das tägliche Durchstöbern der behördlichen Drillmanuale ist arg nervtötend, doch nicht zu ändern.

Wohl das Ziel zu umlenken verstehest du, wie Voss um Vers 308 herum im 23. Gesang der Ilias übersetzt.

Wahrlich mein Lebensmotto!

--

»Kriegskunst zu Fuß« von Johann Jacobi von Wallhausen (1615), neben Paul Ricoeurs

Nachlassfragmenten (Meiner 2011) für Juni vorgemerkt.

31. Mai

Ins Bett der Braut, der du die Arme schon

Entgegenstreckst zu dem Vermählungsfest,

Tritt, o du Bräutigam der Siegesgöttin,

Die Seuche grauenvoll dir in den Weg - !

Heinrich von Kleist, Robert Guiskard

--

Eine Prämiendemokratie - Zubrot fürs Mitmachen - beginnt sich abzuzeichnen.

--

Spaziergang mit Gattin. Lunch im Hotel Ackermann.

30. Mai

In die Dranktonne getreten

a: "Bakterienbekämpfung führt zur Auslese widerstandsfähiger Stämme."

Hoimar vonn Ditfurth (1962)

b: Halbgelehrte Erbauungsliteratur ist immer unerfreulich. In den 8oer Jahren

war für solchen Schmarrn der Transcendentalbelletrist Odo Marquard

bräsig zuständig.

Heute ennuyiert Emil Angehrn mit seinem Buch "Vom Anfang und Ende.

Leben zwischen Geburt und Tod." (Frankfurt a. M., 2020) eine vermutlich

überschaubare Leserschaft., d. h. mich.

c: Bezaubernde Frau - eine contradictio in adjecto.

28. Mai

Kleiner Beitrag ist skizziert: Theresa Pansa und Marthe Schwerdtlein: Weibliche Verschlagenheit, literarisiert. (Bei gänzlich fehlender Arbeitslust!)

--

Vor den Büchern sterben die Buchhandlungen, eine über die Wochen lieb gewonnene in Goslar schließt in wenigen Tagen ihre Pforten.

Habe wohl in meinem Leben mehr Schließungen als Eröffnungen von Bücherstuben miterlebt.

--

Motto von Sternes Tristram Shandy von Epiktet: Nicht die Dinge bringen die Menschen in Verwirrung, sondern die Ansichten über die Dinge.

--

Tatsache ist, daß ich dick werde.

Maria Antonietta Torelli-Viollier, Pseudonym Marchesa Colombi, letzter Satz ihrer Erzählung Eine Provinzheirat.

26. Mai

Franz von Gaudy: Gedankensprünge eines der Cholera Entronnenen. (Glogau 1832)

--

Diversity? - Erkenne ich nur, ausschließlich und einzig in den monatlichen Lohn- und Gehaltsabrechnungen, in den Renten- und Pensionsbescheiden und den Kontoauszügen.

--

Gesunde Junge filmen, schreiben, fotografieren, musizieren, malen etc. für junge Gesunde. Und vice versa.

--

Im aktuellen Heft der Deutschen Zeitschrift für Philosophie (2 / 2020) wird der Nicolai Hartmann wieder einmal exhumiert. Wolfgang Harichs "Nicolai Hartmann - Größe und Grenzen. Versuch einer marxistischen Selbstverständigung" (Würzburg, 2004) ist im dortigen ontologischen Heftnebel freilich nicht auszumachen.

(Avisiert ist: Nachlass Harich Band 10 Nicolai Hartmann. Der erste Lehrer.)

25. Mai

Wir bleiben womöglich noch so lang, bis es wieder heißt:

Kein Blatt das rauscht, kein Vogel im Gezweig...

(H. Hesse, Wanderer im Spätherbst)

--

Man hat jetzt erkannt, daß der Eifer für die Ausbreitung der Religion und die

Anhänglichkeit, die man für sie haben sollte, zweierlei Dinge sind und daß man, um die Religion zu lieben und zu befolgen, nicht unbedingt diejenigen hassen und verfolgen muß, die ihr nicht anhängen.

Montesquieu, Persische Briefe (80. Brief dt. Reclam Stuttgart, 1991)

--

24. Mai

Unsere Ferien nehmen zum Glück kein Ende. Friseur gestern, Aquavit heute.

--

Blau ins Blaue blauen

Ich hatte das Reh aus der Decke geschnitten,

befreite von Schwarte die Sau,

da kam eine alte Hexe geritten,

wir beide soffen uns blau.

--

Unser Pedell Frodermann hält daheim an seinen Tick fest, seriöse Kollegen mit eitlen Zuschriften zu penetrieren! Als wäre das nicht des Übels übergenug, lässt er mich dann auch noch davon wissen:

"guten tag herr prof. kieserling,

zunächst besten dank für Ihren o.a. referierenden beitrag in der heutigen frankfurter allgemeinen sonntagszeitung.

wie so oft, liegen Sie -bzw. der von Ihnen referierte hotelsoziologe und tipping expert prof. michael lynn von der hotel school der cornell university - auch in sachen küchensoziologie des trinkgelds mindestens zur hälfte daneben, also ganz falsch.

das trinkgeld gehört keineswegs zur "Gruppe von Handlungen, die man mit einem gewöhnungsbedürftigen (? rf)

Wort aus der Gnadenlehre des Mittelalters als 'supererogatorisch' bezeichnet", wie Sie schreiben, ist nicht als

säkularisierte gnade eines gebers (gebergnade) aufzufassen, sondern als ritualisierte geste entkernten danks.

(ihr korrelat stellt die heute allerorten geläufige dankabwehr "dafür nicht", vormals: "keine ursache" dar.)

in usa gilt das trinkgeld überdies als "nich-optionale gesellschaftliche konvention" (sheldon cooper) und bildet dort einen

nicht unmaßgeblichen teil des nettolohns innerhalb des dienstleistungsproletariats.

zur ethnologie des trinkgelds ("die bare münze des potlatch" bobby holunder) vgl. Marcel Mauss, Die Gabe.

