Plaudertasche for sale
Über Zuhälterei des Zeitgeists und Kniggeideologie
Bittere Bosheiten bleiben heute allerorten besser außen vor, andernfalls man es leicht selber bleibt.
„Wie auf einer Pflanzung, wo die Blüten zu verschiedenen Zeit zu Früchten reifen, hatte ich sie am Strand von Balbec bereits als alte Damen gesehen, als jene vertrockneten Fruchtschoten, als jene Wurzelknollen, die meine Freundinnen eines Tages sein würden.“
Eine solche Probe weltmännischer Wahrheitsliebe- Marcel Prousts „Im Schatten junger Mädchenblüte“ entnommen- gilt heute, wird sie auch nur gesprächsweise zitiert, geschweige denn zustimmend, als geschmacklos und indiskutabel. Unterm Diktat der Äquidistanz zu Feuer und Feuerlöscher, Krankheit und Gesundheit, alt und jung, zu arm und reich, klug und dumm usw. nehmen Gespräche nur noch selten wirklich Fahrt auf; man fährt im Ungefähren, hält sich an die Fahrpläne und rümpft vor Geisterfahrern die Nase. Gefragt ist die Null- Prädikation, die Aussage, der genau in dem Masse Bedeutung zu kommt, ihr gleichsam widerfährt, in der sie völlig frei von einer ist und ihr enträt. Es handelt sich hierbei um eines der wenigen Spiele, die man sofort, d.h. ohne langwieriges Erlernen der Spielregeln spielt. Auch mit solchem Sprachspiel verhält es sich mithin ähnlich wie mit dem Geld: man muss nicht wissen, was es ist oder wie seine Konstitutionsbedingungen verliefen, um seine Geltung anzuerkennen, sich seiner zu bedienen und sich empört gegen seine Abschaffung zu wenden.
Vermutungen wären hier u.U. darüber anzustellen, in welcher Weise und in welchem Umfang eine spezifische Form des Narzissmus mit der geschilderten Alltagspathologie einhergeht; ein Narzissmus, der sich im wesentlichen darin äußert, dass die begehrte Identifikation mit Held, Handlung oder Ware schlechterdings unmöglich ist oder verwehrt wird („Ich würde das/den/die mögen, wenn es/er/sie mir gehörte“, „wenn ich es/er/sie wäre“, etc.) und den als „negativen Narzissmus“ vorläufig zu bestimmen, sich anböte. –
Appendix I
Aus der Management- Soziologie ist das „Peter- Prinzip“ einmal über akademische Kreise hinaus bekannt gewesen. Doch auch populärwissenschaftliche Theoreme haben bessere Tage gesehen, und seitdem selbst das sogenannte „allgemeine Kulturgut“ oder „Weltwissen“ insgesamt im Begriff ist zu zergehen, bildet es kein Material mehr, wie einst, etwa als „gesunder Menschenverstand“, zur sedimentierten Unvernunft entweder gleich herabzusinken oder wenigstens vorläufig dem Denkwilligen ohne Denkkraft ein fragiles Geistgerüst oder epistemisches Surfbrett zu sein.
Appendix II
Wer den Generationenvertrag brach, ist nicht ausgemacht; es ist auch ganz unerheblich, denn dieser Vertragsbruch steht so wenig unter Strafe wie jeder andere Gesellschaftsvertrag, der de jure ohnehin keiner ist. „Geltendes Recht“ ist die Parodie der Rechtsphilosophie, die nie mehr war als die Pudelfrau der Minerva. Ihrer beider Geschäft ist das Bellen und Widerbellen: „Cave canem!“.
Ralf Frodermann XII 2012