"Gebildeter Antisemitismus" 2015

Konsens Judenhass und medialer Antisemitimus:

Über

Monika Schwarz-Friesel (Hrsg.):

Gebildeter Antisemitismus. Eine Herausforderung für Politik und Zivilgesellschaft.

(Interdisziplinäre Antisemitismusforschung Band 6). Baden Baden, 2015.

Antisemitismusforschung gehört heute zum akademischen Routinebetrieb. Ihr Irrationales und eigentümlich Unwirkliches scheint daher zu rühren, dass der Antisemitismus seine Erforschung überlebt hat, kann doch dieser spätestens mit von Kritischer Theorie (s. »Elemente des Antisemitismus« in der Dialektik der Aufklärung Horkheimers und Adornos) inspirierten Arbeiten weitestgehend als erforscht gelten (vgl. Arbeitskreis Kritik des deutschen Antisemismus (Hg.): Antisemitismus – die deutsche Normalität. Geschichte und Wirkungsweise des Vernichtungswahns. Freiburg i. Br., 2001 / 1. unveränderter Nachdruck 2006).

Die deutsche Amalgamierung zwischen Elite und Mob fand im »eliminatorischen Antisemitismus« (D. J. Goldhagen) der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft ihren obszönsten Ausdruck:

An allem sind die Juden schuld!

Die Juden sind an allem schuld!

Wieso, warum sind sie dran schuld?

Kind, das verstehst du nicht, sie sind dran schuld.

Und Sie mich auch! Sie sind dran schuld!

Die Juden sind, sie sind und sind dran schuld!

Und glaubst du’s nicht, sind sie dran schuld,

an allem, allem sind die Juden schuld!

Ach so!

(Friedrich Hollaender)

Gebildete Antisemtismusforscher forschen zum »Gebildeten Antisemitismus«; vermutlich auch in der Hoffnung, wenigstens die Gebildeten unter ihren Kollegen und allen übrigen Verächtern des Staates Israel erreichen zu können – bildungsferne Antisemiten sind für alle diesbezügliche Aufklärung bekanntlich a limine verloren.

Die Herausgeberin Monika Schwarz-Friesel eröffnet den Sammelband mit einem Überblick zur historischen Kontinuität des »gebildeten Antisemitimus«. Ihr Fazit formuliert bereits der Titel ihres ersten Beitrags: »Semper idem cum mutatione«. Gebildete vermuten Gebildete gern in Redaktionsstuben und so verwundert es nicht, dass nicht wenige Beiträge des Bandes sich der Kommentarspalten des Guardian und der ZEIT (Matthias Jakob Becker), der TAZ und des Neuen Deutschland (Linda Giesel), der einseitig kritischen Nahost-Berichterstattung ('De-Realisierung') in der deutschen Qualitätspresse (Robert Beyer, Hagen Troschke ) sowie der notorischen Einlassungen Jakob Augsteins (Matthias Küntzel) annehmen. Evyatar Friesel schreibt über Jüdische Akademiker gegen Israel, Günther Jikeli referiert über muslimischen Antisemtismus, obgleich der auch unter Wohlmeinenden kaum als »gebildet« wird firmieren können (Jikeli räumt das – unfreiwillig komisch – selbst ein: »Es sollte jedoch erwähnt werden, dass, auch wenn der Prozentsatz muslimischer Täter von gewaltsamen antisemtischen Übergriffen überproportional hoch ist, dieser unterdurchschnittlich niedrig ist für andere Formen von Antisemitismus, wie beispielsweise Drohungen in schriftlicher Form.« S. 196). Schließlich dechiffriert Lars Rensmann Zion als Chiffre, indem er Altbekanntes ratifiziert: »Er [sc. der gebildete Antisemitismus, RF] wähnt sich immer vom Antisemitimus frei. Das macht ihn nicht weniger gefährlich.« S. 111). Samuel Salzborn liefert ein knappes Exerzitium zu den strukturellen Kontextbedingungen der Entstehung und Bekämpfung von Antisemitismus und differenziert sich in der Frage, ob es sich beim Antisemitimus um ein Vorurteil oder eine Weltanschauung handele, um Kopf und Kragen (S. 187).

Der den Band abschließende zweite Beitrag der Herausgeberin Schwarz-Friesel schließt mit dem üblichen Appell ans »Zu-denken-Geben« im gefällig-verunglückten Salbaderjargon der Bedenkenträgerin: »Dass eine große Schnittstelle besteht zwischen den Sprachgebrauchsmustern, Argumenten [sic!] und Strategien von Antisemiten und Personen, die ein emotional fußendes [sic!] Wahrnehmungs- und Akzeptanzproblem mit der Realität des aktuellen Antisemitismus haben, sollte Politik und Zivilgesellschaft zu denken geben.« (S.308) – Manchmal fragt man sich gelegentlich solcher Äußerungen, wie lange derartige Aufklärer noch »principiis obsta!« ausrufen wollen.

Nichts Neues mithin aus den akademischen Bastionen relativ kritikloser Feindaufklärung. Am wirkunsgvollsten gegen wirksamen Antisemitismus und seine indifferente Erforschung orthodox-akademischer wie kritischer Provenienz bleiben bis auf weiteres leider nicht die Professoren Bernhardi und Mamlock e tutti quanti, sondern Baseballschläger (Woody Allen) bzw. IDF (Staat Israel).

Nachsatz: Dass einem wissenschaftlichen Reader eine Widmung vorangestellt ist – Für Marie-Luise – befremdet.

Ralf Frodermann 19. Juni 2015