Form und Funktion des Austauschs in archaischen Gesellschaften.

dt. suhrkamp 1968.

h.p. znoj: tausch und geld in zentralsumatra.

berlin, 1995

zum themenfeld "supererogation" einschlägig die arbeiten von archer:

"Wenn ich mein ethisches Soll übererfülle, spreche ich von Supererogation." (Bobby Holunder), vgl. in Philosophy Compass Vol 13 Issue 3 March 2018 den Beitrag von Alfred Archer .

und:

A. Archer: Are Acts of Supererogation always praiseworthy? (THEORIA Vol. 82 No. 3 September 2016)

zum themenfeld "ritualisierte handlungen" immer noch wichtig:

d. harth, g.j. schenkg (hrsg.): ritualdynamik. kulturübergreifende studien zur theorie

und geschichte rituellen handelns.

heidelberg, 2004

und:

bobby holunder: "trinkgeldverweigerung": schuld ohne sühne. studien zu strafbedürfnis und geiz deutscher angestellen und beamten." #bockpress# 2001

freundliche grüße

ralf frodermann"

17. Mai

"Ich bin sicher nicht der erste, der ausspricht, daß innerhalb der durch den Beruf bestimmten Möglichkeiten relativen menschlichen Glücks die Existenz des deutschen Universitätsprofessors vor der Zerstörung des deutschen Universitätswesens durch den Nationalsozialismus eine der glücklichsten war."

Ludwig Curtius, Deutsche und Antike Welt / Lebenserinnerungen.

(Stuttgart 1950 S.319)

--

Montesquieu, Persische Briefe. Parodieübung (nach Friedrich Umlauft: Das Buch der Parodien und Travestien aus alter und neuer Zeit. 3. Auflage Wien, 1928)

16. Mai

Aus der unwürdigen Greisin ist ein Pflegefall geworden. Hatte jene die langen Jahre der Knechtschaft und die kurzen Jahre der Freiheit noch ausgekostet und das Brot des Lebens aufgezehrt bis auf den letzten Brosamen, so muss sich dieser heute von ihrer Brut geriatrisch besingen lassen, s. Martina Hefters Altersheim-Gedicht in der heutigen FAZ. (Kritische Theorie des Alter(n)s, Diss. von Andreas Stückler noch in Arbeit?)

--

Meine Frau besteht auf ausgedehnte Spaziergänge und kurzen Kirchbesuchen. Ich für meinen Teil auf Gin Tonic (Tanqueray Rangpur!) und Sonderbriefmarken.

15. Mai

Heft 2 / 2020 der Zeitschrift für Germanistik eingetroffen. Schwerpunkt Provinz erzählen.

"Wenn in tiefer Winternacht ein wilder Schneesturm mit seinen Stössen um die Hütte rast und alles verhängt und verhüllt, d a n n ist die hohe Zeit der Philosophie." Martin Heidegger, Warum bleiben wir in der Provinz? (in: Guido Schneebeger: Nachlese zu Heidegger. Bern, 1962 S. 216)

--

Was war eine Schuloper? Brechts Der Jasager und Der Neinsager bildet das einzige exemplarische Werk des didaktischen Theatergenres?

--

Wer ist eleganter,

der Elch oder der Panther?

Der Panther:

"Ich, das weiß doch jeder"

und beißt dem Elch ins Leder.

Der Elch, ersterbend, aber ungerührt:

"Jetzt weißt du wohl, wohin solch Streiten führt."

--

diu vrouwe hat vil grozen gewalt (Friedrich von Sonnenburg)

14. Mai

todeswunsch, negativ

ein wunsch, der nie sich hat erklärt,

ein wunsch, der stets sich hat vermehrt,

ein wunsch - o gott, er wird ganz rot,

verschone ihn vor seinem tod!

--

Leküre im Online-Tutorial (Mein einziges Oberseminar):

De gestis in Perside. (Fontes Christiani Band 87 Herder 2019)

Der Monitor bleibt allerdings ausgeschaltet!

12. Mai

Poetische Aerosole: Schwebstoffe.Gedichte (2004), von Heinrich Detering.

(Para-poetisches Schifthandeln.)

nota bene:

https://sites.google.com/site/universitaetbockwurst/ad-gruenbein/scholien/professorenlyrik

und:

Dr. Marianus (zu Faust)

Flutenumflossener,

Wasserbeschossener,

Wirksam Begossener,

Nun Desinfekterer,

Sichtlich Perfekterer,

Mutig erhebe dich,

Irdischer Streberich,

Bald wirst du Schweberich!

F. Th. Vischer, Faust. Der Tragödie dritter Teil (III, 10)

--

Heidegger: Hirte des Hohns.

--

"Celan..."

"Dessen lsppische 'Fuge' zu lesen oder (denn wer liest sie schon?) zu erwähnen, ist nichts als eine snobistische Variante von Wiedergutmachung."

(Günther Anders, Ketzereien. Zitiert nach: P. Kiedaisch, Hrsg.: Lyrik nach Auschwitz? Adorno und die Dichter. Reclam Stuttgart 9363 1995 S.127)

--

Den Eisheiligen begegnen meine Frau und ich profan: Chartreuse!

9. Mai

Wir sitzen hier fest! Romedio Schmitz-Essers Friedrich III. und die Präsenthaltung des abwesenden Herrschers (Zeitschrift für historische Forschung Band 46 2019 Heft 4) erinnert mich schmerzhaft an meine rektoralen Pflichten, die in diesen Zeiten auf der Strecke bleiben. Das Sommersemester 2020 ist ein Nicht-Semester!

..

Meine Gattin phantasiert von einem Kuraufenthalt in Marienbad. Werden wir im Spätsommer nötig haben.

Aus dem Zauberberg das Kapitel Die große Gereiztheit.

8. Mai

Das philosophische Expediententum dieser Zeit sucht unsereins auch in Quarantäne heim: Lara Hubers Relevanz. Über den Erkenntniswert wissenschaftlicher Forschung. (Meiner 2020) und Michael Chighels Kabale. Das Geheimnis des Hebräischen Humanismus im Lichte von Heideggers Denken. (Klostermann 2020) sind schlechterdings ungenießbar.

