Bartleby passim

Er liebt auch seinen Federhalter.

Erik Satie, Sonatine bureaucratique (Andante)



Bartleby passim

nach alter Schelmenweise

Während meine Kollegen urlauben, vermiete ich ihre Arbeitsplätze an Langzeitarbeitslose, gern zweizeitig. Diese Leute sind so ausgehungert nach Arbeit, in meinem Fall Büroarbeit, dass sie die Urlaubszeit kaum abwarten können. Dann schlägt die Stunde meiner Extraverdienste. Es ist auch die Stunde der Extraverdienste meiner Vorgesetzten. Sie achten mich und würden etwaige Betrugsvorwürfe gegen mich entschieden zurückweisen. Ich bin kein Betrüger, ich helfe Hilflosen. Das soll man tun, das tue ich auf meine Weise.

Seit drei Wochen arbeiten drei neue Kunden unter mir. Ich nenne sie Kunden, weil sie das gewöhnt sind. Jeden Morgen erhalten sie Arbeitsaufträge, die ich ihnen schriftlich mitteile. Über die Ergebnisse haben sie mich unverzüglich zu informieren. Oft machen sie absichtlich Fehler, um in den Genuss eines Dienstgesprächs mit mir zu gelangen. Dann falte ich sie zusammen, was sie keineswegs einzuschüchtern, sondern ganz und gar zu beleben scheint. Erquickt kehren sie an ihre Arbeitsplätze zurück, in einer Gloriole aus Schimpf und Schande schimmernd, vor Freude berstend.

Sie sprechen in tote Telefone, schreiben tote Briefkästen voll und führen Selbstgespräche, die wir aufzeichnen und später, auf Wunsch, den Arbeitszeugnissen beilegen. Nie sah ich glücklichere Gesichter.

Nach vier Wochen, in den Sommerferien auch länger, erhalten sie ihre Kündigung. Mal hart, mal weich. Manche, in den letzten Jahren eigentlich alle, wollen den fristlosen Rausschmiss nach drei ungerechtfertigten Abmahnungen. Viele übertreiben es für meinen Geschmack und wollen irgendwelcher Schweinereien bezichtigt werden. Darin sind die Leute sehr erfinderisch. Ebenso darin, sich problemlos überführen zu lassen. Ihre Kündigung erfahren sie so als notwendig und ergeben sich in das Unausweichliche.

Freilich behalte ich das eingenommene Gehalt, das die Leute mir zahlen. Meine Nebenkosten sind zwar gering, aber ich behaupte das Gegenteil. Niemand ist geneigt, mir zu misstrauen. Täte es einer doch einmal, wäre das nicht schlimm. Mein Hilfsprojekt ist situiert. Auch an Sonn- und Feiertagen.

Nichts gibt diesen Leute Würde, außer Arbeit. Wer sich meinen Service leisten kann, hat wieder Würde. Neulich hatten wir hier einen lustigen Vogel. Der ließ sich nicht lange bitten und fügte sich in alles rasch ein. Wen er grüßen darf und wen nicht und allerlei Dinge, die es eben unter den besonderen Umständen zu beachten gilt. Man versteht mich. Sagt doch dieser Kerl „Aus dem östlichen Westfalen kamen in den letzten zwei Jahrhunderten nur zwei mäßige Dichter, Grabbe und ich.“ „Und wie ist Ihr gottverdammter Name?“, frage ich, der ich Kunden nie nach Namen frage.

Ralf Frodermann Ostern 2013