Daniel Martin Feige: Philosophie des Jazz.
Frankfurt a. M. (Suhrkamp), 2014
Kevin Whitehead: Warum Jazz? 111 gute Gründe. (engl.Orig. Oxford University Press 2011)
dt. Stuttgart (Reclam), 2014
Ja, vielleicht würde selbst die vollendete Empirie die Philosophie als eine Deutung, Färbung und individuell auswählende Betonung des Wirklichen gerade so wenig ablösen, wie die Vollendung der mechanischen Reproduktion der Erscheinungen die bildende Kunst überflüssig machen würde.
Georg Simmel, Philosophie des Geldes (Vorrede)
Im Juniheft 1953 der Zeitschrift MERKUR erschien Theodor W. Adornos scharfe Polemik „Zeitlose Mode. Zum Jazz“.
Nachdem sich der Autor bereits Mitte der 30er Jahre in einem knappen, musiksoziologischen Abriss „Über Jazz“ kritisch zu einem integralen Teil der damaligen Populärkultur amerikanischer Herkunft geäußert hatte, hielt er es offenbar für angezeigt, Jahre später -und nicht weniger kritisch- einige Nachträge vorzunehmen.
Darauf reagierte Joachim-Ernst Berendt, indem er noch im Septemberheft ’53 des MERKUR seinerseits Adornos Jazzkritik zu demontieren suchte, was wiederum Adorno zu einer Replik, abgedruckt im gleichen Heft, veranlasste.
Ohne auf diesen in mancherlei Hinsicht exemplarischen Disput an dieser Stelle eingehen zu können oder gar vorderhand Position zu beziehen, darf immerhin bemerkt werden, wie problematisch, ja aussichtslos auch kultursoziologische Unterhandlungen zwischen Hohepriestern, Sachwaltern auf der einen Seite und Kritikern auf der anderen sind:
kein Einvernehmen, nirgends.
Gleichwohl hat sich jede ernstzunehmende Reflexion über Jazz an jener gut 60 Jahre alten Debatte zu messen und messen zu lassen.
Mit Blick auf Daniel M. Feiges Buch „Philosophie des Jazz“ fällt die Messung mager aus.
Seine magersüchtige Generalthese, wonach Jazz das erst expliziert habe, was in der europäischen Kunstmusik seit Hunderten von Jahren implizit vorhanden oder angelegt war, entbehrt nicht des Charmes notorischer Jazz- Workshops pensionierter Jack Kerouac- Leser, die in einer Jazzband spielen und ihre Dienste auch ihrer örtlichen VHS und Krankenkasse antragen.
„..., dass der Jazz deshalb ein interessanter Gegenstand für die Philosophie ist, weil er eine Art künstlerischer Musik darstellt, in der wesentliche Aspekte musikalischer Praxis überhaupt explizit artikuliert sind.“ (S.124)
Man muss Jazz gar nicht hassen, um gegen seine pseudo-philosophische Verwurstung empfindlich zu sein.
Und ebenso wenig ihn mögen, um als sein satisfaktionsfähiger Kritiker aufzutreten.
Um ihn aber als einen probaten Modus des In- der- Welt-Seins, angereichert mit John McDowells „Mind and World“ von 1996, aufzupusten, wie Feige es tut, muss man mindestens ein deutscher Gelehrter von seinem Schrot und Korn sein.
Jazz fungiert nach Feige als eine Art Hebamme. Seine Buch hätte Mäeutik des Jazz heißen und als Fußnote, statt als Buch totgeboren werden sollen.
Kevin Whiteheads Kompendium und Digest Warum Jazz? 111 gute Gründe ist die Proklamation eines Fans, Konfession eines Überwältigten.
Für Abiturprüfungen im Fach Musik, die avanciertere Pädagogen über fünfzig noch abzunehmen haben, dürfte es nahezu unverzichtbar sein.
Ralf Froderman Juni 2014
Die erwähnten Texte Adornos sind wiederabgedruckt in Band 10/1 („Prismen. Kulturkritik und Gesellschaft“) und Band 10/2 (S.805ff.) seiner „Gesammelten Schriften“.