Relevanz ist ein relevantes Kriterium, sagt Frau Huber, und: Heidegger ist kein Nazi, Herr Chighel. - Besten Dank für die Bescheide!

--

Larvatus prodeo - ich geh' nur mit Maske raus.

4. Mai

ad Coronam:

Aus Pandemie wird allmählich Pandaemonium.

"Insbesondere dann, wenn es aufgrund der Relevanz des Themas nicht möglich ist, geräuscharm zu verwalten, wird durch das Zusammenwirken von politischer Panikproduktion, wissenschaftlicher Endzeitprognostik und medialer Bervölkerungsaktivierung eine hysterische und tendenziell paranoide gesellschaftliche Stimmung erzeugt, in der ökonomische Zumutungen und massive Freiheitsbeschränkung als letzte, gar sinnstiftende Lösungen erscheinen." (BAHAMAS Heft 84 Frühjahr 2020 S. 34)

--

Dem Kruso-Seiler widmet der Poet Durs Grünbein heute in der FAZ ein Hiddensee-Gedicht, hier kann man den Osten melken o.ä.

nota bene:

https://sites.google.com/site/universitaetbockwurst/ad-gruenbein-ii

--

2. Mai

Videokonferenz mit dem Kuratorium und Ältestenrat der Universität Bockwurst.

Kollege Auchjauche: "Die Virologen wissen genau, wovon sie schweigen." Beklemmender Sinn für bizarre Äquilibristik spürbar.

--

"Im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts ist die Hauptstadt der Bundesrepublik zu einem zentralen Ort des Schaffens für Intellektuelle aus dem arabischsprachigen Raum und insbesondere auch für Kunstschaffende syrische Herkunft geworden." (IMIS-Beiträge Heft 53 2020 S.35)

30. April

Warum Paul Celan auf den Todtnauberg fuhr zu Heidegger und nicht in den Frankfurter Kettenhofweg 123 zu Adornos, irritiert seit je.

Er nervenbündelte nervenbündelte er?

--

Tanz in den Mai im Autokino.

--

Die Serie Black Sails: Michael Kohlhaas ohne Balken.

29. April

Ausflug zur Kaiserpfalz Werla. Brocken der Vergangenheit in deren Brunnen.

26. April

Die Leute verstehen den Coronavirus als Menetekel.

"Es ist Zeit, dass es Zeit wird.." Paul Celan, Corona (aus: Mohn und Gedächtnis 1954)

--

https://www.hofwerkstatt-koenigstadt.de/

--

http://redaktion-bahamas.org/editorial/2020/nr-84/

20. April

Mathematik ist nicht Rechnen, und Ästhetik ist nicht semantische Prüfung ästhetischer Urteile.

Daran musst ich unvermittelt nach der Lektüre der Arbeit von Jochen Briesen denken. (Ästhetische Urteile und ästhetische Eigenschaften.

Sprachphilosophische und metaphysische Überlegungen. Frankfurt a. M., 2020.)

Solche nicht eben leicht verdaulichen Elaborate haben einen unguten Fibelcharakter (Habilschrift) und wirken auf den ästhetischen Leser (unsereins) wie ein warmes Pils auf den Säufer (dito).

In einem emphatischen Sinn geht es in den philologischen Disziplinen um das Lesen, während in der Mathematik der bloß Rechnende ein Nebbich ist.

-----

Ausflug bei herrlichem Wetter erneut zum Brocken. Walpurgisnachtvorfreude.

Neuer Sommerhut eingetroffen, Stetson.

18. April

Einen Irrtum einreiten

Ganz verwegen sitzen sie dem Irrtum auf,

Dichter, ja Poet gar zu sein;

und ahnen nicht in ihrem tollen Lauf,

nur Kerzen, doch bar der Flamm', bar des Schein.

--

"Wir Lehrer müssen Diskretion mit Irreführung würzen." Evelyn Waugh, Verfall und Untergang (2)

14. April

"Eine Freundschaft, die aufhören kann, ist nie eine wahre Freundschaft gewesen."

Kirchenvater Hieronymus an den Mönch Ruffin

--

Zwei Fraktionen sind in diesen deprivierten Tagen saurer Seuche erkennbar: eine größere, die sich nach einer vermeintlichen Normalität zurücksehnt, und eine kleinere, die davon noch weiter fort möchte.

13. April

Statt Osterandacht: Meine Auferstehung, von Johann Karl Wezel 1782 veröffentlicht.

--

Vom Marxismus zur Parapsychologie: Niamh Burns über Gerda Walther (1897-1977) in German Life and Letters April 2020.

11. April

Kenotaph

nimm von meinem herzen,

nimm von meinem traum,

mehr brauchst auch du nicht,

und mehr hab ich kaum.

---

Sollten wir noch bis zum Sommer hier in Goslar bleiben, muss mir unsere IT-Abteilung eine lange Leitung legen.

Meine Vorlesung Zwischen Principia Ethica und intuitivem Abschied vom Prinzipiellen / Moralphilosophie vor und nach William David Ross werde ich demnächst über den You-Tube-Kanal unserer Hochschule anbieten.

--

Michael Donhausers Prosagedicht Der Holunder von 1986 demnächst erneuern!

10. April

Karfreitag ohne Zauber. Im Radio Krisenrhetorik der Schlaumeier. Klingt dilatorisch, schmeckt nicht. - Leicht erhöhte Temperatur.

Der wackere Magnus Klaue schreibt in Jungle World (2. April 2020):

"Freundlich, lustig und aufmerksam werden Deutsche immer erst, wenn sie gewiss sind, dass andere früher als sie selber sterben."

Sah einen Hasenkadaver.

9. April

"O wie viel werden Sie noch zu lesen bekommen, worüber Sie erstaunen werden. Ich will so fleißig sein, als mir möglich ist, um Sie nicht lange darauf warten zu lassen."

