Marginalien zu TV-Serien / with Paragon University and Quirn University // Collectaneen

Zu Lucifer

Nichts Abgeschmackters find ich auf der Welt

Als einen Teufel, der verzweifelt.

Mephisto

Ralf Frodermann Februar 2018

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Es ist eins der schädlichsten Vorurtheile, wenn man glaubt, ohne die Hülfe anderer Kenntnisse sich sofort an die Philosophie machen zu können, als welche durch bloßes Nachdenken wie aus den Fingern gesogen werde.

Heinrich Ritter, Über das Verhältnis der Philosophie zum wissenschaftliche Leben überhaupt.

Berlin, 1835 S.14

Groteske Familienbande

Alles Vollkommene, lautet ein dialektisches Ondit, weist über sich hinaus. In der belgischen Serie CLAN geschieht dies mittels Filmzitaten.

In der zehnten und letzten Folge etwa wird beziehungsreich auf Karel Reisz' Film ISADORA von 1968 angespielt, von dem die CLAN-Protagonistin Goedele zum fast perfekten Mord an ihrem Gatten und der Zuschauer zur Bewunderung inspiriert wird und sich fragen mag, ob auch die vollkommene Kopie des Vollkommenen (CLAN) über das Vollkommene (Ingmar Bergmans Szenen einer Ehe) hinausweist.

Ralf Frodermann Januar 2017

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de vita beata / Ἀνάγκη

Dass ohne Tugend kein Glück sei, ist ein kanonisches Motiv moralphilosophischen Denkens seit Platon.

Die italienische Serie Gomorrha beweist den unbeweisbaren Befund e contrario, indem es plausibel den Weg zum Unglück und die Sehnsucht nach ihm aufweist.

Ralf Frodermann Dezember 2016

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Entenhausen liegt am Meer:

Royal Pains

Dr. Lawson ist nicht Dr. House. In den Hamptons auf Long Island, woselbst Hank Lawson ordiniert, liest niemand Martin Caparros Studie Der Hunger (spanisches Orig. 2014).

Alle sind an Orgasmumaschinen angeschlossen und orgasmieren ununterbrochen, wenigsten im Bonus-Material

Alle Friedhöfe sind pleite gegangen, der Tod ist fortgezogen. In der rechten sah Hank seine Sense, in der linken trug er eine Ausgabe der Zeitschrift für Sozialreform (Band 62 Heft 3 September 2016). Der dort abgedruckte Beitrag "Armenbestattungen" im modernen Sozialstaat mag ihn gefesselt haben.

Dr. Lawson blinzelte ihm zum Abschied sein Schwiegermutterlieblingslächeln zu.

Ralf Frodermann November 2016

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Der Böse wohnt ja oft recht merkwürdig.

Prentice Mulford (Die ziehende Kraft des Gemüts)

Ferozität, unwirksam

Die britische Serie UTOPIA wurde nach 2 Staffeln eingestellt.

Vermutlich hatte man bemerkt, das die Inkongruenz von Form und Inhalt dazu geführt hatte, statt dystopishscher Atmosphäre, beim Zuschauer Erinnerungen an die TKKG-Bande oder Enid Blytons 5 Freunde wach zu rufen.

Ralf Frodermann November 2016

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Aleatorik / inhibierte Widersprüche

während sich in dortmund bulgarische

nutten für 5€ pro mann blasend

integrieren, operiert elena meilicke

in MERKUR (10/ 2016 Frauen, Serien,

Postpatriachales Fernsehen aus

den USA) ideologisches bindegewebe

Ralf Frodermann Oktober 2016

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Der post-hippokratische Arzt

Für seine Diskurshoheit, Dr. Gregory House (Nachnamensvetter einer der Lieblingsärzte des legendären Howard Hughes), existiert aus medizin-ethischer Sicht ein Korrelat zum platonischen Euthyphron-Dilemma.

Es lautet: Die Gesundheit ist der Güter höchstes nicht.

Ralf Frodermann Juni 2016

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Ruinen zu fassen, dazu und zu nichts anderem sind unsere Begriffe bestimmt.

