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28. Dezember

Geht unsereins ans Entsaften seiner Lesefrüchte. nennt er's Studien. Dieser Tage kommen uns jene des Bielefelder Philologen Braungart unter die Finger - Literatur und Religion in der Moderne. Studien. München, 2016. Da treten einem unversehens wieder allerlei Betschwestern von Getrud von Helfta bis Ruth Schaumann vors innere Auge und Braungarts blümeranter Pietistenton macht einen ganz faselsüchtig: "Insofern ist Aufmerksamkeit für das alltägliche Leben gefordert; man muss es würdigen und anerkennen, weil sich genau dort das 'Wunder' des Menschlichen ereignet." (ibid. S. 61)

Ab Seite 485 erfährt Uwe Kolbes Gedicht Eisvogel eine hermeutische Massage, doch die Parodie des Kolbe-Textes durch unseren Pedell Frodermann ist auch nicht ohne:

Kackvogel

Fast kannst du sagen, dass er's wirklich war,

umwölkt die Stirn inmitten von Gewieher,

als sei es der Gerichtsvollzieher.

Da du ihn sahst, dünkt dich die Pleite nah.

usw.usw.

Nachtessen mit Professor Spalanzani.

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27. Dezember

Stolbergs Wahl meiner künftigen Gattin und ihrer Eigenschaften präludiert hier:

(Aus Wittenwilers Ring)

Sie war vollkommen – nämlich vollkommen lahm – und sie hinkte,

ihre Zähne und Händchen waren kohlschwarz

und ihr Mündlein war so rot wie der Sand am Meer.

Ihr Zopf war wie ein Mausschwanz

und an ihrer Kehle hing ein Kropf,

der bis zum Bauch hinunterschlotterte.

Hört nun, liebe Freunde,

wie ihr Rücken herausgeschossen war:

man hätte eine Glocke darüber gießen können!

Ihre Füßlein waren dick und breit,

so daß kein Wind ihr wehtun konnte,

indem er sie etwa umwarf,

wenn sie sich nur dagegen stemmen wollte.

Ihre Wänglein waren so rosenfaben wie Asche

und ihre Brüstlein so klein wie Packtaschen.

Ihre Augen leuchteten wie der Nebel

und ihr Atem duftete wie Schwefel.

Das Kleidchen hing an ihr,

als sei ihr die Seele entflogen.

Benehmen konnte sie sich so schön,

als ob sie drei Jahre alt wäre!

Offene Fragen, offen geblieben:

Warum zieht ein Mann von Geist die Straßendirnen den Frauen von Welt vor, obwohl beide gleich dumm sind? - Zu untersuchen. (Baudelaire)

26. Dezember

Mit Weihnachten ist die Lüge so unverbrüchlich verwoben wie die Lüge mit Weihnachten:

nichts ist schöner, als das Fließen von materiellen Gütern und gleichzeitig von Güte zu spüren, die jeder für den anderen übrig hat..

Italo Calvino, Die Kinder des Weihnachtsmanns

Die Insolenz, mit der sich darüber hinweg gesetzt wird, bleibt mit jedes Jahr bemerkenswert.

Ginge es einmal darum, den schönsten Untertitel zu wählen, fiele meine Wahl auf: "Zur Produktion von Wissen in der Vorform des Scheiterns". (M. Krajewski, Hrsg.: Projektemacher. 2004).

25. Dezember

Festlicher Abend im Vendramin Calergi.

Die Sonne steigt herauf, Autoren gehn zu Bette;

Rot glänzt am Horizont - und auf der Toilette;

(Johann Daniel Falk, Die Lausiade, nach Peter Pindar)

22. Dezember

Unter den gelehrten Plagiatoren nimmt der Mediävist Martin F. W. Stone eine Führungspostion ein. Im Bulletin de Philosophie Medievale Vol. 51 2009 sind vierzig Fälle akribisch dokumentiert. Nach 39 Martinis (!) gaben wir anderen, weniger namhaften Plagiatoren, die wir uns auf dem Lido zu einer Art weihnachtlichen Tagung versammelt hatten, ihm den Lorbeerkranz. Mitleid kommt nicht in Frage, Humor ist, nach Freud, Gefühlsersatz. -