So beschließt Sophie von La Roche den ersten Teil ihres Romans Geschichte des Fräuleins von Sternheim.

Heute käme das in jeder Bildungsanstalt einer veritablen Drohung gleich.

--

Tynset von Wolfgang Hildesheimer rausgekramt. Erinnerung an die Gespräche mit dem verstorbenen Peter Horst Neumann über dessen Erinnerungen an Gespräche mit Hildesheimer in Flims. Hildeheimers Marbot war eben erschienen, und er hatte damit sogar die Schopenhauer-Gesellschaft genarrt, frugen die doch beim Erzähler an, ob sie ggf. das Original eines vermeintlichen Briefes des Philosophen erhalten könnten, den Hildesheimer erfunden und seinem Roman eingeschaltet hatte.

--

Warum versammeln sich die Hayfische einige Tage vor einer Seeschlacht in ungewöhnlicher Anzahl bei den Flotten?

Wie mag die Vorstellung vom Einhorn entstanden seyn?

Fragt sich 1810 Johann Georg Heinrich Feder.

8. April

Am gestrigen Abend in kleiner Runde - vermutlich illegale Flüsterkneipe - raunte ein junger Spinner meiner flamboyanten Gattin zu: "Es gibt Frauen, die sind für einen Mann zu schade."

Zwischen zwei Häppchen darauf meine Frau, mein Leben: "Und Männer, mein Teuerster, für die jede Frau zu schade ist."

7. April

Der allgemeine Fortschritt erlaubt es der Dummheit, immer auf dem neuesten Stand der Technik zu sein. Der Befund Karl Kraus' war prophetisch:

Digitale Medien schaden Schülern wie Lehrern, der herrschende Digitalfetischismus bezeugt nichts anderes.

"Digitale Medien schaden Schülern." FAZ 6. April 2020 (Leserbrief)

"Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass Lehrkräfte generell ein grundlegendes Bedürfnis nach Computer-Technik und onlinebasiertem Lernen artikulieren." Pädagogische Rundschau Heft 6 2019 S. 580.

6. April

In prohibitiven Zeiten wie diesen - "Wollt ihr die totale Prohibition?", Kollege Auchjauche in einer SMS an mich gestern - blättert unsereins in einschlägigen Periodika wie RHETORIK. Ein internationales Jahrbuch.

Band 37 2018 war dem Thema Rhetorik und Medizin gewidmet. (Fand ich in der Bibliothek unserer Gastgeber.)

Der Zerfall der Gesundheit korreliert mittlerweile mit dem der Profitrate.

Die hohe Zeit der Versicherungsmathematiker ist längst angebrochen.

-

Erziehung ist in eine zu ernste Sache geworden, um sie Pädagogen zu überlassen.

5. April

"Es begann so, wie das Ende der Welt beginnen wird: mit einem Telefonanruf um drei Uhr früh."

Ross Thomas, Dann sei wenigstens vorsichtig. Thriller dt. 2018

Den deutschsprachigen Prosamüll dieser Zeit (m/w/d) gebe ich gern hin gegen diesen ersten Satz aus Thomas' Krimi.

--

Julius Caesars Rückkehr ins Erdenleben von Nicodemus Frischlin ist eine gelehrte Posse nach meinem Geschmack.

Habe eine kleine Miszelle ans SCN / Seventeenth Century News für Vol. 79 geschickt. Leider Briefmarken vergessen.

--

Ich & Du

Ich wollt', ich wär ein Schaf,

du zähltest dich in'n Schlaf,

ich mäh' dich an als Num'ro 8,

und sagte dir darauf Gut' Nacht!

(aus der Sammlung Graphomania Hercyniae)

4. April

Wie ein Gesicht im Sand am Meeresufer ist nicht der Mensch verschwunden - der war noch nie lange da -, sondern der Poststrukturalismus und seine spin-offs.

--

Die Karwoche werden wir hier in Goslar verleben. Habe für alle Kollegen ein Forschungsfreisemester angeordnet und verfügt, dass ihre Gehälter halbiert werden, um den Studenten ggf. unbürokratisch unter die Arme greifen zu können. Handeln statt helfen!

3. April

„Das kommende Semester wird aber auch die Chance eröffnen, dass sich endlich wieder ein Geist gemeinsamer intellektueller Arbeit einstellt, der von vielen im Normalbetrieb vermisst wird.“

Die Sehnsucht nach dem Ausnahmezustand, den die beiden Bielefelder Germanisten Mathias Buschmeier und Kai Kauffmann in einem Beitrag für die FAZ vom 2. April 2020 (dem wir das Zitat entnehmen) im ureigenen Germanistendeutsch professioneller Sprachkiller beschwören, kommt in der üblichen "Krise-als-Chance"-Phrasierung daher. Den beiden Herren würde vermutlich mulmig werden, würde man ihnen das Ausmaß ihrer Faselei unter dem Titel Die Selbstbehauptung der deutschen Germanistik andemonstrieren, worauf wir an dieser Stelle aus hygienischen Gründen verzichten müssen.

2. April

Adhortativ fällt aus: Kein "Gehen wir doch mal ins..."mehr.

--

Pseudo-Syllogismus

Unter den Sünden gilt das Lippenbekenntnis als lässliche.

Ihrer macht sich schuldig, wer aufrichtig tut, ohne es zu sein.

Sprechakte solcher Provenienz sind Untaten.

1. April

Die Nordsee-Dichtung ist nicht mehr das, was sie einmal war, Heine, Storm etc.

Im Gedichtband Vogelstraußtrompete (Suhrkamp 2014) des aktuellen Kleistpreisträger Clemens J. Setz ist auf Seite neun das Poem Die Nordsee zu verachten.

--

Aus dem Quarantänegeviert

Klinkclowns, Dankesager und Abstandhalter; Absahnersorgen unter Barrikadengemütern.

