Walpurgisnächte

Sparfach und Ragout Fin

(Chillen con Garnichts/ Geselligkeit ohne Eigenschaften)

Viele Karrieren verlaufen von einem bestimmten Zeitpunkt an abwärts, d.h. oft vom auskömmlichen ins nackte Elend. Flüchtlinge, die abgeschoben, Scheidungsopfer, die ausgenommen werden, Inobhutnahmekinder, Leiharbeitssklaven, Frauenhausfrauen, Unfallopfer aller Art, überhaupt Tote, usw., wüssten davon ein Lied zu singen, sängen sie. Das- nackte- Dass-Leben ist das Leben in der Scheiße ohne Scheuklappen; das Leben im Strahlungsbereich reiner Kontingenz, das Dumpdiverleben der Akzidentellen.

Das Soziale wurde einmal zelebriert, heute wird es ausschließlich parodiert. Kommen zwei zusammen, riecht es schon nach „Warten auf Godot“. Vereinsmeierei, Teamwork und Inernetcommunity fungieren als Psychoviagra ohne Placeboeffekt. Alles Soziale wirkt demgemäß entweder unfreiwillig komisch oder vorsätzlich brutal. Es ist die unermüdlich urgierende Situation, der ewig transitorische Moment, die Absage ans nunc stans.

Im Retrobetrieb der Gegenwart wirken alte Gewohnheiten drollig. Das Sparfach in der Kneipe, das Hotel garni in Bahnhofsnähe, Ragout Fin oder Schildkrötensuppe und Eier im Glas haben fast ausgedient. Wer solches Zeug noch offeriert, braucht für Tränen der Rührung, Spott und Häme nicht mehr sorgen. Das Sparfach insbesondere ist verwaist; Sparkassen bieten den Service nur noch sehr ungern an. Ihre Mitarbeiter sind durchweg gesundheitsbewusste Kneipenhasser/Innen, die die Raucherhöllen der Säufer niemals, auch nicht dienstlich, betreten würden. Sie sind alle für wellness und anti-aging.(Übers. aus dem Engl.: so spät wie möglich kerngesund sterben; am besten gar nicht!“)

Ihren Kindern richten sie keine Sparfächer in Kneipen ein und füttern sie nicht mit Grünkohl und Bregenwurst. Sie wollen gesunde Ernährung, Sex ohne Angst und paradiesische Düfte im Badezimmer. Wenn sie hobeln, fallen keine Späne, alles wird verwendet, Abfall ist Sünde.

Dystopische Geister dieser Art lehnen Schnäpse ab! Die Abwehr ist überhaupt ihre genuine, ihnen ureigene Geste. „Dafür nicht!“ steht auf den Brettern vor ihren Schädeln. Sie sind unbestimmte Negationen auf zwei Beinen und brauchen kein Sparfach, kein Weihnachtsessen im Schank. Alexithymie lautet die Diagnose durchschnittlicher Seelenbeschäler für diese Gruppe Irrer. Sie finden die Welt prima, in der „das Geld nach oben und die Scheiße nach unten fließt“ (Tony Soprano).

Sparkassenangestellte hassen Sparfächer und essen keine Eier im Glas. Sie würden niemals eine Frage wie „Wo sind Sie am liebsten?“ mit der Antwort: „In Hegels Logik oder in der Kneipe!“ bedenken. Oder der Anfrage „Wie heißen Luhmann und Habermas auf französisch?“ den Bescheid erteilen: „Bouvard und Pecuchet.“

Ralf Frodermann