Wie ist die Fahrt so wundersam,
Als ginge es über Zeit und Tod ...
Der Mond stieg auf, und Friede kam,
Indes ich still das Ruder nahm
Und landwärts hielt.
Rudolf Hagelstange, Venezianisches Credo (Nächtliche Fahrt)
Nächtliche Ballonfahrt mit dem Freund Prätor über das Harzgebirge
Dr. Samuel Fergusson gewidmet
Es war wohl nahe an Mitternacht, als wir unweit des Dorfes Thale unser Luftschiff erreichten. Kaum hatte uns der Luftschiffer in der mondhellen Dunkelheit ausgemacht, traf er ohne weiteren Gruß alle letzten Vorkehrungen zum Aufstieg.
Schnell und langsam zugleich hob uns das Gefährt vom Boden empor; wir sanken gleichsam nach oben inmitten der nächtlichen Stille, welche in unregelmäßigen Abständen von Stößen heißen Gases aufs angenehmste weniger gestört als vielmehr vervollständigt wurde.
„Schnaps?!“, sagte der Lotse. Und noch bevor einer von uns entschieden hatte, ob es eine Frage oder eine Aufforderung war, hielt ich eine Flasche in meinen Händen, die sie ohne Zögern ins obere Stockwerk meines Körpers beförderten. Prätor tat desgleichen, worauf es sich unsere Souterrainabteilungen mit einem hitzigen Brandanschlag gemütlich zu machen begannen.
Immer himmelwärtser ging es, immer wolkenweiter fuhren wir.
Eine Route war nicht ausgemacht und für die Bestimmung der Himmelrichtung war jedenfalls ich weder zuständig noch empfänglich. Schon auf der Erde sind mir alle navigatorischen Dinge gleichgültig und ich müsste wohl ein anderer sein, hätte ich mein Leben je nach Kalkulationen der Navigation eingerichtet wie es doch jedermann gelehrt wird, damit er einmal seine Rechnungen bezahlen kann und nicht in den Verdacht gerät, ein unlauteres Leben zu führen, dem er besser rasch ein Ende mache, bevor es seine Gläubiger tun.
Sprach auch niemand ein Wort in unserem fliegenden Korb, so war doch alles um uns ein nächtliches Gespräch, dessen dahingleitendes, unhörbares Echo wir waren.
Vom Frieden, nicht vom Krieg versehrt, waren wir aufgestiegen zu sehen. Und wie der Schiffbrüchige vom Meerwasser seinen Durst nicht stillen kann, so konnten wir uns nicht satt sehen an den mondlichten Bildern des unter uns glitzernden Waldes und uns nicht satt hören an seiner Ruhe, die ganz und gar der Berechnung wie der Tumbheit, welche dem Schweigen unter Menschen doch oft innewohnen, entriet.
Die nächtliche Fahrt über Schluchten, Felsen und Gewässer des Harzgebirges war uns amtlicherseits keinesfalls erlaubt worden. Streng verboten sei ein solches Unternehmen und bei Zuwiderhandlung müsse mit ernsten Folgen zu rechnen sein. Wir empfanden ob der Zuwiderhandlung keinen Triumph und auch unser Luftschiffer machte nicht den Eindruck eines sonderlich sich am Gesetzesbruch weidenden Anfängers in kriminellen Dingen. Ich für meinen Teil schloss daraus, dass er wohl ein erfahrener Dieb oder gewissenhafter Betrüger sein musste, der sich mit nächtlichen Luftexpeditionen dieser Art ein Zubrot verdiente oder einfach seinen Reichtum an zu erzählenden Abenteuern dadurch zu mehren suchte.
„Harzpiraten“, sagte plötzlich Prätor. Und, überwältigt von der Erhabenheit des Erlebten, fügte er, mehr in die Stille als zu uns sprechend, die er kaum mehr wahrzunehmen schien, flüsternd hinzu: „Leck mich am Arsch, das ist ein Wunder, auf das wir keine Antwort wissen!“.
Da wusste ich, dass wir niemals mehr landen würden und hoffte nur, dass der Schnaps für immer und ewig reichen und ein Vogel Rock kommen möge, der uns mit Tabak versorgt.
Ralf Frodermann 27. Oktober 2009
Zur Erinnerung an den Pilsempfang in der LATERNE zu Bad Salzuflen anlässlich meines
50. Geburtstages am 27. X. 2009
Literatur: Eberhard Christian Kindermann, „Die Geschwinde Reise auf dem Lufft- Schiff
nach der obern Welt“. 1744 ( Hannover, 2010)
Sebastian Böhmer: Der dritte Mann der Aufklärung. Zur Bedeutung der Ballonfahrt als Paradigma eines nicht gepflegten Ingenieur-Begriffs im gelehrten Diskurs der deutschen Aufklärung sowie in der aktuellen Aufklärungsforschung mit einem Exkurs zu Jean Pauls Erzählung Das Kampaner Tal
in: Scientia Soetica Band 27 Heft 1 2023
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Parerga:
"Da auf einmal, in einem lichten Gürtel des Himmels, den zwei lange Wolkenbänder zwischen sich ließen, war mirs, als schwebe langsam eine dunkle Scheibe – ich griff rasch um das Fernrohr, und schwang es gegen jene Stelle des Firmaments – Sterne, Wolken, Himmelsglanz flatterten durch das Objectiv – ich achtete ihrer nicht, sondern suchte angstvoll mit dem Glase, bis ich plötzlich eine große schwarze Kugel erfaßte und festhielt.
Also ist es richtig, eine Voraussage trifft ein: gegen den zarten weißen Frühhimmel, so schwach roth erst, wie eine Pfirsichblüthe, zeichnete sich eine bedeutend große dunkle Kugel, unmerklich emporschwebend – und unter ihr an unsichtbaren Fäden hängend, im Glase des Rohres zitternd und schwankend, klein wie ein Gedankenstrich am Himmel – das Schiffchen, ein gebogenes Kartenblatt, das drei Menschenleben trägt, und sie noch vor dem Frührothe herabschütteln kann, so naturgemäß, wie aus der Wolke daneben ein Morgentropfen fällt."
Adalbert Stifter, Der Condor.