--

am pranger steht corona,

macht auf memento mori,

und kurzarbeitern geht der arsch mit grundeis,

und börsenhaie fallen zähne aus

und lügenbolden lügen ein;

"der kauf, der hat sich nicht gelohnt";

sagt eine, die im wohnstift wohnt.

"das gold, das geb ich nicht mehr her";

ein andrer - aus währung ward ein ungefähr,

und der, dem jetzt kredite platzen:

"wie sich auch die welt benimmt,

ich bleibe positiv gestimmt."

30. März

Prinzip ut aliquid fieri videatur allüberall in Kraft.

--

In Hofmannsthals Andreas-Fragment.

Es hat in unserer Mitte Zauberer

Und Zauberinnen, aber niemand weiß sie. Ariost (Motto des Romans)

Darin zu einer geläufigen Wendung im Phrasenhandel, will sagen Integration durch Sprache: "Ich kann die Sprache, was ist das weiter, deswegen machen sie doch mit mir was sie wollen." (Andreas)

--

Horcynus Orca. (nota bene: studi germanici 2 / 2019 Artikel von Ermengildo Bidese zur deutschen Übersetzung). Leider ist mein Italienisch zu schlecht, um dass Original zu konsultieren.

29. März

Meine Gattin seit Tagen vertieft in die Neuübersetzung von Mary Shelleys Der letzte Mensch in der Neuübersetzung aus dem Jahr 2018.

--

Wird aus Pfeifen im Walde ein Pfeifkonzert, weiß man zuverlässig, dass man in Deutschland ist.

--

Das abbruchreife deutsche Feuilleton läuft immer dann zu Hochform auf, wenn es gilt, Fallenden nachzutreten. Vgl. Peter Körtes Rezension der Allen-Autobiographie in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung heute.

nota bene:

http://redaktion-bahamas.org/artikel/2018/78-asexuelle-belaestigung/

28. März

Undichte Beschreibung

Im Themenheft New Authorities in Politics and Literature der Zeitschrift Colloquia Germanica (Vol. 50 No. 3/4 2017) fällt der unbeholfene Beitrag* - unbeholfen wie ein PKW-Fahrer, der einen LKW in einer Einbahnstraße umzuparken versucht - Manuel Clemens' über Heinrich Manns Der Untertan und Joachim Zelters untertan auf*

Viel wäre vermutlich gewonnen gewesen, hätte Clemens, statt Theatralitätstheoreme und fade Soziologoumena der Gegenwart (Reckwitz) aufzuwärmen, der Tatsache Rechnung getragen, dass der nicht-nominale Gebrauch von untertan (macht euch die Erde, den Zeitgeist, den Virus etc. untertan! jemandem untertan sein, sein wollen, Herr und Knecht) bei Zelter sinnfällig ist und der Deutung bedarf.

Vgl. zur Methode solcher Remakes:

Furcht und Hoffnung der BRD von Kroetz und Die neuen Leiden des jungen W. von Plenzdorf.

*Gehorsame Subjekte: Theatralität in den Untertan-Romanen von Heinrich Mann (1918) und Joachim Zelter (2012).

--

Umzug in die nahe gelegene Villa guter Freunde unvermeidlich. (Ernst Jünger soll hier gewohnt haben.) Der Hotelier bat uns eindringlich, sein Haus wegen der aktuellen Lage zu verlassen. Ein komfortabler Rausschmiss.

--

Bei manchen Leuten ist es schon eine Unverschämtheit, wenn sie und sagen.

--

der weiberfex

wenn aus vollblutweibern hexen werden

und aus begehren abscheu wächst

wenn frauen sich in trutschen wandeln

und aus lohe asche rieselt dünn

geh ich aus furcht vor den megären

sperr mich ein und weine zähren

26. März

"aus dem selben Grund wie alle Polemik, der nicht widersprochen werden kann und die man daher totschweigt."

Alban Berg an Adorno 8. August 1929

Nachts im Briefwechsel der Wiener Schule, Schönberg und Berg, Berg und Webern, Zemlinsky, Schreker. Die letzten Menschen.

--

Mein Corona-Test negativ, der meiner Gattin dito. Keine Pläne bis Oktober. Sabbatical und Lektüre.

--

Dem Harald Hartung gehen in der heutigen FAZ die Pferde durch: in der Besprechung des neuen Gedichtbandes "Imago" von Uwe Kolbe phantasiert er von "Eichendorffs wanderlustigem Müller" und meint wohl, damit auf Schuberts Zyklus "Die schöne Müllerin" - Text von Wilhelm Müller - anzuspielen. So eine Fehlleistung nenne ich eine allusive Illusion.

24. März

Es ist nichts grausamer, als Menschen zu verführen, daß sie eine Sache hochachten, die ihren Abscheu verdient.

Christian Friedrich von Blanckenburg, Versuch über den Roman. 1774 S.464

23. März

Meinen gestrigen Abendvortrag

Von Zyklon B zu Corvid 19: Über Krisen, Lust und Angst schloss ich mit einem Körner-Gedicht und einer Parodie desselben:

Theodor Körner:

Abschied vom Leben

Die Wunde brennt, die bleichen Lippen beben.

Ich fühl's an meines Herzens matterm Schlage,

hier steh ich an den Marken meiner Tage.

Gott, wie du willst! Dir hab ich mich ergeben.

Viel gold'ne Bilder sah ich um mich schweben;

Das schöne Traumbild wird zur Totenklage.

Mut! Mut! – Was ich so treu im Herzen trage,

Das muß ja doch dort ewig mit mir leben.

Und was ich hier als Heiligtum erkannte,

Wofür ich rasch und jugendlich entbrannte,

Ob ich's nun Freiheit, ob ich's Liebe nannte:

Als lichten Seraph seh ich's vor mir stehen;

Und wie die Sinne langsam mir vergehen,

Trägt mich ein Hauch zu morgenroten Höhen.

Ignaz Fran Castelli:

Der Tripper brennt, die gelben Tropfen kleben,

Ich fühl mit jedem neuerwachten Tage

Die unausstehlich schmerzenvollste Plage;

Gott! wie du willst, dir hab ich mich ergeben.