Clemens Lugowski, Die Form der Individualität im Roman.

suhrkamp 1976 S. 179

Verkürzte Kritik, verpasste Meta-Kritik verkürzter Kritik:

Tom Holert. Deadwood. Zürich, Berlin, 2013

Rezension von Moritz Baßler in: Arbitrium April 2016

Ralf Frodermann Mai 2016

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Trauerarbeitslager

Einige Bemerkungen zur HBO-Serie The Leftovers

NB:

P. Donatelli: Perfectionist returns to the ordinary.

(in: Modern Language Notes Vol. 130 Number 5 December 2015)

Ralf Frodermann Mai 2016

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Glückseligkeit (felicitas) ist leichter erforscht als erworben. (Vgl. etwa S. Arends Aufsatz "Glückseligkeit an der Schwelle zur Aufklärung. Zur Kritik der Eudaimonie in Thomas Hobbes' Leviathan". in: Scientia Poetica. Band 19 Heft 1 November 2015 mit den geläufigen Depressionsstatistiken, den Profitmargen der Psychopharmakaindustrie, Suizidraten usw.)

Auch Grace und Frankie können in der gleichnamigen Comedyserie davon ein Morgenlied singen.

Die beiden reichlich alten Neurotikas - ihre Ehemänner haben sich in Folge 1 der ersten Staffel unisono als schwul geoutet, womit die Serie ihren dramaturgischen Treibstoff und Horizont erhält - möchten genesen.

Die Wunde heilt jedoch nur der Speer, der sie geschlagen, und sie müssten sich schon auf den Weg zu Michael Caine und Harvey Keitel in Sorrentinos Film Ewige Jugend (2015) machen, um Linderung ihrer Schmerzen zu erfahren.

Aber das ist ja nur Film, nicht TV-Wirklichkeit.

Ralf Frodermann März 2016

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Sex is a good replacement for tequila.

The Good Wife

Wie die junge Gans es in der Regel nicht schätzt, bloß als Bettfutter Wertschätzung zu erfahren, so tut sich die alternde Schachtel damit manchmal ungeniert schwer, als solches gar nicht nicht mehr gefragt zu sein.

Ab vierzig wird die Luft dünn; Vita Sackville-Wests Eine Frau von vierzig Jahren (dt. 1950) hat das den heute noch höher betagten Damen zu ihrer Zeit zu erläutern gesucht.

Die Serie Cougar Town-40 ist das neue 20 hat die gleiche Aufklärungsarbeit unter veränderten Umständen heute in sechs Staffeln zu leisten; im deutschen Serienzoo, nach den Quoten usw. zu urteilen, freilich genauso erfolglos: Altern ist, insbesondere unter Alternden, eine zu ernste Angelegenheit, um es einer Serienwahrheit, und nicht besser den Hautcremes zu überlassen.

Ralf Frodermann März 2016

Sandra White (1962-1989) in memoriam

Ich habe einmal gewagt, jemanden mit einigen Tausendern – 7000 oder mehr – zu fragen, warum er seinen Besitz nicht mit anderen teile oder genieße. Er antwortete: So wie ein jeder sich um die Teile seines Körpers kümmert, so muss sich jeder auch um den eigenen Besitz kümmern.Über diese Antwort des Mannes verägert, bin ich fortgegangen und habe, wie ich überlicherweise tat, ein Buch diktiert: 'Über die geizig Wohlhabenden' – ich habe es Dir geschickt.

Galen, Gelassenheit ( ed. Kai Brodersen Reclam Stuttgart 2016 S.27)

Bekanntlich sucht man im deutschen Fernsehen vergebens nach guten Serien.

1987 – 1991 wurde immerhin eine produziert, die sich in die zuständige Waagschale zu werfen lohnt: Löwengrube - Die Grandauers und ihre Zeit.

Ein filmisches Sittenbild deutscher Zustände in der ersten Hälte des vergangenen Jahrhunderts, in nuce gespiegelt als Chronik einer Münchner Familie.

Wie man in Deutschland seinerzeit aus Mitläufertum edle Einfalt, aus Mord stille Größe und aus Niedertracht a tempo Ambiguitätstoleranz machte, kann hier aufs Beste studiert werden.

Ralf Frodermann März 2016

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Manchmal vermögen Serienfolgen allein die Sucht des Serienjunkies nicht zu befrieden, er benötigt Brandbeschleuniger.

