Ars moriendi, SIX FEET UNDER und der Ekel vorm Aas (zuerst gekürzt erschienen in jungle world 22.12.2011)
Die Transcendentalisierung des Todes bleibt, neben dem biochemischen Manhattan- Programm seiner Abschaffung (noch vor der Abschaffung des Hungers!) und dem Alter als seinem Halo- Effekt und Quartiermeister, Teil eines aus immer noch verständlichen Gründen wenig öffentlichkeitswirksamen Diskurses über den Tod des Menschen.
In das Prokrustebett der Spektakelgesellschaft ist ein Todesnarrativ eingelassen, das sich über die Bedingungen der Möglichkeit des Sterbens im post mortem- Zirkus ebenso auslässt wie übers nach wie vor heillose, praktische Verrecken selbst. Den Lesenden unter den Sterbenden empfehlen sich thanatologische Reflexionen von Heideggers SEIN UND ZEIT, über die Kritische Theorie als Vanitasmotiv bis zum Vorübergehen der Ewigkeit bei Proust, Joyce, Nabokov und Borges.
Serienjunkies mit Interesse für Endlichkeitsbewältigungsstrategien unendlichen Bewusstseins schwören auf SIX FEET UNDER, der medialen Wiedergeburt der lukianschen TOTENGESPRÄCHE, ebenso unterhaltsam, belehrend und kathartisch. Dadurch allerdings, dass der Tod in diesem Kontext vertraut und bekannt ist wie ein bunter Hund, ist er noch nicht erkannt. Als negatives Hypokeimenon steht er so fest und gerade und im Hintergrund, blut- und glutvoll rauschend wie der Mond am Firmament oder weise Axiome u. ä.
Das Leben ist die virtuelle Abschaffung des Todes; es selbst gilt nur als quasi unendlich währendes. Tod ist nicht alltäglicher Alltagstod, seine Autorität nährt gleichermaßen Dumme wie Weise, TV- Abhängige wie Internetverweigerer, working poor wie wohlhabende Klassenbewusste. Nährt diese und andere mit Angst, Gesprächsstoff, Demut und klammen Hoffnungen. Immerzu geht’s mit dem Tod über alle Köpfe! Dem einen genügt der Bierdeckel als Epitaph, dem anderen reicht kaum die alexandrinische Bibliothek. Solche Geister scheiden sich daran, ob die Schöpfung in toto ein Unfall sei oder nur der Tod einer der Schöpfung. Ihr je eigener ist der einzige Film, in dem sie einen Cameo- Auftritt haben werden.
„Taedium vitae“ übersetzen junge Amokläufer in Deutschland heute mit S. A. A. R. T.: Schule, Ausbildung, Arbeit, Rente, Tod, nehmen Anstoß daran, überspringen die ersten vier Module des Schreckens, um sich gleich dem erlösenden Abgrund des letzten zu überantworten. Das präformierte Leben, die Aussicht auf kein anderes, widert sie an wie es die Generationen vor ihnen anwiderte. Hoffnung und Zukunft sind ihnen keine kalkulierbaren Ressourcen mehr; die Prozessordnung des Lebens erkennen sie nicht an, sondern richten sich, ehe sie gerichtet werden können. Religion, auch die des Kapitalismus, taugt ihnen nicht mehr zum Sedativ, denn sie ahnen, dass Frömmigkeit heute nur noch Blasphemie sein kann. Todesjünger, Gassenengel, die sie sind, erzwingen sie die Parusie des Todes in der Gosse.
Sterbenswörter, phonetisch (Coda)
„Krepieren“, „verrecken“, „abkratzen“- die onomatopoetische Glasur dieser Verben verheißt bereits Ungutes, Beschämendes. Sie klingen ohrenbetäubend ihrer Rohheit wegen, als enthielten sie noch vorsprachliche Fermente oder Splitter aus weniger semantisierten Zeitläuften. Könnten sie duften, verbreiteten solch nekrophile Worte ein Odeur von Aas. Der memento mori- Charakter der Sprache ist im rohen Sprechen vom Tod kassiert.
RF XI 2011