Wollen wir die Geschichte wieder von vorn anfangen? – Sie wird doch nicht anders.
H. Ch. Andersen, Die Schnecke und der Rosenstock
Sauer Bier und Ladenhüter:
Verwaister Fetisch Gutachten oder Märchenstunde?
Im Rahmen des allgemeinen gesellschaftlichen Qualitätsmanagements erfreut sich das Gutachterwesen abnehmender Beliebtheit. Es hat sich herumgesprochen, dass Gutachten zu sozialen Fragen faktisch bedeutungslos sind, außer für jene, die für deren Erstellung Wertschätzung in Form von Geld oder Nebenwährungen (Postenschacher, Sinekuren etc.) erfahren.
Insbesondere Integrationssoziologen u.ä. sind führend auf dem Gebiet der methodischen Erweiterung diskursiver Leere. Detailverliebte Esoteriker ihres Schlages haben in den vergangenen Jahren noch jede Gutachteranfrage positiv beschieden und traben jeder Mohrrübe solange hinterher, bis man ihnen sagt, dass sie sie nun essen dürfen.
Nach dem Erscheinen zweier Studien der Konrad-Adenauer- Stiftung zum Thema „Muslimische Jugend in Deutschland“ (A. El- Mafaalani, A. Toprak: Muslimische Kinder und Jugendliche in Deutschland. 2011 / A. Cavuldak: Jugendszenen in Deutschland- Zwischen Islam und Islamismus. 2011) präsentiert das Bundesinnenministerium zum selben Thema einen veritablen Integrationswälzer von über 700 Seiten, in dem mehr oder weniger das steht, was die verstorbene Neuköllner Jugendrichterin Kirsten Heisig in ihrem 2010 erschienenen Buch und Erlebnisbericht „Das Ende der Geduld“ noch einmal dargelegt hatte, obgleich es jeder wissen konnte: soziales Elend forciert delinquentes Verhalten, Jugendbanden haben in den Großstädten Pfadfinder und CVJM usw. längst abgelöst, „Familien sind kleinkriminelle Vereinigungen“ (Pasolini), organisiertes Verbrechen ist zum Berufs- und Integrationswunsch geworden, einzig geltendes Recht ist das Faustrecht, Degradierung aller Emanzipation zum Feigenblatt, etc. etc.
„Migrationshintergrund“ spielt als unique selling point internationaler Arbeitskraftanbieter in der einem neuen Naturzustand entgegen fiebernden Konkurrenzgesellschaft nur noch eine Nebenrolle wie die Arbeitskraft selber, „gelungene Integration“ ist als positive Diskriminierung mittlerweile zutreffend bestimmt und die Frage, welchen Anspruch ein religiöses Weltbild auf Respekt seitens Nichtgläubiger geltend machen kann, beschäftigt nicht nur den Zentralrat der Ex- Muslime. Die immerzu neu munitionierte Integrationsdebatte in Deutschland fungiert weitestgehend als Sedativum, das aber allmählich an Wirkung verliert.
Die Wirtschaftskrise ist der Sensenmann, der den Lügen über sie unnachsichtig an den Kragen geht. Wer sich das Geschehen mit Marx oder MARGIN CALL zu erklären sucht, pocht noch auf sein Recht auf unterhaltende Einsicht. Andere harren lieber Eingebungen ad calendas graecas, Denken ängstigt.
Ungeachtete allen Geredes scheidet Europa indessen die ersten Verliererstaaten aus. Überflüssigen Staaten und Subjekten bleibt nur noch die Konsumierung ihrer Überflüssigkeit, d.h. die Konsumtion ihres Todes. Im zentraleuropäischen Deutschland funktioniert Kapitalismus einstweilen wenigstens noch im simulierten modus operandi. Profitproduktion ist zwar selten geworden, doch für Gutachter bleiben auch in dieser mystischen Phase der Marktwirtschaft noch Fragen:
2 Fragen / Arbeitgeber und Robbe
„Arbeitslose einstellen? Bin ich verrückt! Bestatter holen sich ihre Leichen ja auch nicht vom Friedhof!“
Die Norderneyer Robbe, die von ihren Freunden nur „Küstenkant“ genannt wird, nach kurzem Nachsinnen auf die gutachterliche Frage „Was ist geil?“:
„Geil ist, was ohne alle Begriffe scharf macht.“
Ralf Frodermann III 2012