Mit Wayward Pines verhält es sich so. Um den Mysterxkrimi, den in lockerer Tradition von The Prisoner und Bunuels Der Würgeengel einzuorden vermutlich nur die halbe Wahrheit oder weniger wäre, dennoch genießen zu können, empfiehlt sich als begleitende Lektüre Wolfgang Pohrts Das allerletzte Gefecht. (2013)

Ob diese Rezeptur auch vice versa wirksam ist, entzieht sich unserer Kenntnis.

Ralf Frodermann II 2016

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Zur Psychopathologie des Serienjunkies gehört, dass er seine favorisierten Serien und Serienhelden nicht als Kitsch oder Camp versteht, sondern als eine Erweiterung seiner Realität, die noch unsterblicher ist als er selber, d.h. er ist doppelt unsterblich.

So nimmt er etwa nicht ohne Genugttung zur Kenntnis, wenn in Episode 19 der ersten Staffel der Serie Person of Interest - Flesh and Blood - wohlbekanntes SOPRANO-Personal wieder auftaucht.

Seine Welt und er sind so lange unsterblich, wie die verehrten Darsteller als Wiedergänger in möglichst n+1 - Serien fungieren. Tritt einer von ihnen aber vor ihm ab (Bsp. James Gandolfini), stirbt der Junkie einen nebensächlichen Digitaltod (virtuell).

Für die deutschen Synchronserienstimmen gilt analoges.

Ralf Frodermann II 2016

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Ein Titel muss, Lessing bekanntem Diktum zufolge, kein Küchenzettel sein.

Eine Poetologie der Episodentitel in TV-Serien wird dies um so eher berücksichtigen, als der Bezeihungsreichtum solcherart Titelgebung in aller Regel mit der Komplexität der Serienfolge selber auf eigene Weise korrespondiert, wobei im Titel sein Versprechenscharakter oft wundersam verkapselt scheint.

Ralf Frodermann II 2016

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True Detective bringt, jenseits von 'Wertschätzung', 'Achtsamkeit', 'innerer Kündigung', 'burn out' etc. pp., das Ethos einer Arbeit zur Geltung, die keiner Wertschöpfung oder Kaufkraftmehrung dient, sondern einzig dem Sittengesetz.

Einigermaßen unvorstellbar, dass mit gleichem Recht wie bei True Detective von True Philosopher, True Manager oder True Teacher usw. die Rede sein könnte.

Ralf Frodermann II 2016

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Wer kann die Pyramiden überstrahlen?

Den Kreml, Sanssouci, Versailles, den Tower?

Von allen Schlössern, Burgen, Kathedralen,

Der Erdenwunder schönstes war die Mauer.

Mit ihren schmucken Türmen, festen Toren,

ich glaub, ich hab mein Herz an sie verloren.

Peter Hacks

Es muss nicht immer Leberwurst sein / Derealisierende Serienkost aus Deutschland

Notizen zur RTL- Serie Deutschland 83

Das deutsche Fernsehen ringt um deutsche Geschichte und darum, endlich den Anschluss an amerikanisches Serien- TV nicht nur sehnend zu behaupten, sondern tatsächlich zu bekommen.

Die RTL- Serie Deutschland 83 - eine Art Prequel der genauso drög-deutschen Serie Weissensee - macht deutlich, wie aussichtslos dies Vorhaben ist.

Immerhin ist der gesamtdeutsche Heimatfilm endlich da, eine kolportierte Schmiere, die das Kino der post-/prae- faschistischen Schicksalsgemeinschaft Deutschland angemessen weiterfilmt.

Der öde Streifen aus der Nico-Hofmann-Manufaktur für filmische Biederwaren ist angestrengt darum bemüht - dem Zuschauer an jeder Stelle arg spürbar - ein Sittenbild des westdeutschen Überwachungsstaats und seines ostdeutschen Pendants vor dem Hintergrund eines Weltkrieg-III- Szenarios zu liefern.

Garniert mit allerlei DDR- und Verschwörungsklamauk, historischen Versatzstücken aus der Mottenkiste der 80er Jahre sowie der unvermeidlichen Dosis Liebe aus serieller Produktion, bietet das Hauptgericht im Zwielicht des Theaternebels , das man wohl für authentisches Kolorit halten soll, nur Affektkaskaden, Erbauungsdurchfall, Beethoven und Kioskapokalytik.