O wüsstet ihr wie ich euch alle ein wenig verachte! Stefan George, Der Täter.

nota bene:

Das sechzehende Capitel. Daß die Bücher kein Wesen im Menschen machen noch wircken/ sondern nur zum Bewehr/ Kundschafft vnd Zeugnis gebraucht sollen werden. Valentin Weigel, Der güldene Griff alle Dinge ohne Irrtumb zu erkennen. (1613)

20. Dezember

Die meisten alten Leute haben jüngeren gegenüber etwas Täuschendes, etwas Lügnerisches in ihrem Wesen, man lebt ruhig neben ihnen fort, glaubt das Verhältnis gesichert, kennt die vorherrschenden Meinungen, bekommt fortwährend Bestätigungen des Friedens, hält alles für selbstverständlich und plötzlich, wenn sich doch etwas Entscheidendes ereignet und die so lange vorbereitete Ruhe wirken sollte, erheben sich diese alten Leute wie Fremde, haben tiefere, stärkere Meinungen, entfalten förmlich jetzt erst ihre Fahne und man liest darauf mit Schrecken den neuen Spruch. (Kafka, Der Dorfschulllehrer)

Gestern Abend lange in Harry's Bar. Jemand sprach mich in einer mir ganz fremden Sprache an, richtete eine Frage an micht, so viel gab die Melodie seiner Stimmer her, ich verstand nur: War Kant der James Cook der Philosophie? - Misheard drinking!

18. Dezember

wenn ruderfüßig Nachen mitten auf dem Fluss

im Wettstreit messen sich

Zwei Verse aus Ausonius' Mosella in der Übertragung des unschätzbaren Dr. Johnson von der Mosel - des Trierer Altphilogen Paul Dräger (Decimus Magnus Ausonius, Sämtliche Werke Band II: Trierer Werke. Zweite, erweiterte und überarbeitete Auflage. Trier, 2016) - sollen Motto unseres weihnachtlichen Aufenthalts in der Lagunenstadt sein.

Im Literaturverzeichnis seiner schönen Ausonius-Ausgabe übrigens bügelt Dr. Dräger seinen Kollegen Gruber und dessen Bemühungen um Ausonius' Mosella nüchtern glatt, z. Bsp. auf Seite 814, über Grubers Edition der spätlateinischen Flussepik: pseudokritisch, d. h. ohne Hss.-Einsicht Vorgänger kompilierend; ohne ausreichende Kenntnis der lateinischen Grammatik; inhaltlich plagiierend und unehrlich.

Unwillkürlich denke ich an Clint Eastwood in Sergio Leones Dollar-Trilogie und an Michele Placido und die ersten vier Teile der Spielfilmreihe Allein gegen die Mafia. -

Mein Frau geriet gleich nach unserer Ankunft im Hotel ins Schwärmen über das Blumenbukett und den Champagner in unserem Salon.

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Prof. Bobby Holunder - Rektor der Universität Bockwurst - wird die Weihnachtsferien in Venedig (Hotel Danieli) an der Seite seiner Gattin ("mein vetrautes Weib" Holunder) verbringen.

Seine Tagebuchnotizen werden an dieser Stelle ab dem 20. Dezember erscheinen.

Prof. Holunder bat uns um den Abdruck nachfolgender Vorbemerkung:

"Man hat mir aufgetragen, in dieses heilige Amphitheater hinaufzukommen, um hier die Figuren einzuführen, die gleich erscheinen werden mit all ihrem Beiwerk.

Diese Worte aus Gil Vicentes Weihnachtsstück Auto da Mofina Mendes mögen unseren weihnachtlichen Notizen als Motto vorangeschaltet werden.

Wir entnehmen die Übersetzung einem schönen Beitrag des Münsteraner Romanisten Tobias Leuker zu Vicente. (Romanistische Zeitschrift für Literaturgeschichte 40. Jahrgang Heft 1-4 2016 S. 476. Fußnote 23)"

Universität Bockwurst Pressestelle Drucksache 33346/hg/8 9. Dezember 2016