Viel schöne Mädchen sah ich um mich schweben,

Und als ich einem Verlangen klage,

Legt sie sich schnell in die bequemste Lage,

Und tief stoß ich den Schwanz ihr bis ins Leben

Und als sie mich als starken Mann erkannte,

Und sie mit neuer Gluth für mich entbrannte,

Sah meinen Spitz ich sieben mal noch stehen.

Ich vögle sie, daß ihr die Sinn' vergehen,

Sie stöhnt und furzt vor Lust, und ich muß sehen,

Daß bei dem Saumensch ich den Spitz verbrannte.

22. März

Sind alle Läden geschlossen? Zündet die Kerzen an! Weg mit dem Tag!

Georg Büchner, Leonce und Lena (I, 3)

--

Zu den Harz-Reisebildern, namentlich der neueren Zeit:

https://sites.google.com/site/universitaetbockwurst/die-reiseseite

21. März

Vanitas-Motive allüberall.

--

Unser Pedell Frodermann vergrößert seinen Epistulae - morales - Korpus per mail:

guten tag herr prof. kauffmann,

freilich kann man an der bielefelder universität germanistikprofessor von barock bis brasch sein, ohne klopstocks messias je gelesen zu haben, wie Sie Ihrer messiais-lektüre (in der heutigen faz. RH) kokett voranschicken. insbesondere in illiteraten zeiten wie diesen.

revera kann man es aber nicht, ohne im diesbezüglichen kontext aus grabbes "scherz, satire, ironie und tiefere bedeutung" den teufel zu zitieren:

"will schlafen und greife zu meinem bewährten schlafmittel, klopstocks messias".

beste grüße

ralf frodermann

20. März

Habe an unsere Hausmeister Seuchenschnäpse ausgeben lassen. Die meisten von ihnen sind weit über die siebzig und durstiger als ängstlich.

--

Das Sommersemester 2020 fällt an der Universität Bockwurst aus. Wir stellen voll und ganz um auf online-tutorials und ähnlichen Quatsch.

In diesen Tagen des Aufschäumens und Einseifens geht auch unsere Hochschule besser kein Risiko ein, und macht ausnahmsweise mal keine Ausnahme.

--

Sehr einverstanden mit der Edition und Übersetzung der Cinthia des Humanistenpapstes Pius II. (Enea Silvio Piccolomini). Reclam 19687. ed. Aaron Ammann, 2020.

Die leider verloren gegangene Nymphilexis des italienischen Schwerenöters im Geist Aretinos und Bembos werde ich gelegentlich wiederherzustellen suchen.

16. März

FAZ-Schmock Thomas Thiel beginnt seine Rezension einer CD mit altersweisen Plaudereien des großen Philosophen mit der Wiedergabe einer maßgeblichen Erinnerung desselben:

"Dieter Henrich, der heute zu den Größen der Philosophie zählt, hatte seine Berufung schon im Alter von zwei Jahren." (FAZ heute)

--

Die Ur-Roulade

(am Grab Kurt Schwitters' zu murmeln)

1

Frä, frä, Rost,

frä, frou, Rust,

frou, frost, most,

brat, brut, brat,

sock, soß, soß,

des, es, ges, ess.

Intermezzo

Mondholz

Was wärmt mich so

spät, bei Nacht, bei Wind,

es ist das Mondholz mit seinem Kind;

das Kind ist ein Kalb und das Kalb ist von mir;

ich wollte, es wäre auch manchmal bei dir.

2

Frä, frä, rou,

lade roh, lade roh,

roh, lade roh, luder,

lade roh, suhle,

sauce suhle, sogar.

15. März

"So hart das klingt, letztlich bleibt die Erkenntnis, dass Armut erblich ist."

(Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung heute.)

So dämlich das klingt:

Armut ist eine unheilbare Krankheit. Wie Dummheit mehr als eine schlechte Angewohnheit und weniger als eine Negation ist.

14. März

Zeit der Parentationen angebrochen. / Lukubration und Lektüre Florian Fälbels.

--

Jnzwiſchen hat die Welt gelacht,

Die uns den Holtz-Weg lauffen ſehen. (Nicolaus Ludwig von Zinzendorf)

--

Mein Streichquartett Der Tod und der Goldfisch, nach Victor Hadwiger, ein Jugendwerk, das ich für verschollen hielt, ist bei einer Auktion in St. Gallen aufgetaucht.

Seinerzeit war die Kritik sprachlos und würdigte dem Werk keine Zeile, heute bin ich es und verwünsche die kompositorische Jugendsünde.

13. März

Das Sommersemester wird bei uns nicht vor Mai beginnen. Die aktuelle Pandemie zwingt uns dazu.

Meine Frau und ich werden unseren Aufenthalt im Harz auf unbestimmte Zeit verlängern. Goslar bietet ihr zwar keine große Unterhaltung mehr, doch ich tue das.

--

"Wörter aus Werg" - Kollege Auchjauches neuer Gedichtband eingetroffen.

--

Siegmar Döpps Aufsatz über ein Fragment:

Ein lateinisches Gedicht von 1658 über eine Pestepidemie in Neustettin

(DAPHNIS Band 43 Ausgabe 1) schickt mir unkommentiert und unaufgefordert ein Spaßvogel in die Semesterferien per Briefpost nach. Soll ich das Bruchstück etwa rekonstruieren? Was will der Absender von mir?

12. März

Meine Frau liest den Gedichtband "Nachthimmel mit Austrittswunden" des jungen Amerikaners Ocean Vuong in der eben erschienenen deutschen Übersetzung Anne-Kristin Mittags, Hanser Verlag 2020.

Die Widmung des Bandes bewegt mich: "für meine Mutter (& meinen Vater)"

11. März

Doch uns ist gegeben,

Auf keiner Stätte zu ruhn,

Es schwinden, es fallen

Die leidenden Menschen

Blindlings von einer

Stunde zur andern,

Wie Wasser von Klippe

Zu Klippe geworfen,

Jahr lang ins Ungewisse hinab.