Hard-boiled - Primaner, die auf John le Carre' machen, und ihrer pantoffelhaften Sehnsucht nach Weltgeschichte alles hintanstellen, geben sich in der aufkommenden Aids-Ära der frühen 80er ein Stelldichein der Herzen, das sich mehr oder weniger darin erschöpft, dass Manipulierte Manipulierte manipulieren.

Dramatik wird nur immerfort beschworen, an keiner Stelle der Filmhandlung findet sie jedoch statt.

Um so schmerzlicher wird Armin Mueler-Stahl in der Rolle des Mahners Richard von Weizsäcker und Heinz Rühmann/Hans Albers in jener des kriegslüsternen Psychotikers Dr. Seltsam vermisst.

Als konstitutiv für Deutschland 83 ist eine spezifische Pseudo-Dramatik auszumachen, die selbst die Langeweile, die sich beim Zuschauer rasch einstellt, noch fader und unerträglicher empfinden lässt als sie gemeinhin ist. Ein deutsch-fauliger Atem der Weltgeschichte weht durchs morsche Gebälk der überall einsturzgefährdeten Filmdramturgie.

Der deutsche Film ist nie aus dem Ufa-Schatten getreten, Produktionen wie Ufa-Kintopp a la Deutschland 83 bestätigen diesen Befund.

Das deutsche Pimpfen- und Konfessionskino hat eine neue Räuberpistole finanziert bekommen; ganz überwältigt vor so viel hochmögender Abgründigkeit deutscher Schicksalhaftigkeit, angefangen mit dem Darsteller des DDR-Bond, stehen die Mimen da und mimen um die Wette. Dass das mit Schauspielerei nichts, mit Schwurbelpose jedoch alles zu tun hat, macht der Darsteller eines schwulen Bonner Jura-Professors ( es muss sich wohl um Christoph Waltz oder eines seiner Doubles handeln) überzeugend klar.

Professor Tischbier ist der verunglückte Filmname einer verunglückten Filmtunte und man möchte ihr dringend wünschen, die Liebe seines Lebens – Professor Stuhlschnaps?- endlich zu finden, damit nicht andauernd die Herzen seiner studentischen Bewunderer ihretwegen zerspringen.

Überall lugt sich die Serie voller Ergriffenheit selber über die Schulter. Ungereimtheiten, goofs, blinde Flecken, Motivationslecks, schlechter Budenzauber usw. fallen dagegen nicht ins Gewicht.

‚Da es keine wirkliche continuity gibt, kann es keine continuity-Fehler geben’, mag sich die zuständige Dramaturgie gesagt haben.

Alles wirkt, als glitte man durch ein Panoptikum, durch ein Play-Mobile, in dem lauter alte Klischees mit neuen ausstaffiert wurden und dessen dünne, immanente Botschaft darin gipfelt, wie verdammt realistisch doch eine solche Art der Realitätsabbildung sei.

PS

1.

Die AMAZON- Produktion The Man in the High Castle nach einem Buch von Philip K. Dick zeigt eindrücklich, wohin die Serienreise geht. In Deutschland ist bis auf weiteres kein Zwischenstopp geplant.

Die präzise und furiose Darstellung dessen, was nicht war – Sieg der Nazis, Aufteilung der Welt etc. in High Castle – gelingt überzeugender im amerikanischen Unterhaltungsfilm als die Darstellung realer bzw. quasi-realer Ereignisse im deutschen, der lieber zeigen möchte, was besser gewesen wäre.

2.

In Deutschland, wo Schauspielerei kein Beruf ist, sondern eine Pose Sendungsbewusster, d.h. narzisstisch Gestörter, gibt es keinen deutschen Film, der nicht überwältigt wäre darüber, dass es ihn gibt.

Ralf Frodermann XII 2015

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the prisoner / Number 6 (England 1967)

Gay-Mystery zwischen Allegorie und Camouflage

Nummer 6 ist schwul. Man schickt ihn zur Behandlung in eine Art Anstalt. Er wehrt sich gegen die Neuprogrammierung. Er lässt sich nicht korrumpieren. Nummer 6 bleibt schwul und wird zum Posterboy der gay-liberation.

