Hausarbeiten, unbenotet

„My fair Lady“ oder „Mein lieber Scholli“?

Deutsch als Phantomsprache (DaP)

Professor Higgins ist längst emeritiert. Kaum würde er heute noch eine wie Eliza Doolittle in korrekter Aussprache, Stilistik und Wortschatz unterweisen, eher umgekehrt.

Doch was ist schon korrekt? Noch die peinlich genaue Beachtung politisch vermeintlich unkorrekter Fußangeln kann sich als Fangschuss erweisen: „Zigeuner gilt als diskriminierend; aber: in Rumänien ist Roma ein diskriminierendes Wort.“ (Utz Maas, Was ist Deutsch? Die Entwicklung der sprachlichen Verhältnisse in Deutschland. München, 2012 S.72 Fußnote 25)

Krisenerklärungen sind gefragter denn je. In oeconomicis hat man zum Beispiel u.a. die Wahl zwischen populären Filmen wie INSIDE JOB oder präzisen Skizzen wie der von Gerhard Scheit, die aus schlechten Gründen nicht leicht ein Publikum finden und vermutlich nicht finden sollen. („Die wirkliche Herrschaftsstruktur in Europa und der Rechts-Links-Populismus.“ In, sans phrase. Zeitschrift für Ideologiekritik Heft 1 Freiburg i. Br., 2012 S.199 ff.)

Explikationen von Sprachkrisen sind dagegen simpel: entweder es gibt sie gar nicht oder Regressionen werden als zukunftsweisend ausgegeben. Alle Kritik gilt als Rufmord am fortschrittlichen Konformismus.

Das deutsche Sprachbad der Gegenwart mutet an, als sei Konkrete Poesie, unseligen Angedenkens, zum prosaischen Mainstream geworden. Als wohlfeiles Treibmittel fungiert hier, wie überall, wo es um die Konstruktion relativ einsturzsicherer, ideologischer Kartenhäuser sich dreht, ein allseits Beliebtheit sich erfreuender Nominalismus, der bekanntlich als „willkürliche Begriffsbildung“ von jedermann zu ergreifen, d.h. zu bejahen, aber in Zeiten verbindlich gewordenen Lügens eben nicht zu kritisieren, d.h. zu begreifen sei.

Die sprachpositivistische Doktrin, wonach alles, was sich sagen lässt, klar sagen lässt, wurde längst Programm und Norm.

Damit ging ein Rückbau der Sprache einher, der heute so weit gediehen ist, dass vom Babelturm fast nur noch die Gerüste übrig sind. Sprache ist Schwimmweste, Sprachkrise Ansichtssache.

Wer sich mit Krisendeskription bescheidet, auf Erklärungen weitgehend verzichtet und sie eher ihrer jeweiligen Rezeption überlässt, ist verlassen. Innerhalb des in Deutschland hochverminten Integrationsdiskurses etwa gibt für diesen Befund aktuell der Berliner Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky das prägnanteste Beispiel ab. Seiner Intervention „Neukölln ist überall“ (Berlin, 2012), der nur vorzuwerfen wäre, dass sie nicht dem Andenken der Richterin Kirsten Heisig gewidmet ist, wurde, wie Buschkowsky genau voraussah, widersprochen, kaum war sie ausgeliefert und ihr Waschzettel überflogen. Zwar stellt sie für Neukölln nichts anderes dar als Leporellos Registerarie für Don Giovanni, doch die einfache Leugnung zu konstatierender Fakten hat längst den Ruch des Tadelnswerten abgestreift und ist zur nominalistischen Alltagspraxis geworden. Insbesondere die deutsche Integrationsdebatte ist dadurch so sehr auf den Hund gekommen, dass sie sich fast ausschließlich noch im Austausch nichtiger ad-hominem- Argumente erschöpft, wie nicht zuletzt der shit- storm gegen Buschkowsky erneut bezeugt.

Phantomdebatten nötigen zu Phantomsprachen, die nicht erlernt, sondern nur kopiert werden müssen. Ihr Abziehbildhaftes, die Nähe zum Plagiatorischen und zur automatisierten Rede wird ignorierend zwar wahrgenommen; an die Stelle einer Melancholie der Erfüllung aber ist die triumphale Genugtuung übers geltende Residuale getreten.

Ralf Frodermann XI 2012