„Ich geh mir was kaufen“
4 SALE-Gedichte aus dem Sommer 2015
1
erst kaufe ich zwei zebrafinken,
die Perdido singen können,
oder Look for the Silver Lining,
dann etwas gegen die anoxie,
die mich immer auf dem mond
befällt, vor dem erdendenkmal,
ich schalte eine kaufpause ein,
sage „Scherz!“, wenn der verkäufer
die zahlung erwartet, und stecke die
börse/karte/erniedrigung wieder ein,
die dem winkt,
der meinen hunger will.
2
meine füsse wollen schuhe,
meine hände wollen nichts,
lasst mir nur keine ruhe,
denn leider wohl gebrichts
auch mir an nichts.
3
schwimmt die münze mit
dem kopf nach oben (zack, münze in
die kaffeetasse),
geh ich in die linke und
schlüpfe ins kleid kopfüber,
ist aber zahl oben,
zünde ich die umkleide
an, mit dem zippo, dem
angeberzippo, dem feuerzeug
dieses bailout-schwätzers.
4
bringen Sie mir den senf,
den süßen bringen Sie mir,
den scharfen bringen Sie,
bringen Sie jeden senf, den Sie
bringen können,
bringen Sie zu allen
gerichten senf?
ich ja! sonst hat es keinen
zweck. ich nehme den,
den senf nehmen wir.
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Taglied
für Overstolz und Juno
So flugs hatte sich die Zigarettenspitze
in ein Hörrohr aus Sulfat
verwandelt; gab mir und
meiner Grazie ein Trinkgeld,
ertrank in der Tür, vielmehr
erstarb auf den Lippen eines,
weiß Gott, rosenfingrigen Morgens.
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A und O am Travertin
Der Schreck fuhr ihm in alle Glieder,
er sah das alte Schelepptau wieder;
Das kannte er bisher doch nur
unterm Namen Nabelschnur.
Das Seil, nicht da, ihn zu erquicken,
war vielmehr da, ihn zu ersticken.
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Die praktische Tätigkeit des Menschen musste das Bewusstsein des Menschen milliardenmal zur Wiederholung der verschiedenen logischen Figuren führen, damit diese Figuren die Bedeutung von Axiomen erhalten konnten, dies Notabene.
Lenin, Konspekte zu Hegels Wissenschaft der Logik (Lenin, Werke dt. Band 38 S. 181 Berlin, 1976)
Palettenschmutz
- ein Loopingpfusch -
Vierhebig, meinetwegen Fünf.
Das Einerlei der Albernheiten
lässt sich vornehm zubereiten:
Du nimmst den Abstrich,
lässt dich wiegen -
vor dem Krebs ist abzubiegen,
Polypen winkst du schamlos zu,
mit Melanomen sei per du.
Fragt dich einer
'Na, wie geht’s?'
Sei deine Rede
'Gut, wie stets.'
Vierhebig. Meinetwegen Fünf.
Wechselbalg: „Wie hieß noch die gerechte Verteilung der Armut? Kommunismus?“
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Krisenökonomie
Als der Farbstoff grau geworden
und die Öle öliger,
lernten in den Lichtungen die Motoren
das Zirpen,
die Grillen das Bezahlen,
und die Würste das Gegrilltwerden.
Es war, als exisitere, neben Hunger, Schmerz
und Tod, auch noch, quälend leibhaftig, 'die Krise'.
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Glockengeläut über
Westphalian Song
When thou to my true-love com'st
Greet her from me kindly;
When she asks thee how I fare?
Say, folks in Heaven fare finely.
When she asks, 'What Is he sick?'
Say, dead! - and when for sorrow
She begins to sob and cry,
Say, I come to-morrow.
(von Samuel Taylor Coleridge)
Auch über Bande gespielt, hält es
niemals schwer, nichts Geringeres
als einen Gruß zu entbieten dem,
der nichts findet als einen Psalm
auf Rudi Hospinians Schreibtisch,
sowie einen Wisch mit blödsinnig
codierten Versprechungen (Handynummern!).