10. März

"Weil selbst in seinen Irrtümern Funken leidenschaftlicher Menschenliebe blitzen, weil selbst seine Schwächen eine gewisse Herzensgüte zeigen."

N. Karamsin (Was braucht ein Autor? dt. Reclam Stuttgart, 1982 - Die arme Lisa - S. 47) über Rousseau.

--

Rückkehr nach Goslar.

9. März

Das soziologische Geplapper dieser Tage - "Wir müssen zu einem Wir werden" Interview mit den Soziologen Jutta Allmendinger und Jan Wetzel, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung 8. März 2020 - plappert einmal mehr dem schlechten Allgemeinen hinterher, indem es Vertrauen begrifflich zu bestimmen sucht.

Hatte Niklas Luhmann noch soziologische Aufklärung diesseits Kritischer Theorie im Sinn (N. Luhmann: Vertrauen. Ein Mechanismus der Reduktion sozialer Komplexität. 1968), so scheint es den heutigen Geschäftsträgern soziologischen Denkens nur noch um Mobilmachung zumutbarer Debilität zu gehen.

7. März

Heiner Müller erscheint mir in der vergangenen Nacht im Traum.

Der alte Bescheidwisser vom Friedrichsfelder Tierpark spart sich seine üblichen Beleidigungen und kommt in Sachen Corona-Virus (darunter macht er's selbst im Jenseits nicht) sofort zur Sache:

"In Wuhan fand ein Erdebeben statt, das biologische Kampfstoffe freisetzte, den Corona-Virus, Tschernobyl auf Chinesisch, Holunder! Auf Chinesisch!!

Bald werden es alle wissen. Hätte ein Theaterstück draus gemacht - CHINAREAKTOR -, Premiere am Schiffbauerdamm und in New York, vor totem Publikum, endlich vor meinem Lieblingspublikum!"

--

Aus Salzburg hübscher Aufsatz von Margot Neger eingetroffen (Epigramme im Narrativen Kontext. Das Handtuch des Philomatius bei Sidonius, Epist. 5,17. erscheint in: Rheinisches Museum Band 162 Heft 3/4 2019).

Schalte ja selbst in meine Fließtexte immerfort gebundene Rede ein und kann daher die Pointe der verdienstvollen Arbeit Frau Negers gut verstehen.

6. März

Neuerscheinung flattert rein: Dietrich Schotte: Was ist Gewalt? Philosophische Untersuchung zu einem umstrittenen Begriff. (Frankfurt, 2020).

Solche Produktionen, die der akademische Betrieb alle Tage in unschöner Regelmäßigkeit auswirft, nenne ich bekanntlich Pseudo-Lyssenkoismus.

In diesem Fall ist insbesondere an die Schrift Suicide Attack. Zur Kritik der politischen Gewalt von G. Scheit aus dem Jahr 2004 zu erinnern, in deren Licht Schottes Schrott unrühmlich in extremis erscheint.

--

Aus Salzburg hübscher Aufsatz von Margot Neger eingetroffen (Epigramme im narrativen Kontext. Rheinisches Museum Band 162 Heft 3/4 2019).

Schalte ja selbst in meine Fließtexte immer wieder gebundene Rede ein (s.u.) und verstehe daher die Pointe Frau Negers nur zu gut.

5. März

Braunlage wirkt, Bad Harzburg ähnlich, wie eine schlecht verzauberte Kurstadt. Eine annähernd menschenwürdige Barkultur fand ich bis dato nicht vor.

--

Band 50 der Augustinus-Ausgabe (2019) enthält die Lügenschriften (De mendacio usw.). Werde mich kurz halten unter dem Vortragstitel "Die Dichter lügen schlechter": Rudolf von Ems als Epigone.

4. März

Für drei Tage nach Braunlage. Habe mich doch zu einer Kurzkonferenz über Rudolf von Ems dortselbst überreden lassen. (Pack den Lexer ein!)

--

„Marion Poschmann ist die Lyrikerin der ins Unbestimmte weisenden Leerstelle.“ So mitstimmend der Schmock Christian Metz in der FAZ-Rezension zweier Gedichtbände -

von Nadja Küchenmeister und Marion Poschmann - (FAZ 4. März 2020).

https://sites.google.com/site/universitaetbockwurst/grussadressen/preise-runter-sale

Einem so temperierten Schachtmeister poetische Webfehlertums kann man nur in sein Poesiealbum schreiben: „Chrstian Metz ist der Lautsprecher der ins Morsche weisenden Holzwürmerei.“

3. März

Moritz Schlick wurde am 22. Juni 1936 von einem seiner ehemaligen Studenten in der Wiener Universität erschossen. argumentum ad mortem.

--

Statt neue Erkenntnisse zu produzieren, wären alte Irrtümer "abzuhalten" (mit Kant zu reden).

1. März

Über den olympischen Bock Goethe hatte uns seinerzeit Kurt R. Eissler in seiner psychoanalytischen Studie (dt. in zwei Bänden 1986)) eingehend unterrichtet. (S. vor allem Band 2).

Aktuell liefert Barbara N. Nagel aus Princeton in einem Beitrag in Critical Inquiry (Winter 2020) neuen Nachschub ins Souterrain der Goetheforschung:

"There is no author in German literature whose sexual life ha been subject to as much obsession as that of Johann Wolfgang von Goethe." (ibid. S.306)

--

Denk ich an Goslar in der Nacht,

bin ich um den Durst gebracht.

--

Café Grabbe

[…]

Er starb an sich selbst.

Einmal machten ihn die Spießer besoffen

und er las ihnen auf der Straße

aus der Hermannschlacht vor.

Sie pfiffen ihn aus, brüllten

vor Lachen und bewarfen ihn

mit Kot.

Schließlich krepierte er. […] Sechzehn Personen

gaben ihm das Geleit, ihm,

der Tausenden eine Rolle

geschrieben hatte.

Es war September 1836, und die

westfälische Erde war weich

vom Regen, […]

O Deutschland. Ach, Deutschland.