Ralf Frodermann XII 2015

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forthcoming:

ALIAS - Die Agentin / Püppi als Tankgirl (Zum Nietzsche-Zitat in Staffel 3 / Episode 22: "Das Weib war der zweite Fehlgriff Gottes." Der Antichrist (48)

The Wire (Das Kafka-Zitat in der fünften Staffel: "Du kannst dich zurückhalten von den Leiden der Welt, das ist dir freigestellt und entspricht deiner Natur, aber vielleicht ist gerade dieses Zurückhalten das einzige Leid, das du vermeiden könntest." (Betrachtungen über Sünde, Leid, Hoffnung und den wahren Weg #103#)

Sechs Stafflen Oz - Hölle hinter Gittern / am siebten Tag ausruhen

FRIENDS - Freunde in real sind dann überflüssig

Interview mit Dr. Paul Weston über mediale Psychoanalyse und Selbsttherapie durch Serienkonsum (In Treatment)

und Magic City, retrospektiv

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Glaskirschen

"Zum Beispiel Bangladesch: Jede Industriekatastrophe in der Arbeitshölle der Dritten Welt nehmen die Medien hierzulande zum Anlass, das Märchen von der Reformierbarkeit des Kapitalismus wiederzubeleben.“ Tomasz Konicz (KONKRET 7/2013)

Selbsterhaltung statt Karriere

Was Adorno einmal über den Kinobesuch notierte, gilt auch für Urlaub und andere Freuden: aus einem Puff etwa kommt man immer schlechter und dümmer wieder raus als man hineinging. Für Arbeitsplätze und jobcenter gilt das gleiche. Nach einem ganzen Arbeits- oder Arbeitslosenleben ist einer sowieso schlechter und dümmer als vorher, Kaputtschreibung extra.

Wer seiner Lohnarbeit in Bordellen nachging, weiß freelancing als Prostituierte/r zu schätzen. Man ist unabhängig und krankenversichert, Freier/Innen sind Gadsches („Die Zigeuner bezeichnen alle Nichtzigeuner als Gadsche, ein Begriff, der auch Dummkopf, Bauer oder Feind bedeuten kann.“ R. Bauerdick: Zigeuner- Begegnung mit einem ungeliebten Volk. 2013) und die Populärkultur sorgt für Respekt und Ansehen in sozialen und medialen Kontexten, zum Beispiel durch die amerikanische TV-Serie HUNG oder die englische Erfolgsserie SECRET DIARY OF A CALL GIRL mit Billie Piper, die nicht nur besser aussieht als Sibylle Berg, sondern auch in einem Buch- ihrem GROWING PAINS- besser schreibt als die Berg‘sche in sieben).

Lebens- und Berufsplanung sind in Krisenzeiten für viele obsolet. Da Zukunft eine teure Ware ist und Preisschwankungen unterliegt, kann man sich auf sie weniger denn je verlassen. Man schreibt stattdessen Reklamationen und hofft auf kulantes Beschwerdemanagement in Form von Fresspaketen oder wenigstens Fressprobesendungen. Lotto schon zu teuer! Rateshows überlaufen! (Im englischen Fernsehen überlebt unter Leitung eines soignierten Herrn immerhin noch UNIVERSITY CHALLENGE: „Welche sogenannte atonale Musik hören wir in Folge 10 der 2. Staffel von DIE SOPRANOS?“ - „Anton Webern, opus 27,2?“. Aber alle Teilnehmer sind schon flüssig oder wenigstens reich, erbberechtigt oder sonst wie vermögend. Dämliche Arme fallen daher aus.)

Für die Selbsterhaltung der Roboter sorgt ordinäre Stromzufuhr, ihre Integration erfolgt durch Prozessoren, die in ihrer Parallelwelt an Kiosken erhältlich sind. Dort erhalten sie auch ihre Karrieren bzw. Karriereknicks. Die schwedische TV- Serie REAL HUMANS erläutert die Details für alle, die Lem noch nicht kennen oder nie kennenlernen werden, d.h. für analoge Karriereabsager.