Gib ihr meine!
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Absacker
Drei Klafferschelten
1
Hundsfott, übler Leckmich, garstiger
Kanonenflegel, du Dreckloch und Leichentuch,
Karpaunenaugust, widerlicher Widerwart,
Alraunenfurz und Wurstrest und
graunevollster Griebenschmalz, Grabstatt meiner
blöd'sten Hoffnungen, du mieser Kaltsteller,
der mich zum Hahnrei macht noch
vor der Zeit, Blödian, anachronistischer!
Intermezzo
Es wolt ein meidlein grasen gan:
„fick mich, lieber Peter!“
und do die roten rößlein ston.
„fick mich mer, du hast's ein ehr!
kanstus nit, ich wil dich lern!
fick mich, lieber Peter!“
(Liederbuchlied)
2
Nieten wie wir
Der Wurmstich, der ich bin,
der legt sich wieder hin,
der steht auch wieder auf,
veranlasst Hausverkauf,
denn's Häuschen dient,
da du ja weg,
jetzt keinem mir noch klaren Zweck.
3
Nieten wie wir (2)
Es nietet die Niete am rauschenden Bach,
ein Ruchloser legt meine Liebste flach,
dem wünsch' ich ein langes Leben und halte
mich schadlos an deiner Bügelfalte.
Zärtlich tropft die von dir Gebügelte
ins von mir versiegelte,
verwelkende Ohr.
Anm.:
Das „Liederbuchlied“ des Intermezzo ist dem Band Geschichte der deutschen Literatur des Mittelalters und der Frühen Neuzeit von Horst Brunner (Reclam Stuttgart,2013 S.415) entnommen.
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Ghasel nitro
Von dem Obst und von den Reben
ließe sich ein Leben leben,
ließe sich ein Faden spinnen,
an dem viele könnten weben,
sogar dem hoffnungsstummen Steinanbeter
wäre nicht verhasst solch Streben,
das sich weder fürchtet noch erschaudert
vor der Mißgunst der Epheben,
denen unheilvollstes Schicksal droht
und die schon früh an Ämtern kleben;
die zu den Allesfressern zählen,
deren Darm willkommen heißt Zibeben,
Anm.: Inspieriert wurde der obige Text durch die Ausgabe
Kiyanrad, Khosro (Hg.):
Die Ghaselen des Qasem Anwar
Wiesbaden, 2015
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Rezess? - Nein!
Tausch. Tauschprinzip. Alter
gegen Jugend / das Jungbrunnen-
Dilemma, bitte ohne
Krokodile, weil die fressen (sic!)
alle Jahrgänge mitleidlos / der Widerspruch
'geist denkt ewigkeit, muss
aber seinem Substrat, dem leib
tribut zollen' etc.etc.,
der Gestank solcher Klärwerke,
dialektischer Klärwerke, religiöser
Provenienz, und anderer,
erträgt niemand. Nein.
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Organversagen des Gedichts (trotz Bauplan)
Und tappst du auf der Stelle,
du tönend Erz und klingend' Schelle,
und kannst du gar nicht dich bequemen
den Esel in dir anzunehmen,
und bist also ja abgelenkt,
dein Seidenfaden schwer behängt
mit deinem Jammerlappentum,
mit deinem selbstgerechten Hohn:
sieh dich in deinen Kreisen um,
besteh' auf deinem Lohn!
Anm.:
„Das eigentlich Charakteristische an Schumann – und dann an Mahler und Alban Berg – ist das Sich-nicht-selber-halten-Können, das Sich-Wegschenken, Fortwerfen.“
T. W. Adorno: Beethoven. Philosophie der Musik. (Fragment 310) Frankfurt a. M., 1993 S.224
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Ralf Frodermann (Beitrag ging leer aus) XII 2015