Ich lege den Kopf an die warme Erde,

aber Grabbes Herz schlägt nicht mehr.

Jörg Fauser

29. Februar

Schalttag.

--

Die Sterne sind verglommen! Was liegt daran?

Zerreiß' des Märchens Faden, wird schöner nur

Er wieder aufgenommen, was liegt daran?

Friedrich Halm, Gedichte . 1850 S.136

--

Traum des überdrüssigen Gatten

Dass über ein Wasser ein Mädchen käme

und mich bei meinen Händen nähme,

Und mir in die Ohren ein Wort sagte,

Auf dass mich hinfort rein nichts mehr plagte,

Und mir auf die Lippen ein Siegel täte,

Dass ich ihr gehörte, und nicht meiner Grete.

28. Februar

Seitdem die Dichter nicht mehr lügen können, ist es um die Dichtung schlecht bestellt.

--

London Review of Books fragt:

The polar icecaps are melting. Is it OK to have a child? Australia is on fire. Is it OK to have a child? My house is flooded, my crops have failed, my community is fleeing. Is it OK to have a child?

--

In ein freundliches Städtchen tret' ich ein - Goslar eine Wohltat. Habe alle Einladungen ausgeschlagen und setze mich lieber mit Weib und mir ins Benehmen. - Durchsicht der Bergwerke und Wasserregale.

26. Februar

Auferlegte Wasserkur.

24. Februar

Harzer Paradoxographien: Single-Malt-Tasting in Zorge.

--

"Vier Beine gut, zwei Beine schlecht" von Mira Landwehr 2019. (Tierliebe ist Menschenverachtung HED)

22. Februar

Aufstieg zum Brocken. Das Erlebnis säkularisierter Natur ernüchternd.

Beim Brockenwirt zufälliges Zusammentreffen mit Göttinger Kollegen. Austausch der üblichen Klagen über die Zeitläufte, miese Arbeitsbedingungen und Frauenfeindlichkeit.

War heilfroh, als die Brockenbahn Richtung Schierke abfuhr. "Dafür hast du Arschloch Geld?", rief man mir freundlich nach.

--

Der Überhaupt

Er gleicht dem unerhört Gescheiten,

den seine Dünkel stets begleiten,

der Butter, die vom Brote träumt,

und niemals ein Jawoll versäumt,

er ist ein Haar von jenem Haar,

das anfangs Strähne war,

der, der dir das Haar aus deiner Suppe klaubt,

das ist das Arschloch Überhaupt.

21. Februar

Schnappte am Abend in einem Bierlokal Parolen zechender Primaner auf, "Abi kaufen, weitersaufen!" etc.

Nach einem Einspruch meinerseits erhielt ich den Bescheid, ich sei ja wohl auch kein Kind von Traurigkeit und saufe wie ein Loch.

Quod licet Jovi, non licet bovi erwiderte ich und lud die wohlhabenden Jung-Narren ein, einen Blutwurz mit mir zu trinken.

--

Karnevalskostüm gekauft; Gattin unleidlich, Erkältung, Migräne.

Gehe allein als Oberarzt oder Nase verkleidet zum Helau-Trubel.

19. Februar

In der FAZ Nachruf auf den verstorbenen Kollegen Halfwassen.

Da möchte man eher nicht tot sein, als so einen deplorablen Nachruf verpasst zu bekommen.

--

Klinische Scheidung (Aus meiner Harzreise)

Dumm, wer jeden Zwist vermeidet,

er sieht sich schneller ausgeweidet,

wie zum Beispiel dieser hier,

ich werf' es schnell euch aufs Papier:

Kaum war er von ihr entmachtet,

erfährt er sich als ausgeschlachtet,

erfährt er sich als fremdes Tier,

das traulich ist, nur nicht bei ihr,

wo einst er seine Rute spannte,

die sie wie keine andre kannte:

wo einst er wohlgelitten schalten,

walten und gestalten

konnte , ohn' Arg und Neid zu zeugen

und ohne sich dem Zwang zu beugen,

einzugesteh'n, wes Geistes Kind er sei.

Damit wars nun vollends vorbei.

--

Empfang im Rathaus mit Entenbrust und Rotkohl.

17. Februar 2020

Angenehmes Eintreffen, Champagnercocktails und Seezunge. Fühlte mich wie der König von Scheschian.

--

Junge Hure, alte Betschwester im Barock:

Eines geilen Weibes

Hier liegt ein höfliches, doch geiles Weib begraben.

Wünscht ihr nicht, daß sie Ruh mög' in der Erden haben;

Sie hat dem Himmel selbst zu gleichen sich geübt

Und nichts als stetige Bewegung mehr geliebt.

Martin Opitz

--

Die tiefe Kluft, der verbindende Abgrund zwischen uns, der unbestirnte Himmel über uns, das Blatt Papier, das nicht zwischen uns passt: meine Ehe.

--

Ein junger Mann aus Stambul klagte

Im Selbstgespräch über seine Nudel, als er sagte:

"Ich bin starr. Du hast mich all mein Geld gekostet.,

Durch dich ist meine Gesundheit verrostet,

Und jetzt willst du nicht Pipi machen, du alter Narr."

(Kurt Vonnegut, Schlachthaus 5 oder Der Kinderkreuzzug)

--

Morgen wollen wir nach Clausthal wandern und schöpfen Kraft an der Kaiserpfalz.

------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------

"Ich ging ohne Wärme, bloß aus Neugierde."

Varnhagen von Ense, Zu Jean Paul's Briefwechsel mit seinem Freunde Christian Otto

Ab dem 17. Februar 2020 befindet sich der Rektor der Universität Bockwurst, Prof. Robert Holunder, im Urlaub.

In diesem Frühjahr führt seine Gattin und ihn der Weg zur Erholung in den Harz.

Von dort aus wird er seiner Leserschaft mit Memorabilien und Bänkeleien

hoffentlich nicht zu nahe treten.

Universität Bockwurst, Pressestelle 8. Februar 2020 (zu/555/8')