Ralf Frodermann VII 2013

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Anachronismus

"Das Zeitalter des Besitzes birgt selbst für den Besitzenden bittere Stunden."

Kommentar Edward M. Forsters zur 6. Staffel Downton Abbey (Wiedersehen in Howards End XVII)

Ralf Frodermann September 2015

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Lehrerzimmer

Empire ist eine Schule der Erziehung.

Weil zum Gerechten keiner mehr individuell erzogen werden kann, sondern die Abrichtung zur Ungerechtigkeit seriell stattfindet, genügt das Studium der ersten Staffel zur adäquaten, d. h. effektiven Sozialisation dieser Zeit.

Ralf Frodermann September 2015

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Regressive Utopie

Downton Abbey ist ein Palimpsest.

John Galsworthys Forsyte Saga war darunter geschrieben, ist freilich kaum lesbar mehr.

Anthony Powells Romanzyklus Ein Tanz zur Musik der Zeit dagegen wartet darauf, zum Tanz aufgefordert zu werden.

Im Gemälde Nicolas Poussins, das Powells Zyklus den Titel gab, möchte man im oberen, phantasmagorischen Bildhimmel die Umrisse der sagenhaften Abbey

(Highclere Castle

Highclere Park

NEWBURY

RG20 9RN England)

erkennen. -

Auf diese Weise konstruiert sich der TV-Melancholiker seine regressiven Utopien, so

anachronistisch wie spiegelspielerisch

Ralf Frodermann September 2015

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Singendes Tombeau auf Socken

Am Ende der siebten Folge (Waterloo) der letzten Mad-Men Staffel (7) tritt noch einmal der verstorbene Bert Cooper in Aktion, will sagen in einen Tagtraum Don Drapers.

Elegant wie Nat King Cole himself und geschmeidig wie Sammy Davis jr. in personam bietet er zur swingenden Musik des Schlagers The best Things in Life are free ein tänzerisches memento mori so berückend dar, dass der Zuschauer bald für einen Augenblick zu vergessen bereit ist, that even the best things in life are not free.

Ralf Frodermann August 2015

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Blended killing:

Schadensbegrenzung als Selbstzweck, oder: Wann wird Schadensbegrenzung teurer und fataler als der eingetretene oder erwartbare Schaden?

Auf schiefer Bahn / Notiz zur amerikanischen TV- Serie Breaking Bad

Aus Erfahrung und den Archiven der Kriminalistik kann jedermann wissen, dass alle jederzeit kriminell sein könnten, d.h. es sind.

Haus- und Privatdetektive, Steuerfahnder, Polizisten, Staatsanwälte, Richter und Verbrecher erfahren gleich zu Anfang ihrer Karrieren, welche Preise bezahlt werden, um die Nichtbezahlung des höchsten zu kompensieren, indem sie sich mit Lügen „vergleichen“, wie es im juristischen Jargon, der so auch im Rotwelsch des Verbrechens codiert ist, heißt.

Der Eingriff formalen Rechts in die Welt der die Ungerechtigkeit hassenden Ungerechten entspricht der Untat der Gerechten, deren Leben unversehens oder sukzessive in ökonomische Notwehr abglitt.

Die Not neigt zum Verbrechen, das Verbrechen entweder zu Camouflage, obszöner Selbstdarstellung oder einer Mixtur beider.

Aus einem bestimmten Verbrechen führt kein Weg hinaus; in ihm zu sein bedeutet, für alle Zeit in ihm zu sein, immer tiefer in es zu geraten. Der Kampf gegen diesen Untergang hat den Charakter des Widermenschlichen angenommen, diesseits und jenseits aller Schuldfragen zugleich.

Solche Tragödie ist läppisch politisch und kulminiert in dem Satz, den noch jeder Außenminister beim Kamingespräch einmal gedacht hat und den Mr. White (Heisenberg) ausspricht: „Ich bin im Imperiengeschäft.“

„Wie viele Welten“, fragt sich danach der zeitgenössische Kriminalscholastiker, „passen auf einen Stecknadelkopf?“

„Alle die, in denen du dich fragst, was du in einer Welt ohne Alternativen und alternative Verbrechen am meisten vermissen würdest“, trägt irgendein Flegel von Untersuchungsbeamten dann in sein diskretes Diarium unter dem Stichwort „Phänomenologie der Not“ ein.

