Lanzenbruch für Scheidungsopfer / Kolossale Nichtigkeit für Schwiegermütter u. ä.
„Willst Du Ehe, musst du Beine öffnen.
Willst du Scheidung, musst du Mund öffnen.“
Polnisches Sprichwort
„Es gehört freilich eine gute Beurteilungskraft dazu, dass man nicht böhmische Steine für Diamanten hält.“
Christian Fürchtegott Gellert, Gedanken von einem guten deutschen Briefe
Um das Inventar der Ehekomödie ist es schlecht bestellt. In ihr lässt sich so leicht keiner und keine mehr verlachen, auch nur hassen. Selbst der ernste Ernst der Schwiegermutter, einst epidemisch, ist zum ungeschriebenem Gesetz geworden.
Trotzdem ist die Chose zum Lachen.
Nehmen wir mich: Ich habe keine Schwiegermutter, aber liebe sie. Sie will das Beste für Barby und Ken, schiebt Kohle auf ihr und sein Konto, geht manchmal ans Telefon und betet zu ihren verstorbenem Jugendfreund, der sie unter wohltätigen Schmerzen entjungfert hatte, skrupulös versteht sich, und den sie längst vergessen hätte, wäre sie nicht Schwiegermutter geworden, im Ersatzbindungsheim für alle, die wir eben da sind.
Werden Scheidungstöchter Scheidungsmütter, was dann?
Jedenfalls vergessen sie schnell, und das nehmen sie ungern zurück .
Die Ehe ist, trotz ihres schlechten Rufs, Zusammenraufmodell geblieben. Außer Abneigung, Wut und Ersatzmorde produziert sie langfristig nur schlechte Gewohnheiten.
Nach der Scheidung drohen Traumasyndrome, die vor etwa einer Generation auf Frauenseite durch die Lektüre der seinerzeit hoch favorisierten Vagina- Monologe zu kompensieren versucht wurden.
Gegenwärtig wird jedoch Ehescheidung als bewusstseinerweiternd erfahren und gilt wieder zunehmend als Ausweis emanzipierten Bewusstseins, insbesondere unter verbliebenen Bevölkerungsteilen mit ausreichenden Monatseinkommen für Privatleben und verwandte Tics.
Die bürgerliche Ehe ist allenfalls Vergangenheit. Prinzipiell ist heute Scheidung Zweck der Heirat. Weil die meisten Menschen sehr gut wissen, dass es sich gar nicht lohnt, mit ihnen mehr Zeit als nötig zu verbringen, heiraten sie immer noch. Das gegenseitige, augenzwinkernde Einverständnis besiegelt die kumpanenhafte Abmachung, die einen gewissen, kollaborierenden Ruch oft niemals ganz los wird.
Nach der Scheidung wirken viele Entspannenden und Entspannten ähnlich, von deren Schultern eine Last gefallen ist. Die kleinen Dinge des Lebens gewinnen plötzlich wieder an Bedeutung, vergessene Filme werden erinnert, David Niven aufs neue geadelt, der Sexus ins Recht gesetzt.
Noras Puppenheim ist abgebrannt, der Hafen der Ehe gebrandschatzt. Aber ein Ausweg ist dann keine Einbahnstrasse, wenn man zu früh, d.h. früh genug weiß, dass eine schlechte Lösung gar keine ist,.
Literatur: S. Wellgraf, „Schwiegermütter“ (oder „Hauptschüler“? Verf.). Zur
gesellschaftlichen Produktion von Verachtung. Bielefeld, 2012
Ralf Frodermann XII 2012