Tod eines Klassensprechers/Schirrmacher 55

Tagebuch 6. September 2014 (outro 2)

"So viel gute Worte sind schon gesagt worden, dabei blieb es meist." Ernst Bloch

"Zum Thema Schirrmacher habe ich nichts zu sagen. Joachim C. Fest Der Spiegel 20 / 1996

Der notorische Hans Ulrich Gumbrecht erklärt heute in der FAZ, warum wir Frank Schirrmacher nicht vergessen sollen. Seine Trauerrede im unangnehmsten Duktus hohler Huldigung erweist einmal mehr der konsensualen Heuchelei die Ehre, die ihr heute zukommt und wie selbstverständlich gebührt:

"Fast wirkte es , als wolle man ihn (sc. Schirrmacher) gegen besseres Wissen und mit erheblicher Anstrengung unterschätzen, weil sich in ihm eine schwer greifbare und deshalb beunruhigende Kraft zu regen schien." Also mümmelt Gumbrecht.

In der Tat jedoch wirkt es so, als wolle man den "klügsten Mann Deutschlands" (Dieter Graumann über SChirrmacher) gemäss miserableren Wissens mit unerheblicher Anstrenung überschätzen, weil sich in ihm eine heilsame und deshalb beruhigende und vetraute Kraft kritischen Mitläufertums zu regen schien.

Schirrmachers bundesrepublikanischer cursus honorum hat in Gumbrecht seinen verdienten Abschnittbevollmächtigten und Nekrologen gefunden.

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Tagebuch 28. Juli 2014 (postscriptum / outro)

Frank Schirrmacher starb am 12. Juni 2014.

Dass es bis dato niemand vermochte oder für angezeigt hielt, seinen Twitter-account (der nach wie vor zum "Folgen" einlädt), wenn schon nicht abzumelden, so doch auf Halbmast zu setzen, spricht zweifelsohne pietätlose Bände seiner noch vor kurzem überwältigten und wehklagenden Nachlassverwalter, von denen nicht wenige schon Mühe haben werden, sich seiner zu erinnern. -

"Social media", die nur ein Surrogat Asozialer sind, haben eine gespenstische virtuellle Feerie erzeugt, die noch ihrer verstorbenen Klientel eine Interimsewigkeit beschert, wie sie abgeschmackter nicht denkbar ist.

Tagebuch 16. Juni 2014

Der Totenkult um den verstorbenen FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher hat mit Tag vier den Speckgürtel deutscher Schreiberlinge erreicht, d.h. Juli Zeh.

Der Sachwalterin Bärbel Bohleys auf Erden entfährt es in der heutigen FAZ: „Neben dem persönlichen Verlust ist sein Tod eine politische Katastrophe.Und aus den USA sekundiert John Brockman: „ Sicherlich gab es in den Vereingten Statten keinen, der ihm auch nur naheskam (sic!)“

Ein einstiger FAZ- Praktikant, der sich Hospitant nennt, wirft sich in den Lavastrom der Trauer, Todesanzeigen in gebieterischer Wolkenkratzerhöhe sorgen für temperierte Erhabenheit, schließlich darf auch Volker Schlöndorff, den alle Welt einmal für einen Filmregisseur gehalten hat, noch eine seiner ausgesuchtesten Phrasen ans tote Wundertier flechten: „Schirrmachers Tod schreit danach, die Gespräche fortzuführen, sich zu artikulieren, persönliche Meinungen laut und deutlich auszudrücken, sich Debatten, auch Streit zu stellen.“

„Sancta simplicitas!“ sagt da der Pfaffe,

Und - „meine Fresse!“ jeder Laffe.

Gegen solchen Phrasenfön berufsmäßiger Windmacher hilft Nüchternheit:

„Bewunderung ist die Vorstellung eines Dinges, in welcher der Geist deshalb versunken bleibt, weil diese besondere Vorstellung keine Verbindung mit den sonstigen Vorstellungen hat.“

Spinoza Ethik (Vierter Teil Definition der Affekte Übs. Jakob Stern)

Lassen wir also die Kirche im Dorf und Frank Schirrmacher in Frieden ruhen.

Tagebuch 15. Juni 2014

Die Trauer der FAZ-Redaktion über den plötzlichen Tod ihres Mitherausgebers Schirrmacher gemahnt an ägyptische Weheklagen nach Pharaonentoden, in ihr schwingt schwül Überzeitliches und damit erfüllt sie mittlerweile den Tatbestand der Störung der Totenruhe.

In der heutigen Sonntagsausgabe tritt die Feuilletonredaktion nahezu vollständig an, um, eine(r) nach der (m) anderen, Ergebenheitsadressen dem dritten Leidzirkular Schirrmacher in Folge beizugeben.

Der Schmock Dietmar Dath schießt den Vogel ab: „Alle, die ihm viel verdanken, wissen, dass sie sehr zahlreich sind. Die Welt wird jetzt öder und dümmer. Schrecklich.“ (S.36)

Es scheint, als sei das Denken mit Schirrmachers Tod an sein Ende gelangt, wie einst nach dem Tod Hegels die Zeitgenossen meinten.

Schirmmachers früher Tod bedrückt; bedrückender aber noch ist die posthume Darbietung von „Des Kaisers neuen Kleidern“ als Totentanz durch die Schar seiner überwältigten Jünger.

Tagebuch 13. Juni 2014

Schirrmacher, der zeitlebens nichts weiter war als ein übler und reaktionärer Schmock aus dem Herrenreiterclub in Frankfurt, war Mitte der 80er zur FAZ gekommen.

Neben Patrick Bahners und Gustav Seibt bildete er damals die "jung-konservative Garde" (Habermas) des Zentralorgans bundesdeutscher Ideologie, die ihre erste Bewährungsprobe im sog. "Historikerstreit" um Nolte usw. würdig bestand.

Seine Heiligsprechung ist bereits vollzogen, Staatstrauer angeordnet:

Zum Tod von Frank Schirrmacher

Nach dem Tod seines Ziehvaters und Paten Fest erklärte man den sogleich zum Boss der Bosse.

Auch der o.a. Nachruf schließt mit der Apotheose Schirrmachers zum Schmerzensmann Leverkühn, dem Helden in Thomas Mann DOKTOR FAUSTUS.

Nichts könnte- in seiner ganzen bildungsbeflissenen Hyperbolik und hagiographischen Verehrungslust - abstoßender wirken als solches Geschwurbel.

Es grenzt allzu an allzu gute Nachrede!