Ralf Frodermann VI 2013

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Erpresste Augenhöhe:

Ficken und Schläge/ Merchandising und Verbrechen:

Hank Moody und Ferdinand von Schirach

Im amerikanischen Qualitätsfernsehen bringt die TV-Serie CALIFORNICATION ein Buch hervor: GOD HATES US ALL von Hank Moody, Hauptprotagonist der Serie und gespielt von David Duchovny; in Deutschlands ZDF wurden einige Storys Ferdinand von Schirachs mit dem bräsigen Josef Bierbichler als Strafverteidiger und quasi-von Schirach gesendet, die besser unproduziert geblieben wären, was sogar Teilen des deutschen Feuilletons nicht verborgen geblieben war.

In den liner-notes zur DVD Box von VERBRECHEN versteigt sich von Schirach zu dem erstaunlichen, offenbar Werbezwecken dienenden Irrglauben, dass mit der ZDF-Verfilmung seiner sechs Stories das deutsche Fernsehen endlich die Chance hat, Anschluss zu erhalten an amerikanische masterpieces des Seriengenres wie BREAKING BAD, MAD MEN oder HOMELAND.

„Kein Anschluss unter diesem Blödsinn“, möchte da selbst der wohlmeinendste Gemütsmensch sagen. Es genügt der Hinweis auf das platte Plagiat, das in der ersten Folge mit dem Titel FÄHNER dem Zuschauer, der sich von Beginn an in eine alte Folge von AKTENZEICHEN XY UNGELÖST unbehaglich zurückversetzt fühlt, zugemutet wird: in einer Beischlafszene, die an Verdruckstheit so wenig zu wünschen übrig lässt wie an Realitätssinn für menschliche Kopulationspraxis, ohrfeigt plötzlich die rittlings auf ihrem Gatten hopsende Neurotikerin denselben energisch mehrere Male. Das ist so eindeutig aus CALIFORNICATION stumpf geklaut, dass es einen nicht schaudern lässt. Wer von FICKEN UND SCHLÄGE des fiktiven Hank Moody gehört hat oder gar sein Buch GOD HATES US ALL (dt. 2011 Heyne Verlag)gelesen hat, weiß, dass die amerikanischen, popindustriellen Erfindungen sehr viel besser sind als der Ruf, den man den deutschen unterzujubeln nicht müde wird.

Warum von Schirach, dessen ebenso präzise wie nüchterne Schilderungen strafbewehrter Handlungen und ihrer sozialpsychologischen Motive und Kontexte Anerkennung verdienten, seine Arbeiten durch dämliche Verfilmungen und deren Hochjubeln seinerseits entwertet, bleibt einstweilen so unerklärlich wie seine Konversion zum SPIEGEL-Schmock.

HOMICIDE (dt. 2011) und THE CORNER (dt. 2012) von David Simon, der erst THE WIRE machte und dann als Reporter loszog, es aber sicher auch umgekehrt gekonnt hätte, bleiben einstweilen das beste Gegenmittel ohne Nebenwirkungen.

Postludium

Mit der deutschen Geisteselite verhielt es sich ähnlich wie mit der deutschen TV-Serienkunst dieser Zeit. Nach dem Tod des FAZ-Autors Henning Ritter erschienen jüngst Elogen auf ihn, etwa von dem Berufsschwätzer Martin Mosebach oder dem Sloterdijk-Lobhudler Prof. Gumbrecht, die einem die Schamesröte des gegen solcherart Stilisierungen Immunen ins Gesicht trieben. Der Panegyrikus der Mediokrität wie des organisiserten Verbrechens ist im Lande der Blinden seit jeher nicht nur den Einäugigen vorbehalten. Nazis wie Erich Rothacker, Alfred Baeumler oder Joachim Ritter, samt ihrer akademischen Schüler, Nachfolger und Persilscheinaussteller O. Marquard, H.Lübbe oder R.Spaemann zu exkulpieren und sie ins Pantheon deutschen Geistes zu hieven, war immer Ehrensache. Die Kirche im Dorf zu lassen, gilt schon wieder als anstößig.

Ralf Frodermann VI 2013

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