„Schwer zu sein ein Kalif...“
Ruben der Weise: Eine Nathan-Parodie von Jura Soyfer (Miszelle)
In Jura Soyfers Dramolett
Der treueste Bürger Bagdads / Ein orientalisches Märchen
(abgedruckt in: J.S.: Die Ordnung schuf der liebe Gott
. Eine Auswahl. Reclam Leipzig, 1979)
begegnen wir dem Lessingschen Sultan Saladin in Gestalt des verkleideten Kalifen Harun al Radschid (Agnoresis liefert Ruben en passant) wieder. Aus Nathan dem Weisen ist der weise
Ruben geworden, der die Fragen des Kalifen überzeugender, will sagen ausweichender und damit geschickter beantwortet als die beiden Muslime Omar und Suleika.
Weil der Talmudist Ruben den Kalifen in die Verlegenheit bringt, ausgerechnet ihm die Palme für die besten Antworten auf seine, im Unterschied zu Saladin, banalen Fragen geben zu müssen glaubt, schafft der Kalif eine Catch 22 - Situation:
Harun:
Rufe laut und schallend: Nieder mit Harun! Denn rufst du es, so wirst du mit Recht zur Bastonnade verschleppt, und mein penibel langes Beisammensein mit dir findet das einzig
würdige Ende.
Ruben:
Und wie ist's, Herr, wenn ich nicht rufen werde: Nieder mit Harun!
Harun:
Dann wirst du ebenfalls mit Recht zur Bastonnade geschleppt. Denn du hast dich dem Gebot deines grundgütigen Herrn widersetzt, der gerecht ist und bleibt, wie sich die Sache auch wenden möge."
Nichts weniger als die Zurücknahme des Nathan - der Zurücknahme der 9. Sinfonie durch Leverkühn in Thomas Manns Doktor Faustus
nicht unähnlich - intendiert Soyfer in seinem beziehungsreichen Dramolett aus der Zeit vor dem letzten Weltkrieg.
Der camouflierte Antisemitismus, ins märchenhafte Bagdad der Scheherezade verlegt, die brechtisch als Chorführerin ohne Chor durch die knappe Handlung führt, bleibt prinzipiell über sich selber unaufklärbar. Zwischen quid facti und quid juris klafft eine Lücke, die Todund Leben, Lüge und Wahrheit, Erscheinung und Wesen scheidet.
Ralf Frodermann IX 2019